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BRECHT das SCHWEIGEN

Israelische Soldaten brechen es und eine Ausstellung wird am 17. September 2012 im Willy Brandt Haus eröffnet

Von Rupert Neudeck

22.08.12

 

 

 

Es ist ein so wichtiges Buch, weil mit diesem Buch israelische Soldaten nach ihrer Zeit als Besatzungssoldaten noch mal beschreiben, was sie alles an Unsinnigem, Lästigen, Verbrecherischen tun mussten. Es ist so wichtig und gut, dass es für sich spricht. Die Mitglieder der Bewegung „Breaking the Silence“ sind mutige Menschen. Weshalb es völlig unsinnig ist, ihnen noch ein politisch korrektes Vorwort vor die Bekenntnisse zu klatschen. Aber der Avi Primor, der zweite Israelische Botschafter, der nur pro Forma in Herzlija wohnt, in der Regel für solche Aufgaben in Deutschland, schreibt ein verharmlosendes Vorwort, damit erst mal die Broder und Co nicht gleich wieder wie wild auf das Buch schießen. Diese Helden, die wir auf den nächsten 400 Seiten erleben, wüssten ganz genau, welchen Gegner sie haben. Darum geht es in dem ganzen Buch nicht, sondern um den verbrecherischen Unsinn der  israelischen Besatzung und der Unterdrückung eines Volkes seit 60 Jahren. Avi Primor aber muss es noch mal sagen: Israel sei das einzige Land auf Erden, dem man regelmäßig mit Vernichtung droht. Dazu müsste man als Vorwort auch sagen: Israel ist das einzige Land der Erde, das sich an keine UNO-Resolution hält, das Palästinenser seit drei bis vier Generationen in ihrer Bewegung hindern kann, das Versprechen nicht einhalten muss, das zwar von dem Nachbarn fordert, dass er sie in seinen Grenzen anerkennt, aber diese Grenzen anerkennt,.

Das Vorwort steht im Widerspruch zu dem, was dann in hunderten von kleinen Kapiteln folgt. „Breaking the Silence“ ist nicht von der „Gerechtigkeit der permanenten israelischen Verteidigungsbemühungen absolut überzeugt“.

Die Zeugen berichten erschütternde Dinge, von den Zerstörungen der Häuser, die mit kunstvollendet angelegten Sprengladungen in 15 Minuten geschehen sein müssen. Die Soldaten erzählen zögernd davon, wie manche Checkpoints völlig sinnlos in der Westbank angelegt werden. Im Ersten Teil geht es um „Vorbeugung“, um die Einschüchterung der palästinensischen Bevölkerung, wohlgemerkt, einer Bevölkerung, die nach offizieller Politik schon längst Bürger eines zweiten Staates sein soll. Die Kapitel-Überschriften sind schon Beleg dafür, dass diese Soldaten nicht „absolut“ von der „Gerechtigkeit“ dessen überzeugt sind, was sie da tun“ Du willst ihn umbringen, aber er weint.“ Und: „Sie verprügelten ihn un rammten ihm den Gewehrkolben gegen den Kopf“. Und: „Wir sind in die Häuser unschuldiger Menschen eingedrungen, die ganze Zeit, jeden Tag“. Und: „Zielen Sie auf die Augen, so dass ein Auge wegfliegt.“ Und: „Der Wahnsinn bricht in dir einfach durch, weil es möglich ist“.

Nein, diese Soldaten sind eben nicht von der Gerechtigkeit dessen, was sie da tun müssen überzeugt. Sie machen eine wörtlich „Vergeltungsoperation“, es werden einfach sechs unbewaffnete Polizisten erschossen, weil vorher sechs Soldaten umgebracht worden sind. Der Kommandeur hat es dem Besatzungssoldaten der Pioniere gesagt – das ist in dem Buch natürlich alles anonym. Am Tag danach wurde das auch in den Zeitungen als „Vergeltungsoperation publik gemacht. Die irrsinnige Schlagzeile war: ‚Angemessene Blutrache’“. Dann wird dieser Soldat noch ganz wahnsinnig, Er fragt den Leser: „Willst Du die Wahrheit wissen? Es hat mir Spaß gemacht. Es hat viel Spaß gemacht, weil es das erste Mal war, dass man einen echten ‚Sturmangriff’ ausführt, wie ich es in der Ausbildung gemacht habe“.

In einem anderen Kapitel in Nablus sagt ein Soldat der Maglan Einheit: Du willst fernsehen während der WM-Übertragungen. „Also nimmst du die palästinensische Familie, holst die aus dem Haus raus, damit du dich in ihrem Wohnzimmer breitmachen und gucken kannst.“ Für den Soldaten Israels spielt es keine Rolle, was er tut, „Du bist immer davonkommen. Ich meine, ich konnte ohrfeigen, schlagen, jemanden ins Bein schießen. Ich kann mir keine Situation vorstellen, für die ich schuldig gesprochen worden wäre, denn ich konnte ja immer behaupten, dass es Selbstverteidigung war.“ Zweitens, fügt er hinzu, sei das Leben eines gewöhnlichen Zivilisten immer weniger wichtig  als die Interessen der Armee.“

Neues Kapitel: „Mir war nicht bewusst, dass es Strassen nur für Juden gibt“, noch mal der Beweis, dass diese Soldaten nicht absolut von der Gerechtigkeit der eigenen Maßnahmen überzeugt sind. Wörtlich: „Da ging es bei mir wie ein rotes Lämpchen an, weil mir nicht bewusst gewesen war, dass es Strassen nur für Juden gibt“.

Im zweiten Teil – „Trennung“ überschrieben - gibt es eine Szene, die überschrieben ist: „Die Demonstranten werden verprügelt, und die Offiziere knabbern Sonnenblumenkerne“. Der Soldat berichtet von der Protestdemonstration in Bi’lin an der Mauer. Gewaltloser Widerstand. Es wird gestoßen, Steine werden geworfen. Leute werden während der Demo zusammengeschlagen. „Ich sehe, wie meine Offiziere lachen, mit dem Rücken zu mir, sie sterben vor Lachen. Und unten sehe ich die Grenzpolizei Menschen zu Brei prügeln, Menschen würgen, ein Mann blutet“. Der Soldat sagt sich: „Das ist genau wie in den Büchern, die ich gelesen habe“. Es kam in ihm hoch: Jedes Mal, wenn Leute erschossen werden, „kommt mir dieses Bild in den Sinn, ich muss das in einem Film gesehen haben. „Wie Nazis Juden an Gruben erschießen und Offiziere stehen daneben und lachen“. Es sei nicht das Gleiche und es gäbe keinen Zusammenhang, aber Leute werden zusammengeschlagen, „da ist Blut und sie die Offiziere lachen, knabbern Sonnenblumenkerne“.

Ja, diese Soldaten haben einen Sinn, einen absoluten Sinn für die Gerechtigkeit und verbinden diesen Sinn nicht mit ihrer realexistierenden Armee.

Ich kann einen Verlag und einen Lektor nicht verstehen, der als Vorwort zu einem so unglaublich mutigen Buch einen solchen hemmungslosen Persilschein-Schwachsinn akzeptiert. Das Buch ist voll erschütternden Materials. Interviews sind es alle, mit genauer Jahreszahl der Benennung der Militäreinheit und dem Ort. Der erste Teil ist „Vorbeugung“ überschrieben. Der zweite „Trennung“. Die Kontrolle soll erreichen, dass möglichst Juden und Palästinenser sich nicht mehr begegnen. Der dritte Teil ist überschrieben „Lebensstruktur“ und behandelt die Verwaltung des Lebens palästinensischer Zivilisten. Der vierte Teil schildert die Apartheid-ähnliche Struktur eines Herrschaftssystems, in dem die einen alles dürfen, und die Armee aufgefordert wird, die Randale der Siedler abzusichern.

Er fordert der Soldat der Nachal Brigade einen Israeli auf stehen zu bleiben „Für wen halten sie sich, mir das zu sagen?“, sagt der Siedler. Ich bin doch kein Araber, dass man mich jetzt hier kontrolliert. Der Soldat sagt: „Ich bin hier, um Sie zu schützen, bitte, wenn sie so freundlich wären“. Nein, antwortet der Siedler, ich mache, was ich will. „Sie sind zu nachgiebig mit den Palästinensern. Sie sind zu nachsichtig mit ihnen. Sie sind nicht hart genug. Es war von diesem Moment an, an dem ich mir gesagt habe, dass ich mich von den Siedlern distanziere“.

Von wegen „’Breaking the Silence’ ist von der Gerechtigkeit der permanenten israelischen Verteidigungsbemühungen absolut überzeugt“. Dann fügt der Vorwort Autor noch hinzu, dass die israelische Seite es wie die Bibel verlangt, dass unser Lager sauber und rein bleibt.“

Nein, man möchte bitte dieses Vorwort aus dem Buch herausnehmen, es beleidigt so sehr diese mutigen israelischen Soldaten mit ihren hunderten von großartigen und couragierten Zeugnissen.

Breaking the Silence. Israelische Soldaten berichten von ihrem Einsatz in den besetzten Gebieten. Econ Verlag Berlin 2012 415 Seiten