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I accuse – ich klage an

 

Karlo Strenger,  Haaretz, 28.09.2008

 

 

In der Nacht zwischen dem 24. und dem 25. September ist es wieder passiert. Prof. Zeév Sternhell, ein international bekannter Politikwissenschaftler, Historiker und Empfänger des diesjährigen  „Israelischen Staatspreises“, wurde  durch eine Rohrbombe verletzt, die am Eingang seiner Wohnung abgelegt worden war. Es ist noch nicht klar ersichtlich, wer dafür verantwortlich ist.  Wer  immer es auch gewesen sein war – so gibt es doch Leute, die sich fragen sollten,  welchen Teil der Verantwortung für diese verbrecherische Tat  sie zu übernehmen haben..

 

Ich  klage diejenigen Juden  in Israel und außerhalb Israels an, die Internet Blogs betreiben, die  hinter „gefährlichen linken Intellektuellen“ her sind, und die Menschen wie Sternhell „Antisemiten“, „jüdische Selbsthasser“ und „Feinde Israels“ bezeichnen.

 

Ich klage jene  der israelischen Rechte an, die ihre Blicke abwenden und ihre Ohren verstopfen und  die denken, die Gesetze beträfen sie nicht; die die Siedler nicht sehen, die täglich die Gesetze, die israelischen sowie die internationalen Gesetze brechen, und die ebenso die Werte der Ethik und Moral missachten, die die Palästinenser schikanieren, sie schlagen und zuweilen  ermorden.  „Sind sie keine Idealisten? Tun sie dies nicht wegen  ihrer hohen Ideale, wegen der Heiligkeit des Landes Israels?“

 

Ich klage nicht nur jene an,  die religiöse Rituale vollzogen, um  Itzhak Rabin  zum Tode zu verurteilen; nicht nur diejenigen, die Poster trugen, die Rabin  in SS-Uniform  bei Demonstrationen zeigten. Ich beschuldige auch diejenigen, die die Atmosphäre dazu schufen und es zuließen. Nach der Ermordung von Rabin sagten sie,  sie  hätten die Poster nicht gesehen .

 

Ich klage  all jene an , die behaupten, dass sie – nur sie – Israel  und seine wahren Interessen und die jüdisch-israelische Seele repräsentieren und diejenigen, die behaupten, dass jeder, dessen Ansichten  über den  Staat anders  als die Ihrigen sind , ein gefährlicher Feind Israels sei, der die Existenz Israels gefährdet.

 

Ihnen gilt der Satz aus 5.Moses 33, 9 - 11 „Dies ist der Segen …über Levi sprach er … …

Dieser Vers greift den Fanatismus des Stammes Levy an, der wie sein mythischer Vorfahre dachte,  dass er  im Namen des Ideals töten könne, da er ihm absoluten Wert beigemessen hat.

 

Ich klage all jene an, die den Fanatikern indirekt die Taten verzeihen, indem sie nicht sagen, dass man sich mit diesen Menschen niemals einigen darf. Sie schaffen die Atmosphäre, die Leute wie Yona Avrushmi und Yigal Amir zu ihren mörderischen Taten anregen – und auch den Terrortäter der letzten Nacht, um Zeev Sternhell anzugreifen.

 

Israel ist eine junge Demokratie, zerrissen von sich widersprechenden Werten und Ansichten über die Religion,  ein Land, dass seine Identität noch finden muss. Scharfe Streitgespräche,  gründliche Diskussion und harte Kritik von jenen auf  Seiten der Opposition sind ein fester Bestandteil einer liberalen Demokratie.

 

Hassreden, die Blutfehde und Rituale legitimieren, die diejenigen zu Tode  verurteilen, die anders denken,  sind weder ein Teil eines legitimen demokratischen Diskurses noch einer Zivilisation, der wir angehören wollen ( egal, ob es sich um einen Ministerpräsidenten handelt oder einen Akademiker, der seine Ansichten äußert.

 

Vergessen wir nicht, dass Israel zu recht von den Palästinensern verlangt, dass in ihren Schulen  kein Israelhass gezüchtet wird. Der Westen verlangt zu Recht, dass islamische Behörden Hassreden der Imame verurteilen, die zur Auslöschung Israels aufrufen und zur Eroberung der Welt der Ungläubigen. Wir fordern dies, weil wir wissen, dass Worte Realitäten schaffen. Aufforderungen zu Gewalt finden letzten Endes ihren Weg in die Herzen von Fanatikern, die diese  Worte in Taten umsetzen.

Warum sollten wir  Juden anders behandeln, die dasselbe tun. Warum sollten wir Juden akzeptieren, die zu Gewalt aufrufen, Juden, die im Namen ihrer Ideale sich erlauben, das Blut ihrer ideologischen Gegner zu vergießen?

 

Zu lange hat die israelische Rechte eine verzeihende Haltung gegenüber dem „Wildwuchs“ eingenommen. Zu lange hat sie Extremisten benützt, um ihre eigenen Ansichten als annehmbaren Mainstream darzustellen.

 

Wer ist Prof. Zeév Sternhell? Er ist ein Überlebender der Shoa, der sich selbst vor kurzem ein „Super-Zionist“  nannte;  er war ein Offizier der israelischen Armee, der an drei Kriegen teil genommen hat. Es stimmt,  er denkt,  die Besatzung sei  ein Krebsgeschwür, das die israelische Seele zerfrisst. Es stimmt,  er denkt , Palästinenser sollten nur Israelis angreifen, die in der Westbank leben und nicht innerhalb der Grünen Linie. Er hat immer wieder einmal gesagt, er fürchte,  Israel könne wegen der Besatzung nicht überleben  und er macht sich  Sorgen  wegen seiner Kinder und Enkel,  für die er wünscht, dass sie in Israel leben können.

Und er zeigte Verständnis für den Kampf des palästinensischen Volkes.  Aus diesem Grunde wurde er angegriffen.

Es ist noch einmal geschehen. Ich wünsche Prof. Sternhell schnelle Genesung und ein gutes Neues Jahr. Aber ich möchte dies nicht gegenüber einem neuen Opfer ausdrücken.

Ich klage an!

 

Professor Carlo Strenger, Philosoph und Psychoanalytiker lehrt in der Psychologischen Fakultät der Tel Aviver Universität und ist ein Mitglied des Permanent Monitoring Panel on Terrorism des Weltbundes der Wissenschaftler

 

(dt. Abraham Melzer/ Ellen Rohlfs)