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Der
Stadtteil von Sheikh Jarrah mit seinen 500 palästinensischen
Bewohnern steht unter Belagerung. Bewaffnete Kräfte sind hier seit
Sonntagmorgen stationiert, als die Hanoun- und Gawi-Familie mit
Gewalt von ca 500 Polizisten aus ihren Häusern
vertrieben wurde. Jetzt ist es ein Wartespiel. Die Familien schlafen auf den
Gehwegen vor ihren Häusern, bis sie auch von dort mit Gewalt vertrieben werden. Es ist nicht
das 1. Mal, dass sie aus ihren Häusern vertrieben werden. Sie sind Flüchtlinge
aus Haifa von 1948, der Nakba, was Israel den
Unabhängigkeitskrieg nennt. Die UNWRA schloss mit Jordanien, das damals
Ost-Jerusalem kontrollierte, ein Abkommen, das ihnen 1956 zu Wohnungen im Stadtteil von Sheik Jarrah verhalf, wo die
Familien seitdem wohnten.
Seit
den beiden Vertreibungen am Sonntag, den 2. August wurden 23 Leute verhaftet,
einschließlich Mitglieder der Gawi-Familie. Zwei
Kinder der Hanounfamilie liefen mit ihren Armen in
der Schlinge, nachdem sie von den Bullen mit Gewalt aus ihren Häusern gezerrt
worden waren. Etwa 250 Unterstützer - auch Rabbiner für Menschenrechten, von
ICAHD, Hadash, Anarchisten gegen die Mauer und von
ISM - demonstrierten am Samstagabend außerhalb des Hanounhauses, bevor mehr als 20 Polizisten mit Gewalt 13
der Demonstranten verhafteten, die meisten Einheimische – Israelis wie Palästinenser.
Alle wurden innerhalb von 24 Stunden unter der Bedingung entlassen, dass sie
mindestens die nächsten drei Wochen nicht nach Sheik Jarrah zurückkehren – einschließlich derer, die dort leben.
Ein
junger Mann, nicht älter als 20, wurde während der Vertreibung am Sonntag am
Bein verletzt. Nach Berichten der Einheimischen wurde er sechs Stunden lang eingesperrt, bevor es ihm erlaubt wurde,
medizinische Behandlung aufzusuchen. Die Verbindung von Tränengas und den
Schmerzen an seinem verletzten Bein machten ihn unfähig, mit uns zu reden.
Charihen, 20, aus der Hanounfamilie
war von Polizisten mit einem Gewehrkolben geschlagen worden, trug ihren Arm
auch in einer Schlinge. Sie studiert Psychologie an der Abu Dis-Universität. Am
Tag ihrer Vertreibung sollte sie eine Examensarbeit schreiben, die sie nun
versäumt hat. Das einzige, was sie noch tun konnte, bevor sie aus ihrer Wohnung
vertrieben wurde, war, dass sie ihr Fachbuch mitnahm, um für die Sommerkurse zu
lernen.
Charihen sagt, sie hätte die bewaffneten Polizisten
angeschrieen und gefragt, warum die israelischen
Siedler in ihrem Haus leben dürften. Einer der Polizisten antwortet: „Sie sind
Juden, ihr seid Araber – also können sie bleiben!“
Ihrer
Mutter wurde es nicht einmal erlaubt, sich anzuziehen und wurde im Schlafanzug
auf die Straße getrieben.
Am
Montagmorgen wachten die Bewohner auf, weil außerhalb ihrer Fenster Tränengas
war. Die Polizei blockierte den Eingang zur Sackgasse, wo das alte Haus der Gawis liegt. Die Bewohner konnten deshalb zwei Stunden lang
weder zur Arbeit noch zur Schule gehen. Als einige Leute gegen die Absperrung
zu protestieren versuchten, antwortete die Polizei mit Tränengas und verhaftete
drei Palästinenser von Sheik Jarrah. Mindestens einer wurde schlimm verletzt und drei Palästinenser von Sheik Jarrah wurden verhaftet.
Einige andere mussten wegen der chemischen Auswirkungen in vergasten
Luft das Krankenhaus aufsuchen, auch sechs Frauen. Hasib Nashashibi,
ein Mitglied der Koalition für Jerusalem, erwähnte, dass „rotes Gas“ verwendet
wurde, das seiner Meinung nach besonders aggressiv sei. Nachdem er ein anderes
Mitglied der Koalition für Jerusalem fragte, wieso man Tränengas gegen
Zivilisten anwendet, antwortete sie, wir seien keine Zivilisten, wir seien
Palästinenser …In ihren Augen sind wir
also Terroristen; deshalb bedrohen sie uns so barbarisch.
Gerichtsverhandlungen
nach der Ausweisung
Salem
Hanoun verließ das improvisierte Lager außerhalb
seines früheren Hauses am Montag, um an einer Gerichtsverhandlung teilzunehmen.
Die Ausweisungsorder war an seinen Bruder Maher Hanoun
gerichtet. Er erhielt nie eine Ausweisungsorder, auch sein zweiter Bruder
nicht, der auf der anderen Seite von Maher wohnt. Doch wurden die Fenster
zerbrochen und die Familiemitglieder aus allen drei
Häusern herausgezerrt. Neun Familien wurden zwischen den Häusern der Hanouns und Gawis unter Zwang aus
ihren Häusern vertrieben, ohne jemals
einen Ausweisungsbefehl mit ihren Namen erhalten zu haben. Der Richter ordnete
an, dass Saleem seine Urkunden zur nächsten
Gerichtsverhandlung mitbringen soll. Doch die Siedler sind schon in seiner
Wohnung und alle seine Sachen sind aus dem Haus geworfen worden. Früh am Morgen
durchsuchte er einen Müllcontainer nach seinen Schuhen. Er sagte, die Polizei
habe ihn direkt aus dem Bett gezogen, ohne ihm Zeit zu lassen, seine Schuhe
anzuziehen.
„Die
israelische Regierung denkt nicht an uns – sie denkt nur an die Siedler“,
behauptet ein Mitglied der Koalition für
Jerusalem. Sie erwähnt außerdem, dass unmittelbar nach den Ausweisungen, die
Siedler in die Häuser einzogen. Die Gawifamilie
beobachtet wie eine Siedlerin eine Stunde hin und her ging, um sich zu
entscheiden, welches Haus sie nehmen soll.
Vorfall
mit Siedlern
Ungefähr
um 9 Uhr abends griffen ultra-orthodoxe jüdische Siedler Palästinenser an, die
auf der Straße saßen. Sie warfen mit Steinen und spuckten sie an. Etwa 100
Siedler schrieen und verfluchten eine größer werdende palästinensische Menge.
Einer der Angreifer spuckte einem Jungen ins Gesicht, der kaum älter als fünf
Jahre alt war. Die Polizei kam schnell und beruhigte die Situation friedlich.
Obwohl die Siedler mit dem Streit anfingen, gingen nur zwei Polizisten auf sie
zu. Die andern 25 bewaffneten Sicherheitskräfte und mehrere Autos trennte die
aufgeregte palästinensische Menge.
Die
vor kurzem stattgefundenen Ausweisungen sind Teil eines Planes, den arabischen
Stadtteil von Sheik Jarrah
mit jüdischen Siedlungen zu umgeben, um die etwa 500 Araber vom Rest der Stadt
zu trennen und die Kontrolle über die größeren Straßen des Gebietes zu
erlangen, sagt Nashashibi. Dies ist ein Akt der „Trennung , um das Land unter falschen Gründen fest zu
halten“. Am Ende wird es eine lange Siedlung quer durch Jerusalem geben von der
Straße Nr1 bis nach Maale Adumin,
der größten Siedlung in der Westbank. Diese wird Jerusalem von der Westbank
trennen. Er glaubt, sie werden so noch eine Insel schaffen. „Hebron ist eine
Insel, Nablus ist eine Insel, Gaza ist ein Insel, sie
sind alle von Siedlungen umgeben.“
Obwohl
der UN-Sonderbeauftragte für den Nahen Osten Robert Serry
Sheik Jarrah am
Montagnachmittag besuchte, sind die Jerusalemiten von
der Internationalen Gemeinschaft frustriert und
enttäuscht. Sie tut nichts gegen die ständigen
von Israel begangenen Verbrechen gegen das Völkerrecht, sagt ein
Mitglied der Koalition und weist auf die Genfer Konventionen hin, die sich auf
besetzte Gebiete beziehen.
Sie
sollten politischen Druck auf Israel ausüben, auch was genau diese beiden Fälle
betrifft. „Die internationale Gemeinschaft muss Israel als einen Staat ansehen,
der handelt, als ob er über dem Gesetz steht. Denn was sie hier
tun, ist gegen das Völkerrecht und sie verletzen alle internationalen
Konventionen.
In
einem offiziellen Statement sagt Serry: „ Ich missbillige die jetzigen total unakzeptablen
Aktionen Israels, diese Aktionen erhöhen die Spannungen und unterwandern die
internationalen Bemühungen, um Bedingungen für fruchtbare Friedenverhandlungen zu schaffen. ,“ und ruft Israel auf, sich ans Völkerrecht zu
halten und die Verpflichtungen einzu- halten, die es
mit der Road Map auf sich genommen hat. Israel sollte
schließlich mit solchen Provokationen und inakzeptablen Aktionen in
Ost-Jerusalem aufhören.
Ähnliche
Statements kamen von der EU: Der Präsident der europäischen Union wiederholte
seine ernsthaften Bedenken über die
andauernde und nicht annehmbaren Ausweisungen in Ost-Jerusalem, besonders die Ausweisungen
von zwei Familien aus ihren Häusern in Sheik Jarraj durch israelische Behörden“ .Außerdem erinnert der Präsident, dass
„Hauszerstörungen, Ausweisungen und Siedlungstätigkeit in Ost-Jerusalem nach
dem internationalen Recht illegal seien.“
Das Statement weist auch darauf hin, dass sie gegen wiederholte Aufrufe
der internationalen Gemeinschaft, einschließlich des Quartetts, verstoßen, provokative Aktionen in Ost-Jerusalem zu
unterlassen.
Nach
24 Stunden Schweigen über die kürzlichen Vorfälle
erklärte die US-Außenministerin Hillary Clinton: „Ich habe schon vor der
Ausweisung der Familien und der Zerstörung von Häusern in Ost-Jerusalem gesagt,
dass dies nicht mit den israelischen Verpflichtungen übereinstimmt. Ich bitte
die Regierung von Israel dringend und die Beamten der (Jerusalemer Stadtgemeinde)
von solchen provokativen Handlungen Abstand zu nehmen.“ Sie fügt noch hinzu:
„Beide Seiten sind dafür verantwortlich, provokative Handlungen zu unterlassen,
die den Weg zu einem umfassenden
Friedensabkommen blockieren könnten. Einseitige Aktionen – egal von welcher
Seite – können nicht dazu benützt werden, um das Ergebnis von Verhandlungen im voraus zu beeinflussen, und sie werden nicht anerkannt, um
den Status Quo zu verändern.
Während
wir am Dienstag den 4. August um 8 Uhr abends an der Einfahrt der Straße zu Gawis Haus vorbei gingen, war sie wieder von der Polizei
blockiert. Wir wurden daran gehindert, durchzugehen, obwohl es einem Mann mit
Schläfenlocken, langem schwarzen Kaftan und Zylinder erlaubt war, hier
durchzugehen. Am Mittwoch, den 5. August blieb die Straße weiter geschlossen
und den Reportern vom Al-Jazeera-Netzwerk wurde
gesagt, sie könnten ohne Passierschein hier nicht durchgehen.
Nach
Hatem Abo Ahmad, dem Rechtsanwalt der Hannoun und Gawi-Familie: als die jordanische Regierung die Häuser für
die palästinensischen Flüchtlinge in Sheik Jarrah baute, hatte die Regierung vor, die Besitzrechte den
Familien innerhalb von drei Jahren zu übertragen. Dies geschah aber nie. Stattdessen benützte die Orientalisch-jüdische Gesellschaft und die
Knesset-Israel-Gesellschaft Dokumente aus der ottomanischen Zeit, um 1982 das
Besitzrecht auf das Land in Sheikh Jarrah zu beanspruchen.
Ahmad
sagt, er habe einen Brief von der türkischen Regierung, der beweist, dass es
kein Originaldokument zu dem gibt, das die Siedlerorganisation vorlegt, das
angeblich aus der Zeit um 1870 datiert
sei. Dieser Beweis wurde dem Gericht im März dieses Jahres vorgelegt
, etwa einen Monat nachdem das Gericht den Hanoun-
und Gawi-Familien anordnete, das Haus bis 15. März zu
verlassen oder sie ausgewiesen würden. Das Gericht entschied, die Dokumente
seien zwei Jahre zu spät gekommen. Das Gesuch hätte innerhalb von 25 Jahren des
ursprünglichen Anspruchs auf das Land gestelltt
werden müssen, das nun den Siedlern vermacht wurde. Den Hanouns
und den Gawis wurden am 30. Juli Schriftstücke mit
dem Inhalt zugeleitet, dass sie innerhalb der nächsten 10 Tage freiwillig ihre
Häuser verlassen müssten oder sie würden mit Gewalt vertrieben. Die Familien
lebten seit 1956 dort.
(dt.
Ellen Rohlfs)