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Israels scharfes Durchgreifen gegen UN-Hilfeorganisationen

– Angriff auf die Demokratie

 

Michael Sfard,

25.7.12. Haaretz

 

 

Man muss nicht unbedingt Sherlock Holmes sein, um zu begreifen, dass Israels Demokratie angegriffen wird. Die Realität um uns herum ist ein nicht zu leugnender Beweis.

Es hat eine Welle von Gesetzgebung  gegeben, die dafür bestimmt ist, den öffentlichen Diskurs einzuschränken und die politische Aktionsfreiheit zu begrenzen wie z.B.  das Nakba-Gesetz, das Gesetz um die Unterstützung des Boykotts zu verbieten und Vorschläge für Loyalitätsgesetze) Die Regierung hat gegen Menschenrechtsorganisationen aufgehetzt und stellt sie als verräterisch, anti-israelisch subversiv dar.

Man bemüht sich, die finanzielle Unterstützung, die von solchen Organisationen ausgeht, scheitern zu lassen (durch strenge Gesetzgebung und direkte Appelle an die Spender).

Man bemüht sich, Protestdemonstranten  in Sheikh Jarrah, al-Araqib, und auf der Rothshild-Boulevard abzuschrecken (mit Massenverhaftungen unter falschem Vorwand, Vorladungen von Protestorganisatoren zu „Diskussionen“ mit der Polizei oder dem Shin Bet-Sicherheitsdienst , mit polizeilicher Gewalt und der Erzwingung drakonischer Beschränkungen gegenüber den Demonstranten.)

 

Dieser Liste können wir noch eine Massenblattveröffentlichung hinzufügen, die nicht zögerte, einen veränderten, von einem Demonstranten vor seinem Selbstmord geschriebenen Brief zu veröffentlichen, in dem die Zeilen gelöscht wurden , die den Führer anklagen, dem die Zeitung auch als Sprachrohr dient.

Mit so viel Beweisen konfrontiert, würde sogar Dr. Watson die offensichtliche Schlussfolgerung ziehen: ein Komplott sei geschlossen worden, um die israelische Demokratie zu stürzen und stattdessen eine Art  nominelle „Putinistische“ Demokratie zu errichten, in der Abweichler keine andere Option haben, als  den Geist aufzugeben und sich der Mehrheit anzuschließen.

 

Dieses Übermaß an Daten hat kürzlich ein neues, klassisches Symptom eines demokratischen Kollaps eingeschlossen: eine Einschüchterungskampagne der Regierung gegen internationale humanitäre Hilfsorganisationen.

 

Ron Prosor, Israels Botschafter bei den UN, sandte einen Brief an den UN-Sekretär für humanitäre Angelegenheiten und  bittet darum, dass der Status des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten in den besetzten Gebieten „normalisiert“ werde. (Haaretz, 15. Juli 12)

 

OCHA koordiniert die Aktivitäten  von Dutzenden internationaler humanitärer Organisationen und Hilfsagenturen in der Westbank und im Gazastreifen. Diese Organisationen ernähren die Hungrigen, geben den Obdachlosen  ein Dach über den Kopf, helfen Arbeitsmöglichkeiten zu finden und mehr als alles andere: es hilft Zerstörtes, das Israel nach jedem militärischen Angriff hinterlassen hat,  wieder aufzubauen.

 

In den letzten Jahren konzentrierte sich OCHAs Arbeit  auf humanitäre Angelegenheiten und die Arbeit internationaler Organisationen in Ost-Jerusalem und in der Zone C der Westbank, wo Israels zivile Verwaltung an der Macht bleibt.  An beiden Orten zielt Israels Planungspolitik dahin, das palästinensische Leben zu drosseln und seine Präsenz so weit als möglich in diesen Gebieten zu reduzieren, damit diese Gebiete für Israels Zwecke benützt werden können.

Internationale Hilfsorganisationen erschweren die Ausführung dieses Ziels, da ihre Grundlage die humanitäre Not ist (wie z.B. Zelte verteilen, Wasser , Strom), und regelmäßig  versorgen sie die Leute mit dem, was Israel ihnen weggenommen hat, So ermöglichen sie es, dass die Palästinenser auf ihrem Land bleiben können.

OCHA arbeitet nicht vor Ort. Es koordiniert und berichtet der Agentur. Seine Arbeit wird als beispielhaft angesehen, zum Teil auf Grund seiner genauen, umfassenden Berichte, die an die diplomatischen Vertretungen weitergegeben werden. Solch ein von großen Bemühungen begleiteter Erfolg, der von einigen Hilfsorganisationen unternommen wird, bewirkt tiefen Wandel, einen Wandel, der die schreiende Notwendigkeit für humanitäre Hilfe verändern würde oder  anders ausgedrückt: dies würde die diskriminierende, beleidigende Politik der Zivilverwaltung ändern. Es ist genau das, was israelische Offizielle wie Prosor aufregen.

 

Im Augenblick wird Israels diplomatische  Finesse  von solch raffinierten Herren wie dem stellvertretenden Außenminister  Danny Ayalon fest gelegt. (der einmal den Sitz des türkischen Botschafters  sehr niedrig setzte). Im schändlich unterwürfigen Ton hat der Chef der Zivilverwaltung Brigadegeneral Moti Almoz in die Diktate der Siedler eingestimmt. Israels Antwort auf die Aktivitäten der Hilfsorganisationen, die anstelle der Zivilverwaltung die für die Grundbedürfnisse der Westbank- und Gazabewohner aufkommen, ist gleichsam ein Fußtritt ins Gesicht.

Außer Prosors Brief an die UN sind in den letzten Wochen mehrere Mitarbeiter der ausländischen Hilfsorganisationen  zu „Treffen“ mit  dem Koordinierungsbüro der zivilen Verwaltung  vorgeladen worden. Während dieser Treffen sind sie aufgefordert worden Einzelheiten über ihre Arbeit  weiterzuleiten. Ihnen ist gesagt worden, ihre Aktivität sei illegal und dass sie angeklagt werden könnten. Viele Organisationen stehen einem Papierkrieg mit den Behörden gegenüber,  nachdem sie einen Antrag  auf ein Arbeitsvisum für Mitglieder ihres Stabs beantragt hatten.

Als sie versuchten, klarzustellen, warum keine Visa ausgestellt würden, erhielten sie Drohungen und Anklagen, als ob die Fortsetzung ihrer Arbeit in Zweifel gezogen wird.

Der Gemeinschaft internationaler Hilfsorganisationen in den besetzten Gebieten liegen Israels Drohungen  zu Grunde und die Forderung, jede Hilfe zu unterlassen, die der lokalen Bevölkerung dort zu bleiben hilft , wo sie jetzt sind. Es besteht also das reale Risiko, dass Mitarbeiter humanitärer Hilfe von der israelischen Regierung ausgewiesen werden.  Sollte dies geschehen, würde sich Israel dem Sudan anschließen, der ähnlich handelte.  Sein Präsident Omar al-Bashir wurde der Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt.

 

Das ist ein  ernüchterndes Szenarium.

Die Methode, die versucht, das Maß des zivilen Protestes gegen die Regierungspolitik zu reduzieren, ist dieselbe Methode, Aktivisten zu „Diskussionen“ vorzuladen, Boykotte zu verbieten und Abweichlern die Finanzen zu streichen. Es ist dieselbe Methode, die die vollbrachte Arbeit  kontrolliert, die von denen gemacht wird, die humanitäre Hilfe in den (besetzten) Gebieten leistet. Die Angriffe gegen  die interne politische Opposition und der Angriff auf internationale  Hilfsorganisationen sind beides Symptome derselben Krankheit.

 

Der Autor ist Anwalt, der sich auf das internationale humanitäre Recht (Völkerrecht) und das Internationale  Menschenrechts-Gesetz spezialisiert hat.

 

(dt. Ellen Rohlfs)