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Bericht über ethnische Säuberung in Ost-Jerusalem

 

Alternatives Informationszentrum, AIC, 6.8.09

 

Der Stadtteil von Sheikh Jarrah mit seinen 500 palästinensischen Bewohnern steht unter Belagerung. Bewaffnete Kräfte sind hier seit Sonntagmorgen stationiert, als die Hanoun- und Gawi-Familie  mit Gewalt von ca 500 Polizisten aus ihren Häusern vertrieben wurde. Jetzt ist es ein Wartespiel. Die Familien schlafen auf den Gehwegen vor ihren Häusern, bis sie auch von dort  mit Gewalt vertrieben werden. Es ist nicht das 1. Mal, dass sie aus ihren Häusern vertrieben werden. Sie sind Flüchtlinge aus Haifa von 1948, der Nakba, was Israel den Unabhängigkeitskrieg nennt. Die UNWRA schloss mit Jordanien, das damals Ost-Jerusalem kontrollierte, ein Abkommen, das ihnen  1956 zu Wohnungen im Stadtteil von Sheik Jarrah verhalf, wo die Familien seitdem wohnten.

Seit den beiden Vertreibungen am Sonntag, den 2. August wurden 23 Leute verhaftet, einschließlich Mitglieder der Gawi-Familie. Zwei Kinder der Hanounfamilie liefen mit ihren Armen in der Schlinge, nachdem sie von den Bullen mit Gewalt aus ihren Häusern gezerrt worden waren. Etwa 250 Unterstützer - auch Rabbiner für Menschenrechten, von ICAHD, Hadash, Anarchisten gegen die Mauer und von ISM  - demonstrierten  am Samstagabend außerhalb des Hanounhauses, bevor mehr als 20 Polizisten mit Gewalt 13 der Demonstranten verhafteten, die meisten Einheimische – Israelis wie Palästinenser. Alle wurden innerhalb von 24 Stunden unter der Bedingung entlassen, dass sie mindestens die nächsten drei Wochen nicht nach Sheik Jarrah zurückkehren – einschließlich derer, die dort leben.

 

Exzessive Anwendung von Gewalt

Ein junger Mann, nicht älter als 20, wurde während der Vertreibung am Sonntag am Bein verletzt. Nach Berichten der Einheimischen wurde er sechs Stunden  lang eingesperrt, bevor es ihm erlaubt wurde, medizinische Behandlung aufzusuchen. Die Verbindung von Tränengas und den Schmerzen an seinem verletzten Bein machten ihn unfähig, mit uns zu reden.

 

Charihen, 20, aus der Hanounfamilie war von Polizisten mit einem Gewehrkolben geschlagen worden, trug ihren Arm auch in einer Schlinge. Sie studiert Psychologie an der Abu Dis-Universität. Am Tag ihrer Vertreibung sollte sie eine Examensarbeit schreiben, die sie nun versäumt hat. Das einzige, was sie noch tun konnte, bevor sie aus ihrer Wohnung vertrieben wurde, war, dass sie ihr Fachbuch mitnahm, um für die Sommerkurse zu lernen.

 

Charihen sagt, sie hätte die bewaffneten Polizisten angeschrieen und gefragt, warum die israelischen Siedler in ihrem Haus leben dürften. Einer der Polizisten antwortet: „Sie sind Juden, ihr seid Araber – also können sie bleiben!“

Ihrer Mutter wurde es nicht einmal erlaubt, sich anzuziehen und wurde im Schlafanzug auf die Straße getrieben.

Am Montagmorgen wachten die Bewohner auf, weil außerhalb ihrer Fenster Tränengas war. Die Polizei blockierte den Eingang zur Sackgasse, wo das alte Haus der Gawis liegt. Die Bewohner konnten deshalb zwei Stunden lang weder zur Arbeit noch zur Schule gehen. Als einige Leute gegen die Absperrung zu protestieren versuchten, antwortete die Polizei mit Tränengas und verhaftete drei Palästinenser von Sheik Jarrah.  Mindestens einer wurde  schlimm verletzt und drei Palästinenser von Sheik Jarrah wurden verhaftet. Einige andere mussten wegen der chemischen Auswirkungen in vergasten Luft das Krankenhaus aufsuchen, auch sechs Frauen. Hasib Nashashibi, ein Mitglied der Koalition für Jerusalem, erwähnte, dass „rotes Gas“ verwendet wurde, das seiner Meinung nach besonders aggressiv sei. Nachdem er ein anderes Mitglied der Koalition für Jerusalem fragte, wieso man Tränengas gegen Zivilisten anwendet, antwortete sie, wir seien keine Zivilisten, wir seien Palästinenser …In ihren Augen sind wir  also Terroristen; deshalb bedrohen sie uns so barbarisch.

 

Gerichtsverhandlungen nach der Ausweisung

Salem Hanoun verließ das improvisierte Lager außerhalb seines früheren Hauses am Montag, um an einer Gerichtsverhandlung teilzunehmen. Die Ausweisungsorder war an seinen Bruder Maher Hanoun gerichtet. Er erhielt nie eine Ausweisungsorder, auch sein zweiter Bruder nicht, der auf der anderen Seite von Maher wohnt. Doch wurden die Fenster zerbrochen und die Familiemitglieder aus allen drei Häusern herausgezerrt. Neun Familien wurden zwischen den Häusern der Hanouns und Gawis unter Zwang aus ihren Häusern vertrieben, ohne  jemals einen Ausweisungsbefehl mit ihren Namen erhalten zu haben. Der Richter ordnete an, dass Saleem seine Urkunden zur nächsten Gerichtsverhandlung mitbringen soll. Doch die Siedler sind schon in seiner Wohnung und alle seine Sachen sind aus dem Haus geworfen worden. Früh am Morgen durchsuchte er einen Müllcontainer nach seinen Schuhen. Er sagte, die Polizei habe ihn direkt aus dem Bett gezogen, ohne ihm Zeit zu lassen, seine Schuhe anzuziehen.

„Die israelische Regierung denkt nicht an uns – sie denkt nur an die Siedler“, behauptet  ein Mitglied der Koalition für Jerusalem. Sie erwähnt außerdem, dass unmittelbar nach den Ausweisungen, die Siedler in die Häuser einzogen. Die Gawifamilie beobachtet wie eine Siedlerin eine Stunde hin und her ging, um sich zu entscheiden, welches Haus sie nehmen soll.

 

Vorfall mit Siedlern

Ungefähr um 9 Uhr abends griffen ultra-orthodoxe jüdische Siedler Palästinenser an, die auf der Straße saßen. Sie warfen mit Steinen und spuckten sie an. Etwa 100 Siedler schrieen und verfluchten eine größer werdende palästinensische Menge. Einer der Angreifer spuckte einem Jungen ins Gesicht, der kaum älter als fünf Jahre alt war. Die Polizei kam schnell und beruhigte die Situation friedlich. Obwohl die Siedler mit dem Streit anfingen, gingen nur zwei Polizisten auf sie zu. Die andern 25 bewaffneten Sicherheitskräfte und mehrere Autos trennte die aufgeregte palästinensische Menge.

 

Jerusalem, die Insel

Die vor kurzem stattgefundenen Ausweisungen sind Teil eines Planes, den arabischen Stadtteil von Sheik Jarrah mit jüdischen Siedlungen zu umgeben, um die etwa 500 Araber vom Rest der Stadt zu trennen und die Kontrolle über die größeren Straßen des Gebietes zu erlangen, sagt Nashashibi. Dies ist ein Akt der „Trennung , um das Land unter falschen Gründen fest zu halten“. Am Ende wird es eine lange Siedlung quer durch Jerusalem geben von der Straße Nr1 bis nach Maale Adumin, der größten Siedlung in der Westbank. Diese wird Jerusalem von der Westbank trennen. Er glaubt, sie werden so noch eine Insel schaffen. „Hebron ist eine Insel, Nablus ist eine Insel, Gaza ist ein Insel, sie sind alle von Siedlungen umgeben.“

 

Internationale Antwort

Obwohl der UN-Sonderbeauftragte für den Nahen Osten Robert Serry Sheik Jarrah am Montagnachmittag besuchte, sind die Jerusalemiten von der Internationalen Gemeinschaft frustriert und enttäuscht. Sie tut nichts gegen die ständigen  von Israel begangenen Verbrechen gegen das Völkerrecht, sagt ein Mitglied der Koalition und weist auf die Genfer Konventionen hin, die sich auf besetzte Gebiete beziehen.

Sie sollten politischen Druck auf Israel ausüben, auch was genau diese beiden Fälle betrifft. „Die internationale Gemeinschaft muss Israel als einen Staat ansehen, der  handelt, als ob  er über dem Gesetz steht. Denn was sie hier tun, ist gegen das Völkerrecht und sie verletzen alle internationalen Konventionen.

In einem offiziellen Statement sagt Serry: „ Ich  missbillige die jetzigen total unakzeptablen Aktionen Israels, diese Aktionen erhöhen die Spannungen und unterwandern die internationalen Bemühungen, um Bedingungen für fruchtbare Friedenverhandlungen  zu schaffen. ,“  und ruft Israel auf, sich ans Völkerrecht zu halten und die Verpflichtungen einzu- halten, die es mit der Road Map auf sich genommen hat. Israel sollte schließlich mit solchen Provokationen und inakzeptablen Aktionen in Ost-Jerusalem  aufhören.

Ähnliche Statements kamen von der EU: Der Präsident der europäischen Union wiederholte seine ernsthaften Bedenken über  die andauernde und nicht annehmbaren Ausweisungen in Ost-Jerusalem, besonders die  Ausweisungen  von zwei Familien aus ihren Häusern in Sheik Jarraj durch israelische Behörden“ .Außerdem  erinnert der Präsident, dass „Hauszerstörungen, Ausweisungen und Siedlungstätigkeit in Ost-Jerusalem nach dem internationalen Recht illegal seien.“  Das Statement weist auch darauf hin, dass sie gegen wiederholte Aufrufe der internationalen Gemeinschaft, einschließlich des Quartetts, verstoßen,  provokative Aktionen in Ost-Jerusalem zu unterlassen.

Nach 24 Stunden Schweigen über die kürzlichen Vorfälle erklärte die US-Außenministerin Hillary Clinton: „Ich habe schon vor der Ausweisung der Familien und der Zerstörung von Häusern in Ost-Jerusalem gesagt, dass dies nicht mit den israelischen Verpflichtungen übereinstimmt. Ich bitte die Regierung von Israel dringend und die Beamten der (Jerusalemer Stadtgemeinde) von solchen provokativen Handlungen Abstand zu nehmen.“ Sie fügt noch hinzu: „Beide Seiten sind dafür verantwortlich, provokative Handlungen zu unterlassen, die den Weg  zu einem umfassenden Friedensabkommen blockieren könnten. Einseitige Aktionen – egal von welcher Seite – können nicht dazu benützt werden, um das Ergebnis von Verhandlungen im voraus zu beeinflussen, und sie werden nicht anerkannt, um den Status Quo zu verändern.

 

Während wir am Dienstag den 4. August um 8 Uhr abends an der Einfahrt der Straße zu Gawis Haus vorbei gingen, war sie wieder von der Polizei blockiert. Wir wurden daran gehindert, durchzugehen, obwohl es einem Mann mit Schläfenlocken, langem schwarzen Kaftan und Zylinder erlaubt war, hier durchzugehen. Am Mittwoch, den 5. August blieb die Straße weiter geschlossen und den Reportern vom Al-Jazeera-Netzwerk wurde gesagt, sie könnten ohne Passierschein hier nicht durchgehen.

 

Hintergrund

Nach Hatem Abo Ahmad, dem Rechtsanwalt der Hannoun und Gawi-Familie: als die jordanische Regierung die Häuser für die palästinensischen Flüchtlinge in Sheik Jarrah baute, hatte die Regierung vor, die Besitzrechte den Familien innerhalb von drei Jahren zu übertragen. Dies geschah aber nie. Stattdessen benützte die Orientalisch-jüdische Gesellschaft und die Knesset-Israel-Gesellschaft Dokumente aus der ottomanischen Zeit, um 1982 das Besitzrecht auf das Land in Sheikh Jarrah  zu beanspruchen.

Ahmad sagt, er habe einen Brief von der türkischen Regierung, der beweist, dass es kein Originaldokument zu dem gibt, das die Siedlerorganisation vorlegt, das angeblich aus der Zeit um 1870  datiert sei. Dieser Beweis wurde dem Gericht im März dieses Jahres vorgelegt , etwa einen Monat nachdem das Gericht den Hanoun- und Gawi-Familien anordnete, das Haus bis 15. März zu verlassen oder sie ausgewiesen würden. Das Gericht entschied, die Dokumente seien zwei Jahre zu spät gekommen. Das Gesuch hätte innerhalb von 25 Jahren des ursprünglichen Anspruchs auf das Land gestelltt werden müssen, das nun den Siedlern vermacht wurde. Den Hanouns und den Gawis wurden am 30. Juli Schriftstücke mit dem Inhalt zugeleitet, dass sie innerhalb der nächsten 10 Tage freiwillig ihre Häuser verlassen müssten oder sie würden mit Gewalt vertrieben. Die Familien lebten seit 1956 dort.

 

(dt. Ellen Rohlfs)