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Ich wurde gelehrt, Palästinenser zu hassen – bis ich einen traf

Osnat Ita Skobinski,

26.juni 2017 972mag.com

Als junges Mädchen glaubte ich, dass Araber böse sind. Mein Glaube gründete sich nicht auf persönliche Erfahrung – es war eine allgemeine Überzeugung. Wie es sich für ein Küstenland gehört, sprachen die Leute oft davon „Die Leute ins Meer zu  werfen  -  wie die bösen Araber uns ins Meer werfen  wollten  oder wir wollten sie als  Präventiv-Maßnahme ins Meer werfen.

Ich verbrachte  die erste Klasse wegen des ersten Golfkrieges  in einem Luftschutzkeller. Während der Grundschule verbrachte ich die  Pausen  damit, dass ich auf Trümmern lief, die von  Selbstmordbombern  in Tel Aviv  zurückblieben.  Meine Gymnasium-Jahre wurden vom Schatten  der 2. Intifada verdunkelt. Das kam alles zusammen, um einen unüberlegten Hass gegenüber dem gesichtslosen andern zu entwickeln, der uns verletzen will.

Heute arbeite ich  zusammen mit Israelis und Palästinensern bei B’tselem , einer Menschenrechts-Organisation, die darum kämpft, Ungerechtigkeiten  der Besatzung aufzudecken.

Diese Veränderung meiner  Weltsicht geschah nicht  über Nacht. Und es war keine Veränderung, die meine Familie und Freunde leicht akzeptieren konnten. Es begann mit einem zufälligen Treffen mit einem jungen Palästinenser während eines Familien-Trips nach den US. Er war ein Freund  von Freunden; er war in meinem Alter und wir hatten gemeinsame Interessen. Er kam aus dem Gazastreifen. Er erzählte mir, was Israel in Gaza tat und ich sagte ihm, dass dies doch nicht möglich wäre.  Es müsste Propaganda sein. Schließlich  ist doch bekannt, dass Araber böse seien und dass Israels Armee „die moralischste Armee der Welt sei“. Wir wurden Freunde und hatten über den PC  gute Kontakte.  Er schickte mir Links mit Informationen über Gaza. Ich hab dies nicht ernstgenommen.

Als die Jahre vergingen, las ich mehr, studierte, traf andere Palästinenser und  wurde eine Friedensaktivistin. Die Realisierung, dass mein Land  nicht immer das Richtige tut und dass nicht alle Araber böse sind, weckte mich auf. Es ging gegen alles, was mir beigebracht wurde.  Die Realisierung, dass  Ungerechtigkeit in meinem Namen geschah, war schwer zu schlucken. Meine Eltern hatten so hart darum gekämpft, nach Israel auszuwandern. Sie entflohen der Tyrannei und dem Antisemitismus der Sowjet-Union, um ihre versprochene Demokratie zu erreichen,  wo es rund herum Feinde gab, aber keine mitten drin.  Wie konnte ich ihnen in die Augen schauen und ihnen sagen, dass eine Demokratie nicht über ein anderes Volk herrschen kann, geschweige es  in eine kafkaeske Hölle verwandeln.

Da gab es  keinen Mangel an semantischen Diskussionen über Wörter wie „Palästinenser“ oder „Besatzung“. Ich war immer bereit to leap in head first   bis mir klar wurde, dass nicht  die Semantik das  Wesentliche ist. Der Kern der Sache  bleibt dasselbe, ob man das Wort  „Palästinenser“, „Araber“  oder nur „Volk  benützt.  Ob man das Wort  „Besatzung“, „Tyrannei“ oder „legitime Siedlun“ benützt. Die Realität bleibt dieselbe, nur die Geschichten, die wir uns erzählen wechseln. Es ist nicht leicht, unsere Ansichten  zu ändern. Dies geschieht nicht über Nacht.  Es dauerte vier Jahre: zwischen dem ersten Treffen  mit dem Jungen aus Gaza und dem Anfang meiner politischen Aktivität. Vier Jahre  mit Selbstüberprüfung,  persönlichen  und zwischen-menschlichen Kämpfen, mit  hitzigen Familien-Argumenten und zugeschlagenen Türen, deren Krachen  noch lange in mir nachklangen.

Ich begann über all dies nachzudenken, weil  dieser Monat  50 Jahre seit der Besatzung  markiert. Das ist länger, als ich lebe.  Tatsächlich ist es eine  Lebenszeit. Meine Eltern immigrierten in diese Realität. Wird dies auch die  Realität unserer Kinder sein? Ich frage mich, wie viele zukünftige  Generationen in dieser Weltsicht geformt werden, dass Israel  moralisch sei und die Araber ins Meer geworfen  werden sollen .  Wie viele Kinder  werden in einer Realität  mit solchen Phrasen aufwachsen wie  z.B.  „Gaza  muss  eingeebnet werden und zu einem Parkplatz gemacht werden.“

Wenn ich mit Gruppen über meine Arbeit bei B’tselem spreche, werde ich manchmal gefragt, ob ich Hoffnung habe. Ich antworte jetzt, dass in diesem Fall  Hoffnung irrelevant sei. Es ist ein Luxus, der keine Voraussetzung für unsere Arbeit sei. Wir müssen weitermachen und die Ungerechtigkeit bekämpfen – mit oder ohne Hoffnung, weil wir  sonst eine Partei davon werden. Wir müssen weiter machen und im Dialog mit Leuten bleiben, die nicht unserer Meinung sind  oder uns als Feinde  im Inneren ansehen. Wie ich  aus meiner eigenen Erfahrung lernte, nur durch die Begegnung mit anderen, nur durch  Gespräch und Verständnis und natürlich  durch  Information -  kann die Welt anfangen , sich zu ändern.

Dieser Monat  markiert 50 Jahre Besatzung. Als 19jährige Israelin würde ich gesagt haben, dass wir nur tun was zum Überleben nötig ist. Als 32-Jährige Israelin weiß ich, dass wir einfach weiter machen müssen, was wir in den  vergangenen 50 Jahren getan haben, weil es keinen Grund gibt, der gut genug ist, um den Schwung dieses Pendels des demolierten Balls zu stoppen. Dieser Monat markiert 50 Jahre Besatzung – was wirst du tun, dass wir nicht weitere solche 50 Jahre sehen?

(dt. Ellen Rohlfs)