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Liebe Freunde,

 

der Nahe Osten bestimmt mal wieder die Schlagzeilen unserer Zeitungen. 

Es fanden auch wichtige Diskussionen innerhalb der Palästina-Solidaritäts-Bewegung statt (wobei man den Eindruck haben könnte, dass hier jeder - einschließlich des Verfassers - mit jedem ein Hühnchen zu rupfen hat ). 

 

Da erscheint es mir wichtig, einige grundsätzliche Dinge zu sagen.

Dies tue ich in meinem Namen, - auch in meiner Eigenschaft als Mitglied der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost, deren neuer Vorstand immerhin beschlossen hat, dass er diese Rundbriefe von meiner Seite ausdrücklich begrüßt. 

Nun denn, mit Gottes und des Vorstands Hilfe:

 

1) Die Palästina-Papiere von al-Dschasira

2) Der Aufstand

3) Unsere Strategie: Stuttgarter Erklärung u.a.

 

1) Zu den Palästina-Papieren von al-Dschasira haben Uri Avnery in seiner gestrigen Kolumne und sein Gusch-Schalom in der Anzeige in ha'Arez für diese Woche das Wesentliche gesagt.

Der Text der Anzeige lautete (in deutscher Übersetzung):

"Al-Dschasiras Enthüllungen beweisen:

Wir haben einen Partner für Frieden;

die Palästinenser haben keinen Partner für Frieden."

 2008 (zur Zeit dieser in den Protokollen festgehaltenen Verhandlungen) war die vereinbarungs-unwillige Verhandlungspartnerin der bis zur Selbstaufgabe kompromisswilligen Palästinenser Frau Livni. Premier war damals Olmert, Präsident war damals wie heute Peres. 

Das heißt: Es ist nicht damit getan - wie viele in Deutschland hoffen - , dass die jetzige israelische Rechtsregierung durch eine wieder von Livni und Peres beeinflusste Regierung abgelöst wird. Vielmehr: Es muss massiver Druck auf die israelische Seite angewendet werden - welche auch immer - , damit diese sich zu einer Vereinbarung "herablässt". Das ist eine politische Lehre aus diesen Enthüllungen, und das haben einige Kommentatoren in Deutschland auch durchaus so gesehen.

 

2) Dieser Druck gegen Israel wird nun ganz unerwartet von einer neuen Seite aufgebaut: Dem ägyptischen Bürgertum.

Was in Tunesien und in Ägypten geschieht, ist nach allgemeiner Meinung "schlecht für Israel". Wenn Ägypten nicht mehr diktatorisch regiert wird, sondern demokratisch, wenn Ägypten sich nach den wohlverstandenen Interessen seines Landes und seiner Staatsbürger richtet, dann - so die einhellige Meinung der Politik-Analytiker - bedeutet das Schwierigkeiten für Israel.

Auch wenn man sich schon an solche Überlegungen lange gewöhnt hat, muss man doch sagen: Das ist eine Schande für Israel. Israel, diese sogenannte "einzige Demokratie im Nahen Osten" kann nur überleben, wenn es in seiner Umgebung undemokratisch zugeht?!  (In Wirklichkeit ist Israel eine Ethnokratie der Juden über die Palästinenser, die bislang unter der herrschenden Ethnie demokratisch organisiert war.) Dies zeigt einmal mehr, wie anachronistisch die in Israel herrschende Ideologie ist. Eine anachronistische Ideologie und ein anachronistisches Land werden über kurz oder lang untergehen oder eben versuchen, durch Fremdgefährdung zu überleben. Es kann nicht das Interesse Deutschlands und der EU sein, einen solchen Untergang zu erleben oder als Verbündete Israels in den Strudel solcher Ereignisse mit hineingerissen zu werden. Daher ist es im Interesse Deutschlands und der EU, Druck auf Israel auszuüben: Israel muss sich transformieren, in eine Demokratie, die es begrüßt, wenn ihre Nachbarstaaten demokratisch sind. 

 

3) "Ein-Staaten-Lösung" oder "Zwei-Staaten-Lösung" oder andere Alternativen?

Von Teilnehmern der Stuttgarter Solidaritätskonferenz (November 2010) wurde diese Diskussion mit einer Erklärung zur Ein-Staaten-Lösung forciert, unter die man seinen Namen setzen kann.

Ich finde die Argumente für die Ein-Staaten-Lösung gut, und ich finde die Argumente für die Zwei-Staaten-Lösung gut. 

Und nun?

 

Ich finde: Unsere Aufgabe ist es, in Deutschland dafür zu sorgen, dass Deutschland und die EU den Israelis klare Grenzen setzt; das wäre ein wesentlicher Faktor auf dem Weg dahin, dass sich die Israelis zu einem grundlegenden Politikwechsel entscheiden müssen. Auf diesem Weg, hier in Deutschland das Klima zu ändern, sind wir schon weit vorangekommen: "Jeder vernünftige Mensch weiß" - schreibt heute die Süddeutsche Zeitung - dass der grundlegende Politikwechsel in Israel nötig ist (S.1 ihrer Wochenendbeilage, Tomas Avenarius). 

 

Das bedeutet hier und jetzt zum Beispiel:

- Solidarität mit dem Widerstand gegen die Sperrmauer (Bil'in und anderswo)

- Solidarität mit dem Widerstand gegen die kalte Vertreibung der Jerusalemer Araber

- Solidarität mit der eingesperrten Bevölkerung Gazas, mit der unter Besatzungsrecht lebenden schikanierten Bevölkerung der Westbank, mit den diskriminierten palästinensischen Israelis

Ist das jetzt Ein- oder Zwei-Staaten-Lösung?

 

Auf politischerer Ebene bedeutet es zum Beispiel:

- Hochhalten des Völkerrechts: 

     - Die gewählte palästinensische Vertretung (Hamas) ist als solche anzuerkennen

     - Die Blockade Gazas zum Zwecke der Erpressung dieser Bevölkerung ist zu beenden

     - Das EU-Assoziationsabkommen mit Israel ist strikt auf das israelische Staatsgebiet anzuwenden und andernfalls zeitlich auszusetzen 

Ist das jetzt Ein- oder Zwei-Staaten-Lösung?

 

Die Fatah-geführte Westbank-Administration hat nun in letzter Zeit Aufwind für ihr Projekt der Anerkennung Palästinas durch die Weltgemeinschaft bekommen. Man könnte aus grundsätzlichen Erwägungen dagegen sein. (Fatah ist nicht die gewählte palästinensische Autonomiebehörde, und die Anerkennung Palästinas setzt ein Präjudiz für die Zwei-Staaten-Lösung). 

Jeder weiß, dass die Anerkennung Palästinas die Israelis ärgert. Trotzdem plädiert der Vorsitzende der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung im (des Anarchismus absolut unverdächtigen) "Handelsblatt" dafür, dass Deutschland und die EU genau dies tun. Ich finde dies unbedingt unterstützenswert, denn es hebt die Palästinenser in der Weltgemeinschaft auf Augenhöhe mit dem Staat Israel; das kann nur gut für eine Lösung des gesamten Problems sein, egal ob als Ein- oder Zwei-Staaten-Lösung.

 

Aufgabe der Palästina-Solidarität hier in Deutschland ist, all diese Tendenzen zu unterstützen und zu befördern und sich dabei mit allen zu verbünden, die man kriegen kann: Anständige Menschen gibt es auch in allen politischen Parteien (sogar in der Heinrich-Böll-Stiftung, mit der meine Berliner Vereinsgenossinnen gerade im Clinch liegen). 

 

In diesem Sinne ein gutes Jahr 2011,

 

Rolf Verleger