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Mazin Qumsiyeh, 30.11.2010
Die Konferenz in Stuttgart über Palästina stand unter dem Thema: „Getrennt in der Vergangenheit - zusammen in die Zukunft“ . Sie war ausgebucht und hatte einige hochkarätige Redner und eine Menge Energie. Wir lauschten, sprachen, vernetzten uns, kauften einander Bücher ab, aßen, umarmten uns, weinten und lachten. Ich verbrachte viel Zeit mit Nachdenken; vielleicht auch deshalb, weil ich an den Flughäfen lange warten musste oder weil solch eine Konferenz uns die Möglichkeit gibt ( über vieles) nachzudenken. Gedanken sind ein gemischter Segen. In jenem Labyrinth von Neuronen, die zuweilen unkontrolliert herumflirren, werden wir in die Vergangenheit befördert und in die Gegenwart und (natürlich) auch mit der Zukunft verbunden. Mit Bildern und Geschichten, Klängen und Gerüchen. Die eine Minute, in der ich an meine Verzögerung von drei Stunden an der Jordanbrücke dachte, während israelische Shin Bet-Agenten herumhasteten und herauszufinden versuchten, was sie mit mir machen sollen. Ich dachte zornig und entrüstet nach, und sprach einen jungen gepflegten ( vielleicht russischen) Burschen zweimal an. Hab ich ihn zu viel oder zu wenig herausgefordert?
Während man Deutschland besucht, muss man auch über seine Geschichte nachdenken. Die Gedanken bringen einen auch in Zeiten, bevor man geboren wurde, in Perioden der Geschichte und zu Fakten, über die ich gelesen und die ich überprüft habe und die im Widerspruch zu den Mythen stehen, die täglich der ahnungslosen Öffentlichkeit beigebracht werden. Deutschland lebt in der modernen Gegenwart, aber der Dunst einer schweren und dunklen Vergangenheit ist überall dabei und schafft dicke, verschwommene Visionen. Einige Leute versuchen, Deutsche und sich selbst davon zu überzeugen, dass dies jener Nebel ist, der von einer schwierigen Vergangenheit ausgeht. Wir denken und sprechen davon, wie man den Deutschen am besten erklären kann, dass Schuldgefühle fehlgeleitet werden. Wie erklären wir die Nazi-Zionistische Zusammenarbeit und die Schrecken, die wegen Vorurteilen vor sieben Jahrzehnten wirklich geschahen. Aber am meisten dachte ich darüber nach, wie gut und wie böse Menschen sein können.
Schließlich, kam auch Ilan Pappe, ein brillanter Professor und Humanist, der all seine Stammesgrenzen aufgegeben hat, um seine Menschlichkeit zu bewahren. Und was ist mit Ehud Barak, einem Kriegsverbrecher, mit dem Blut von Tausenden an seinen Händen?
„Nicht in meinem Namen“ ist die Botschaft einer großartigen jüdisch-deutschen Frau (Evelyn Hecht-Galinski) in ihrer Rede. Ihre klare Stimme wirft wie ein Echo die Stimmen der Propheten zurück, die zu dekadenten Königen in der Vergangenheit sprachen und in leidenschaftlicher, moralischer Klarheit den Horror zum Ausdruck brachten, der sie erwartet, wenn sie ihren zerstörerischen Kurs beibehalten. Als Menschen können wir es uns nicht leisten, daneben zu stehen und zuzusehen, wie sich westliche Regierungen Lobbies unterwerfen und Waffen und Geld senden, das dazu benützt wird, schreckliche Verbrechen zu begehen. Als Bürger dieser Länder können wir nicht schweigen. Ich lauschte Evelyns Worten ( die aus dem Deutschen ins Englische übersetzt wurden) und dem Ton ihrer strengen Stimme und ihrem entschiedenen Blick, der in die Herzen einer hypnotisierten Zuhörerschaft drangen. Ich denke, so sieht Anstand und Mut aus .
Ich hörte Ilan Pappe zu, der in einfacher und allgemein verständlicher Sprache brillant ausdrückte, was diesem „Problem“ zugrunde liegt ( dass es ein einfacher Kolonialismus und Rassismus ist, nichts Besonderes als der Erfolg von Propaganda, vermischt mit Mythen, Lügen und Unsinn). Er erklärte, wie uns erlaubt wird, spezielle israelische Politik zu kritisieren, wie z.B. den Angriff auf Gaza etc. Aber es wird uns nicht erlaubt, die Ideologie (den Zionismus) hinter dieser Politik zu kritisieren. Wir müssen uns weniger mit den Symptomen als mit den Ursachen befassen. Er erwähnte, wie Zionisten selbst Jahrzehnte lang den Terminus „kolonisieren“ benützt haben, um ihre Aktivitäten zu beschreiben, die dahingingen, einen Staat zu schaffen, während man ein Land zerstört (Sein Buch: „Die ethnische Säuberung Palästinas“ bleibt ein Klassiker). Doch meine Gedanken gehen auch zu den ausgerissenen Olivenbäumen in Al-Walaja und wandern über die ganze Landkarte. Gefühle moralischer Empörung, vermischt mit Erinnerungen an die Kindheit, als wir in den Hügeln spielten, die noch nicht von Siedlungen infiziert waren.
Ich hörte meinem Freund Dr. Haidar Eid zu, der das Leben in Gaza beschrieb, und konnte nur über die Absurdität nachdenken, dass er weniger als zwei Stunden von mir entfernt lebt, aber wir uns zum ersten mal persönlich viele Tausende Kilometer entfernt in Stuttgart, in Deutschland, treffen können. Es ist nicht fair, dass er mit 1,5 Millionen Gefangenen, deren einziges Verbrechen es ist, nicht jüdisch zu sein, in einem Konzentrationslager eingesperrt ist; dazu kommt auch noch ethnische Säuberung und Besatzung. Haidars Jahre in Südafrika gaben ihm die Möglichkeit, die Ähnlichkeiten und Unterschiede unserer „hafrada“ ( hebr. für Trennung) mit der „Apartheid“ (Afrikaans für Trennung) zu verstehen.
Ali Abunimahs klare Beschreibung über die BDS-Bewegung und den Medienkampf in den US ergänzte gut unser Reden über das Leben und den Kampf in Palästina.
Felicia Langer war auch da. Jahrzehntelang arbeitete sie als israelische Anwältin und versuchte, die palästinensischen politischen Gefangenen in inoffiziellen Gerichten der kolonialen Apartheid zu verteidigen. Ich denke, dass das Bild von ihr und mir und Haidar
auf dem Podium wie ein Bild der Zukunft in einem inklusiven demokratischen Staat sein wird..
Ich lauschte auch meiner Freundin Lubna Masarwa, die besser als jeder von uns die moralische Entrüstung, die richtig und dringend ist, in Worte brachte. Sie sagte: „Wir kämpfen als Palästinenser und sind müde und wünschen so sehr, dass Ihr mehr tut … es ist dringend notwendig. Die Welt lässt Israel Massaker ausführen und fährt mit der ethnischen Säuberung fort… warum ?… genug ist genug … wir haben die Nase voll..“ Meine Gedanken prallen hier in einem Raum an dunkle Mauern und versuchen, daran zu denken, warum die Krankheit der Apathie unter Menschen so schwer zu heilen ist. Schweigen und Gleichgültigkeit, während Ungerechtigkeit und Kriegsverbrechen begangen werden, ist keine historisch ferne Episode, sondern eine brutale lebendige Realität. Die Kinder in Auschwitz vor 70 Jahren und die Kinder von Gaza, Sabra und Shatila in unserer Zeit, waren schließlich noch Kinder. Ihre traurigen Augen und ihr Leiden mögen vom größten Teil der Menschheit ignoriert werden, aber ihre Wahrheit wird tiefer dringen als jeder Nebel von Mythologie. Es kann im Zeitalter des Internet keiner mehr sagen: „Wir haben nichts davon gewusst.“
Ich sprach über den palästinensischen Volksaufstand ( Das Thema meines eben erschienenen Buches) und erklärte so einfach wie möglich, was es bedeutet, hier zu leben, hier zu kämpfen und zu lieben. Ich erklärte, dass wir in diesem als Menschheit alle zusammen gehören und dass dies nicht nur ein Kampf von und für die Palästinenser ist. 130 Jahre lang Widerstand zusammenzufassen ist nicht leicht. Bei einer Konferenz wie der in Stuttgart ist wirklich wenig Zeit; jeder will mit uns reden, ein Buch signiert haben, Visitenkarten austauschen, einander umarmen.
Die Organisatoren machten eine großartige Arbeit. Ich blieb bei einem wunderbaren palästinensischen Gastgeber ( Anton). Zwei der wichtigsten Organisatoren sprachen auch über den Kampf, den die Beduinengemeinschaften im Negev durchstehen müssen. Attia und Verena Rajab ( und ihr junger Sohn, der auch aktiv war) verkörpern Freundlichkeit und harte Arbeit wie auch Liebe, die ein Vorbild für uns alle sind.
Es könnte noch mehr über diese Konferenz gesagt werden, aber letzten Endes sagte Lubna genau das Richtige: „Wir haben genug geredet, nun ist Zeit zum Handeln.“ Und alle , die bei der Konferenz waren, krempelten ihre Ärmel hoch und gingen an die Arbeit.
Für mehr Informationen zur Konferenz: http://senderfreiespalaestina.de/konferenz/index.html
Und www.publicsolidarity.de http://publicsolidarity.de/
( dt. Ellen Rohlfs)