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Ich habe keinen Bruder

 

Yossi Sarid, Haaretz 4.12.2009       

 

“Die Siedler sind unsere Brüder”, sagte Ministerpräsident Netanyahu in dieser Woche, und versuchte ihren heiligen Zorn  zu übermitteln. Aber lasst es mich klar sagen: sie sind nicht meine Brüder. Ich habe keine solchen Brüder und Schwestern.

Es ist für mich schwierig, ein Jude zu sein. Vor noch nicht langer Zeit war es sogar noch schwieriger – und zwar nicht deshalb, weil die ganze Welt gegen uns ist, sondern weil wir gegen die ganze Welt sind. Ministerpräsident David Ben Gurion hatte Recht. Es ist wichtig, was Juden tun – und was wir taten, war, uns selbst  wie ein verirrter Planet abzukapseln, der durch das Weltall irrt. Die Siedler haben uns abgeschnitten. Die Welt schaut uns durch das Teleskop an und fragt sich : ist dies dort vielleicht Israel? Ich stelle dieselbe Frage.

Es sei denn, wir sind bei der Geburt verwechselt worden oder es fand ein schrecklicher Fall von vertauschter Identität statt. Das hat nichts mit Phantasie zu tun. Wir gehören nicht zur selben Familie. Wenn ich sehe, wie sie  mit großem Eifer unlautre Mittel einsetzen, Felder in Brand setzen, Olivenbäume niederreißen, Kinder auf ihrem Schulweg  schlagen, Soldaten schlagen und Inspektoren wegjagen, dann schau ich auf mich, um sicher zu gehen, dass nicht ich das bin. Ich lehne jede Verwandtschaft ab. Ich bin kein Teil von ihnen.

 

Wenn ich sehe, wie ein Jude mehrfach  über einen verletzten arabischen Terroristen fährt, dann bin ich absolut sicher, dass jede Verbindung zwischen uns nur zufällig ist und dass ich  verpflichtet bin, mich  von ihnen vollkommen zu trennen. Ich muss mein menschliches Bild vor  bewahren, bevor auch ich von jenem silbernen Mercedes  überfahren werden. Und wenn ich sehe,  wie Juden Palästinenser aus ihren Häusern im Ost-Jerusalemer Stadtteil Sheik Jarrah  vertreiben und diese Wohnungen über nehmen und in warme Betten kommen, die gar nicht die Möglichkeit haben, kalt zu werden – aber ganze Familien in der Kälte lassen --- ich bin nur noch empört.

 

Was habe ich mit jenen Leuten zu tun. Brüder sind wir auf jeden Fall nicht, sondern eher Fremde in der Nacht. Man sagt, es gebe Richter in Jerusalem. Wo sind sie? Was ist mit ihnen geschehen? Haben sie auch damit zu tun?

 

Es sind tatsächlich jene, die  predigen, aber die Liebe zu ihrem jüdischen Nächsten nicht praktizieren, die aber eine größere Bereitschaft zeigen,  verabscheuungswürdige Verbrechen zu begehen. Tatsächlich ist es derjenige, der bei jeder Gelegenheit erwähnt, dass „wir doch alles Juden seien“, auch derjenige ist , der auf Blutbande wert legt und die allgemein ( menschlichen) Werte ignoriert.

Wir sind zwar nicht verantwortlich für die Art des Blutes, das in unsern Adern fließt. Der Vater und besonders die Mutter ist dafür verantwortlich. Wir wurden so geboren .. wir haben keinen Grund, uns zu beschweren, wir wollten nie anders sein. Es ist gut für uns, keine Schuld  an unserm Judentum  zu haben  - aber es ist eine bittere Pille, in Gesellschaft mit solchen Schurken zu sein, die ihre Taten mit der Rassentheorie rechtfertigen.

Warum trennen sich unsere Wege nicht, warum nehmen uns nicht die Verantwortung für sie?  Warum trennen wir uns nicht von ihnen, bevor ihre Häresie über unseren Köpfen das Haus einfallen läst?

Die Verbindung, die sich auf Werten und Kultur gründet, ist unsere Verantwortung. Aber wir erkennen nicht immer den vollen Ernst dieser  unserer Verantwortung.

Dies fordert mich heraus zu sagen: es ist besser, einen nahen oder fernen Nachbarn zu haben als einen sehr fernen Bruder  jenseits der Hügel der Dunkelheit, mit dem mich nichts verbindet

 

Blutsverwandschaft ist keine Bedingung oder Garantie für eine gemeinsame Sprache, was  ein paar Werte betrifft. Und nicht jeder Landsmann ist ein Verbündeter – zuweilen hat er seine eigenen Interessen.

Lassen wir Shimon Peres aufstehen und uns seine Ansichten mitteilen. Was werden wir mit dem Rebellenstaat machen, den  er bei Sebastia in der Westbank gegründet hat, der nun die Existenz des anderen Staates gefährdet , den Herzl und Ben Gurion vor ihm in Basel und Tel Aviv  gegründet hat?

(dt. Ellen Rohlfs)