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Abbas muss einseitig den palästinensischen Staat erklären

 

Yossi Sarid, Haaretz, 13.11.09

 

Genau jetzt sollte der palästinensische Präsident Mamoud Abbas nicht die Hoffnung aufgeben – nicht wegen der Freundlichkeiten, die Shimon Peres bei der Rallye Samstagabend auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv über Leute in Ramallah äußerte, die die Hoffnung aufgeben. Als ob es in der Residenz des Präsidenten jeden Tag Karneval gebe, und nicht nur dann, wenn er seinen Koffer für einen Trip nach Brasilien packt.

 

Abbas hatte Recht, als er zu verlautbaren sich entschied, er wolle bald zurücktreten. Es ist unmöglich, Verhandlungen „ohne Vorbedingungen“ zu führen, während der Siedlungsbau weitergeht. Seit 42 Jahren hat Israel seine Vorbedingungen und vollendete Tatsachen überall in der Westbank  verstreut und mit roten Dächern versehen – und so den Friedensprozess in einen endlosen Prozess verwandelt.

 

Doch bevor Abu Mazen geht, hat er noch einen Job zu erledigen: er muss einseitig die Errichtung eines unabhängigen palästinensischen Staates erklären. Palästina jetzt.

Beide Seiten haben das Recht, einseitig zu handeln. Abbas ist dies seinem Volk schuldig, sich selbst und uns. In dieser Woche gab es Berichte, Ministerpräsident Benjamin Netanyahu  finde diese Möglichkeit sehr unheimlich  und  er erwarte  von den Amerikanern, dass sie dies im Keime ersticken. Aber dieser Alptraum ist unsere Chance für ein Ende der Besatzung während unserer Lebenszeit.

Wenn er die Unabhängigkeit erklärt, sollte er die Juden, die im Staat Palästina leben, aufrufen, Frieden zu bewahren und  ihren Teil dazu beitragen, das neue Land  als ebenbürtige und gleiche Bürger mit aufzubauen, wobei sie in allen Institutionen die gleiche Vertretung hätten. David Ben Gurion würde sich wegen solch eines Plagiats seiner Unabhängigkeitserklärung nicht aufgeregt haben.

Und so würde Abbas der palästinensische Ben Gurion werden. Die Verhältnisse waren damals nicht weniger verwirrend und die Umstände nicht weniger sicher, als Ben Gurion 1948 die Unabhängigkeit erklärte. Aber unser Gründungsvater übernahm das Risiko, und wir sind glücklich, dass er es tat.

Das Risiko, das Abbas übernimmt, ist viel kleiner. Von den 192 Mitgliedsstaaten der UN würden 150 ein freies Palästina anerkennen und es wäre bald der 193. Staat. Auch wenn die amerikanische Position unbekannt ist, kann man sich kaum vorstellen, dass Barack Obama  damit einverstanden wäre, Amerika in die Isolation zurück  zu führen – jetzt wo es angefangen hat, wieder ein Teil davon zu werden.

Und was wird Netanyahu tun?  In die Westbank einfallen und sie zurückerobern? Die Militärregierung in der Muqata in Ramallah wieder herstellen?

Und welche Befehle wird Ehud Barak  seiner Armee geben? Serbien wagte nicht, in den Kosovo einzufallen, nachdem es seine Unabhängigkeit erklärt hatte. Und selbst das große Russland erlaubte sich nicht, nach dem Krieg innerhalb des souveränen Gebietes von Georgien zu bleiben.

 

Nach der Erklärung werden in der Hauptstadt Ost-Jerusalem Feierlichkeiten beginnen und Menschen aus aller Welt werden sich  diesen anschließen , sogar Israelis. Die Massen des Hauses Ismael werden sich  voll Freude durch die Vororte bewegen, vor allem durch die, aus denen sie  von Leuten mit priesterlichen Ambitionen vertrieben wurden. Dies wird  mit Freude verbunden sein ohne irgend eine Gewalt – kein einziger Stein wird geworfen werden.

 

In dieser Woche telefonierte ich mit Abbas, nachdem ich seit wenigstens vier Jahren nicht mit ihm gesprochen hatte. Ich sagte ihm all dies, was ich hier geschrieben habe. Ich sagte ihm auch noch etwas anderes: Was sich  mit der Mauer in Berlin vor 20 Jahren zugetragen hat und  was sich mit der Apartheid nur wenige Monate später ereignete, würde auch mit der Besatzung geschehen. Sie wird zusammenbrechen, selbst wenn man versuchen wollte, sie mit Nägeln zu verstärken .

 

(dt. Ellen Rohlfs)