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Dagan warnt vor Netanyahus mangelhaftem Urteil

 

Ari Shavit, Haaretz  3.6.11

 

Der frühere Mossadchef Meir Dagan ist äußerst besorgt über den September 2011. Er befürchtet nicht, dass Zehntausende von Demonstranten die Siedlungen oder Jerusalem überrennen könnten. Er befürchtet eher, dass Israels anschließende Isolierung seine Führer in die Enge treiben und sie dahin bringen könnte, eine leichtsinnige Aktion gegen den Iran zu unternehmen.

Es sind nicht die Iraner oder die Palästinenser, die Dagan nachts wach halten, sondern Israels Führung. Er vertraut nicht dem Urteil des Ministerpräsidenten B. Netanyahu und Verteidigungsminister Ehud Barak .

Die israelischen Medien handeln wie ihre sowjetischen Kollegen von damals, widmen dicke Schlagzeilen, füllen Seiten und übertragen viele Stunden im Radio und TV Dagans Rede in der Tel Aviver Universität vom Donnerstag.

Aber Dagan hielt keine Rede, er gab ein Interview. Das ist ein großer Unterschied. Dagan beabsichtigte nicht, all diese Dinge am Mittwochabend zu sagen. Sie gingen auf eine tiefe und unkontrollierbare Notwendigkeit zurück, die Wahrheit zu sagen.

 

Zwei Befürchtungen trieben Dagan an zu reden. Die eine ist die Furcht vor einem umfassenden regionalen Krieg, den Israel kaum überleben würde. Ariel Sharons Trauma war die israelische Niederlage bei Latrun 1948. Dagans Trauma war Israels Niederlage im Sinai in den ersten Tagen im Oktober 1973. Wegen dieses Trauma, empfand er eine höchste moralische Pflicht, einen unnötigen Krieg zu verhindern. Obwohl er wusste, dass er sich Konventionen widersetzte, entschied er sich, auszusprechen. Er will nicht Teil eines Schweigens sein, wie dem, das dem 1973er Krieg vorausging.

Dagans zweite Sorge ist der Status quo. Dagan ist kein Linker wie ihn Likudminister bezeichnet haben. Erglaubt nicht an Frieden mit Syrien oder ein unmittelbares End-Status-Abkommen mit den Palästinensern. Er ist sehr gegen die Errichtung eines palästinensischen Staates mit den 1967er-Grenzen  oder irgend einem Kompromiss beim Rückkehrrecht für Flüchtlinge. Er glaubt nicht an ein unmittelbares Evakuieren der Siedlungen.

 

Aber Dagan denkt, dass Israel um seiner selbst willen, die Initiative im Friedensprozess übernehmen muss. Er befürwortet Zusammenarbeit mit den moderaten arabischen Staaten und  ein Transferieren von umfangreichen Gebieten der Westbank an die Palästinenser, vorausgesetzt, dass ihre Grenzen ein Verhandlungspunkt sind.

Dagans Weltbild ist eine Kreuzung von Sharons und Ehud Olmerts Weltbild. Er hat die Fähigkeit der beiden früheren Ministerpräsidenten, mit ausländischen Führern zu kommunizieren, sehr geschätzt. Solch eine Fähigkeit hat er beim augenblicklichen Ministerpräsidenten nicht entdeckt.

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Dagan überraschte seine Zuhörer an der Tel Aviver Universität mit einem kohärenten Weltbild, Eloquenz und einem selten zivilen Mut. Es ist absolut klar, dass er in gewöhnlichen Zeiten, einige Dinge, die er sagte, nicht hätte äußern sollen. Aber nach Dagans Sichtweise sind es keine gewöhnlichen Zeiten. Es ist eine Minute vor Mitternacht.

 

(dt. und gekürzt Ellen Rohlfs)