Brennt Akko?
Uri Avnery, 12.10.08
WÄHREND
der Jahrtausende seiner Geschichte ist Akko nie eine israelitische Stadt gewesen.
Sogar
nach der mythologischen Geschichte der Bibel eroberten die Israeliten die Stadt
nicht, die damals schon ein alter Hafen war. Das erste Kapitel im Buch der
Richter, das vieles der Beschreibung im Buch Josua widerlegt, gibt eindeutig an: „ (Der Stamm von
) Asser vertrieb die Einwohner von Akko
nicht.“ (Richter 1,31)
Nur
wenige Städte in der Welt können sich
solch einer stürmischen und bewegten Geschichte wie Akko
( auf Arabisch Akka, auf
Französisch und Englisch Acre) rühmen, der Haupthafen
des Landes. Es war eine kanaanitisch-phönizische
Stadt, die mit Ägypten Handel trieb, gegen die Assyrer rebellierte, mit den
jüdischen Hasmonäern im Konflikt lebte, von den
Kreuzfahrern erobert wurde, dem legendären Saladin und dem nicht weniger legendären Richard
Löwenherz als Schlachtfeld diente, unter Daher al-Omar
die Hauptstadt des halb unabhängigen arabischen Staates Galiläa war und
schließlich der Belagerung Napoleons widerstand. Jede dieser historischen
Perioden hinterließ ihre Spuren in Akko, in Form von
Gebäuden oder Mauern. Eine faszinierende Stadt, vielleicht die schönste – und sicher
die interessanteste – des Landes, wenn man von Jerusalem absieht.
Während
einiger dieser Perioden gab es in Akko auch eine
kleine jüdische Gemeinde, aber es war nie eine jüdische Stadt. Im
Gegenteil: unter Rabbinern gab es immer wieder eine Diskussion, ob Akko nach religiösem
Gesetz (der Halacha) überhaupt zu Eretz
Israel gehört. Dies war wichtig, weil gewisse Gebote nur im Land Israel gültig
sind. Einige Rabbiner glaubten, dass Akko nicht dazu
gehöre, während andere behaupteten, dass wenigstens ein Teil der Altstadt dazu
gehöre. (Das hinderte uns in unserer
Jugend nicht daran, „Auch Akko gehört zu Eretz Israel“ zu singen - und meinten
damit die alte Kreuzfahrerburg an der Küste, wo die Briten Gefangene der
jüdischen Untergrundorganisationen in Haft hielten).
Im
1948er-Krieg wurde Akko vom israelischen Militär
besetzt, und seitdem hat es unter israelischer Herrschaft gelebt: 60 Jahre aus
einer Geschichte von 5000 Jahren und länger.
Dies ist
der Hintergrund der Ereignisse der letzten Woche in Akko.
Die arabischen Einwohner betrachten Akko als die Stadt ihrer Vorfahren, die mit Gewalt von den
Juden besetzt wurde. Die jüdischen Bewohner betrachten sie als jüdische Stadt, in der die Araber eine - allerhöchstens - tolerierte Minderheit sind.
Seit
Jahren wurde die Stadt mit einer dünnen Decke von Heuchelei überzogen. Jeder
lobte und pries die wunderbare Koexistenz dort. Bis diese Decke weggezogen
wurde und die nackte Wahrheit entdeckt
wurde.
ICH BIN
eine sehr säkulare Person. Ich habe immer eine vollständige Trennung von Staat
und Religion befürwortet, selbst zu Zeiten, wenn dies irgendwie verrückt klang. Aber es kam mir nie in den
Sinn, am Yom Kippur Auto zu
fahren. Es gibt kein Gesetz, das dies verbietet - ein Gesetz ist dafür nicht
nötig.
Für einen
traditionellen Juden ist Yom Kippur
ein Tag wie kein anderer. Auch wenn man nicht wirklich daran glaubt, dass an
diesem Tag Gott seine letzte Entscheidung über Leben und Tod eines jeden
einzelnen Menschen für das nächste Jahr fällen
und alles in ein großes Buch schreiben werde, so respektiert man die
Gefühle der anderen, die das glauben. Ich würde am Yom
Kippur nicht durch einen jüdischen Stadtteil fahren,
genau wie ich auch während des
Fastenmonat Ramadan in einem arabischen
Stadtteil nicht öffentlich essen würde.
Man kann
sich nur schwer vorstellen, was sich der arabische Fahrer Tawfiq
Jamal dachte, als er an Yom Kippur mit seinem Wagen durch einen vorwiegend
jüdischen Stadtteil fuhr. Man kann vermuten, dass er es nicht aus böser Absicht
tat oder als Provokation, sondern eher aus Dummheit und Gedankenlosigkeit.
Die
Reaktion war voraussehbar. Eine wütende jüdische Menge jagte hinter ihm her in
ein arabisches Haus und belagerte ihn dort. In einem entfernten arabischen
Stadtteil schrieen Lautsprecher von den Minaretten, dass Araber getötet worden
seien und dass ein Araber in Todesgefahr sei. Aufgeregte arabische Jugendliche
versuchten, das Haus der belagerten arabischen Familie zu erreichen, wurden
aber von der Polizei daran gehindert. Sie gaben ihren Gefühlen freien Lauf,
indem sie jüdische Läden und Autos zertrümmerten. Jüdische Jugendliche, die von
Mitgliedern der extremen Rechten
unterstützt wurden, brannten Häuser arabischer Einwohner ab, die nun zu
Flüchtlingen in ihrer eigenen Stadt wurden. In wenigen Minuten waren 60 Jahre
„Koexistenz“ ausgelöscht – ein Beweis
dafür, dass es in den „gemischten“ Städten
keine wirkliche Koexistenz gibt, nur zwei Gemeinschaften, die sich nicht
ausstehen können.
DIESER
HASS ist verständlich: Wie in anderen
„gemischten“ Städten, ja, tatsächlich in ganz Israel, wird die arabische
Bevölkerung von den staatlichen und städtischen Behörden diskriminiert.
Kleinere Budgets, minderwertige Bildungseinrichtungen, ärmere Wohnungen, übervölkerte
Stadtteile….
Die
arabischen Bürger sind die Opfer eines Teufelskreises. Sie leben in
übervölkerten Städten und Stadtteilen, die zu vernachlässigten Ghettos geworden
sind. Wenn der Lebensstandard der Einwohner steigt, gibt es eine verzweifelte Nachfrage
nach einer besseren Umgebung und besserem Wohnen. Junge Paare verlassen die
vernachlässigten und unterfinanzierten arabischen Stadtteile und ziehen in jüdische Gebiete um, was sofort
Opposition und Groll hervorruft. Dasselbe geschah Afro-Amerikanern
in den USA und vor ihnen den Juden.
All das
Gerede über Gleichheit, gute Nachbarschaft und Koexistenz geht in Rauch auf,
wenn arabische Familien in eine feindselige jüdische Umgebung umziehen. Gründe
werden immer gefunden, und die Autofahrt
von Tawfiq Jamal war nur ein besonders krasser Fall.
Ähnliche
Situationen können an vielen Orten der Erde gefunden werden. Religiöse,
nationalistische, ethnische oder allgemeine Sensibilitäten können zu jeder Zeit
explodieren. Nach der Emanzipation der Sklaven in den USA dauerte es noch hundert Jahre, bis die
Bürgerrechtsgesetze erlassen wurden, und während dieser Zeit gab es viele
Lynchprozesse. Es dauerte weitere 40 Jahre, bevor ein schwarzer
Präsidentschaftskandidat in die Nähe des Weißen Hauses kommen konnte. Die
Polizei in London ist für ihren
Rassismus bekannt, Bürger türkischer Herkunft werden in Berlin diskriminiert,
ein Afrikaner kann zwar in einem nationalen französischen Fußballteam spielen,
aber er hat keine Chance, Präsident zu werden.
In dieser
Hinsicht ist Akko nicht anders als der Rest der Welt.
JEAN-PAUL
SARTRE sagte einmal, dass in jedem von uns ein kleiner Rassist stecke. Es gibt
nur einen Unterschied: diejenigen, die ihn erkennen und ihn zu überwinden
versuchen, und die anderen, die ihm nachgeben.
Wie es
der Zufall wollte, verbrachte ich Yom Kippur, als Akko von den
Überfällen geschüttelt wurde, mit dem Lesen eines faszinierenden Buches von
William Polk auf Englisch „Nachbarn und Fremde“, das
sich mit den Ursprüngen des Rassismus
befasst. Wie andere Säugetiere, lebte der Mensch in der Urzeit vom Jagen und
Sammeln. Er zog mit seiner Familie, einer Gruppe mit nicht mehr als fünfzig
Leuten, in einem Gebiet umher, das kaum
zum Überleben ausreichte. Jeder Fremde, der sein Gebiet betrat, war eine
tödliche Bedrohung, während er versuchte, in das benachbarte Gebiet
einzudringen, um seine Chancen des Überlebens zu verbessern. Mit andern Worten:
die Angst vor dem Fremden und der Drang, ihn zu vertreiben, steckt
seit Millionen von Jahren tief in unserm biologischen Erbe.
Rassismus
kann überwunden oder wenigstens gezügelt werden, das braucht aber eine
bewusste, systematische und ständige
Behandlung. In Akko – wie an anderen Orten im Land –
hat es solch eine Behandlung nicht gegeben.
In diesem
Land ist Rassismus natürlich mit dem nationalen Konflikt verknüpft, der
schon seit fünf Generationen tobt. Die
Vorfälle in Akko sind
nur eine Episode des Krieges zwischen den beiden Völkern dieses Landes.
Die
extreme jüdische Rechte, einschließlich des harten Kernes der Siedler, verbirgt
ihre Absicht nicht, alle Araber zu vertreiben und das ganze Land in einen rein
jüdischen Staat zu verwandeln. Das heißt: ethnische Säuberung. Dies sieht wie der Traum einer kleinen Minderheit aus,
aber Meinungsforschungen ergaben, dass diese Tendenz sich in viel größerem
Rahmen ausbreitet, wenn auch nur auf
halbbewusste, verborgene oder verleugnete Weise.
In der
arabischen Gemeinde gibt es wahrscheinlich einige, die von den guten alten
Zeiten träumen, bevor die Juden in dieses Land kamen und es mit Gewalt an sich
rissen.
Wenn
Juden in Akko ein Pogrom ausführen – egal aus welchem
unmittelbaren Anlass - wird es zu einem nationalen Ereignis. Das Anzünden arabischer Häuser in einem jüdischen
Stadtteil lässt sofort Ängste vor einer ethnischen Säuberung hochkommen. Wenn
arabische Jugend in einen jüdischen Stadtteil
stürmt, um einem in Gefahr befindlichen arabischen Bruder beizustehen,
wird man sofort an die Massaker von Juden
in Hebron (1929) erinnert, das damals auch eine „gemischte“ Bevölkerung
hatte.
ES
GIBT berechtigte Hoffnung, dass wir
irgendwann in der Zukunft den nationalen
Konflikt beenden und eine Friedenslösung erreichen, die beide Völker
akzeptieren (wenn auch nur, weil es gar keine Alternative dazu gibt). Ein
palästinensischer Staat wird Seite an Seite mit Israel entstehen, und beide Völker werden begreifen, dass dies die bestmögliche Lösung
ist.
( Die
Vorfälle in Akko sollten diejenigen, die immer noch
an eine binationale Lösung glauben, wo Juden und Araber in Brüderlichkeit und
Gleichheit leben würden, noch einmal nachdenken lassen. Solch
eine „Lösung“ würde das ganze Land in ein großes Akko
verwandeln.)
Aber
Friede, der sich auf zwei Staaten neben einander gründet, wird nicht
automatisch das Problem der arabischen Bürger Israels lösen, eines Staates, der
sich selbst als „jüdisch“ definiert. Wir müssen
für einen langen, konsequenten Kampf um den Charakter unseres Staates
bereit sein.
Der
extreme Rechte Avigdor Liberman
hat vorgeschlagen, dass die arabischen Dörfer auf der israelischen Seite der
Grünen Linie dem palästinensischen Staat zugeschlagen werden sollen für die
jüdischen Siedlungsblocks jenseits der Grünen Linie, die Israel angeschlossen
werden sollen. Das würde natürlich nicht für die arabischen Bewohner von Akko, Haifa, Jaffa, Nazareth und die galiläischen Dörfer
zutreffen. Aber selbst in den Dörfern nahe der Grünen Linie stimmt kein Araber
dieser Idee zu. Obwohl Liberman vorschlägt, die
ganzen Dörfer zusammen mit ihren Ländereien und Besitztümern dem
palästinensischen Staat zuzuschlagen, war keine einzige arabische Stimme zu hören, die damit
einverstanden gewesen wäre.
Warum?
Die anderthalb Millionen arabischer Bürger Israels mögen die Regierungspolitik
nicht, auch nicht die Flagge und die Nationalhymne, geschweige denn die
Behandlung der Bevölkerung in den besetzten Gebieten. Aber sie ziehen die
israelische Demokratie, den sozialen Fortschritt, die National- Versicherung
und die sozialen Dienste vor. Sie haben sich an das Leben und den Sittenkodex Israels gewöhnt – und
zwar viel mehr, als sie selbst eingestehen wollen. Sie wollen Bürger dieses
Staates sein – aber auf der Grundlage von Gleichheit und gegenseitiger Achtung.
Den
Juden, die von ethnischer Säuberung träumen, ist nicht klar, wie groß der
Beitrag der arabischen Gemeinde
gegenüber Israel ist. Wie die anderen Bewohner Israels arbeiten sie
hier, tragen zum nationalen
Bruttoeinkommen bei und zahlen ihre Steuern wie jeder andere auch. Wie jeder
von uns haben sie keine Alternative – sie zahlen die Mehrwertsteuer auf alles,
was sie kaufen und sie erhalten ihr
Gehalt nur nach Abzug der Steuern.
Viele
Fragen müssten anerkannt und diskutiert
und die richtigen Schlussfolgerungen gezogen werden. Ist es in diesem Stadium für Araber wünschenswert
oder nicht wünschenswert, in jüdischen Stadtteilen und für Juden in arabischen Stadtteilen zu
leben? Wie können arabische Stadtteile wirtschaftlich auf das gleiche Niveau der jüdischen Stadtteile
gebracht werden - tatsächlich und nicht nur mit Worten? Sollte jedes jüdische
Kind arabisch und jedes arabische Kind hebräisch lernen,
wie der Bürgermeister von Haifa es letzte Woche vorgeschlagen hat? Sollte das
arabische Schulsystem denselben Status und dasselbe Budget erhalten wie z.B.
das unabhängige, aber von der Regierung finanzierte, jüdisch-orthodoxe
Bildungssystem? Sollten autonome arabische Institutionen errichtet werden? Wenn
man für diese oder wenigstens für einen Teil dieser Probleme Lösungen findet,
so wird dies auch ein unbedingt notwendiger Teil des Kampfes gegen Rassismus
sein – man muss dies an den Wurzeln packen und nicht nur an den Symptomen.
Tatsächlich
gibt es keine Alternative: die Bürger von Israel, Juden und Araber, sind dazu
„verurteilt“, zusammen zu leben – ob sie es wollen oder nicht. Aber die
Vorfälle in Akko haben noch einmal gezeigt, das
gemeinsame Lebensgefüge ist noch sehr
empfindlich. Um dies zu ändern, müssen wir alle den Mut haben, dem Problem ins
Auge zu schauen, zu sehen, wie es tatsächlich ist – ohne Heuchelei und
Verfälschung. Das ist der einzige Weg,
um Lösungen zu finden.
(Aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
In der
gemischten Stadt
Lauert
die Katastrophe um die Ecke.
Die Akko-Pogrom-Bande
Ist nur
die Spitze des Eisberges
Von
Hetze, Hass und Diskriminierung
Gegen die
Araber.
Frömmelnde
Rede über „Koexistenz“ reicht nicht.
Wir
brauchen eine radikale Behandlung
Und
Gleichheit aller Bürger.
Inserat
in Haaretz am 17.10.08 Von Gush
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