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Eine Erfindung, die sich „das jüdische Volk“ nennt

 

Tom Segev, Haaretz, 1.3.08

 

Israels Unabhängigkeitserklärung stellt fest, dass das jüdische Volk im Lande Israel entstanden ist und aus seiner Heimat vertrieben wurde. Jedes  israelische Schulkind lernt, dass dies während der römischen Herrschaft im Jahre 70 n.Chr. geschehen ist. Das Volk blieb seinem Land gegenüber loyal und kehrte nach 2000 Jahren Exil wieder zurück. Das ist falsch, sagt der Historiker Shlomo Zand in einen der faszinierendsten und herausforderndsten Büchern, die seit langem hier veröffentlicht wurden. Es gab nie ein jüdisches Volk, sondern nur eine jüdische Religion, und das Exil hat auch nie stattgefunden – also gab es auch keine Rückkehr. Zand weist die meisten Geschichten über  eine nationale Identitätsbildung in der Bibel zurück, einschließlich des Exodus aus Ägypten und  besonders befriedigend die Schrecken der Eroberung unter Joshua. Das sind alles Fiktionen und Mythen, die der Errichtung des Staates Israel als Vorwand dienten, behauptet er.

 

Nach Zand haben die Römer nicht ganze Nationen vertrieben. Den meisten Juden war es erlaubt, im Lande zu bleiben. Die Zahl der Vertriebenen war höchstens 10 000. Als das Land von den Arabern erobert wurde, konvertierten viele Juden zum Islam und assimilierten sich mit den Eroberern. Daraus folgt, dass die Vorfahren der palästinensischen Araber Juden waren. Zand hat diese These nicht erfunden. 30 Jahre vor der Unabhängigkeitserklärung wurde sie schon von David Ben Gurion, Yitzhak Ben Zwi und anderen aufgestellt.

 

Wenn die Mehrheit der Juden nicht verbannt worden ist, wie kommt es dann, dass so viele fast alle Länder der Erde erreicht haben. Zand sagt, dass sie freiwillig emigriert seien. Und wenn sie zu den Verbannten in Babylon gehörten, dann geschah es freiwillig.  Im Gegensatz zur üblichen Meinung versuchte die jüdische Religion, Mitglieder anderer Religionen davon zu überzeugen, Juden zu werden, was erklärt, warum es Millionen Juden in aller Welt gibt. Wie es im Buch Esther z.B. heißt: „Und viele Leute im Land wurden Juden; aus Angst die Juden könnten über sie herfallen.

 

Zand zitiert aus vielen vorhandenen Studien; einige von ihnen wurden in Israel geschrieben, aber aus dem allgemeinen Diskurs  beiseite geschoben. Er beschreibt auch ausführlich das jüdischen Königreich  von Himyar auf der südlichen arabischen Halbinsel und die jüdischen Berber im Norden Afrikas. Die jüdische Gemeinde in Spanien  entstand aus Arabern, die Juden geworden waren und kamen mit denen an, die Spanien von den Christen erobert hatten, und aus Europäern, die auch Juden geworden waren.

 

Die ersten Juden aus Ashkenaz (Deutschland) kamen nicht aus dem Land Israel  und erreichten auch Osteuropa nicht über Deutschland, sondern wurden Juden im Königreich Khazar im Kaukasus. Zand erklärt die Ursprünge der jiddischen Kultur: es war kein Import aus Deutschland, sondern die Folge der Verbindungen zwischen den Nachkommen der Khuzari und der Deutschen, die meistens als Kaufleute nach Osten reisten.

 

Wir finden deshalb, dass Mitglieder von  vielen verschiedenen Völkern und Rassen, hellhäutige und schwarze, braune und gelbe in großer Zahl Juden wurden. Nach Zand  produzierte das zionistische Bedürfnis einer gemeinsamen Ethnizität und historischen Kontinuität eine lange Reihe von Erfindungen und Fiktionen, verbunden mit Berufung auf rassistische Thesen. Einige waren in den Köpfen derjenigen kreiert worden, die die zionistische Bewegung schufen, während andere aus Befunden in Israel durchgeführter Studien kamen.

 

Prof. Zand lehrt an der Universität in Tel Aviv. Sein Buch: „Wann und  wie wurde das jüdische Volk erfunden?“ (auf Hebräisch bei Resling veröffentlicht) ist dafür gedacht, die Idee zu verbreiten, dass Israel ein „Staat für alle seine Bürger“ sein sollte – für Juden, Araber und andere – im Gegensatz zu seiner erklärten Identität als  „Jüdischer und demokratischer Staat“.

Persönliche Geschichten, eine lange theoretische Diskussion und  reichlich sarkastische und geistreiche Bemerkungen helfen dem Buch nicht. Aber seine historischen Kapitel sind gut geschrieben und  bringen viele Fakten und  Einblicke, die viele Israelis zum ersten Mal lesen werden.

 

(dt. Ellen Rohlfs)