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Um Israel zu retten, boykottiere die Siedlungen

 

Peter Beinart, 18.3.12 New York Times

 

 

An einen demokratischen  jüdischen Staat zu glauben, ist so,  als sei man zwischen die Klemmbacken einer Kneifzange geraten.

Einerseits löscht die israelische Regierung die „grüne Linie“, die  das eigentliche Israel von der Westbank trennt. 1980 lebten etwa 12 000 Juden in der Westbank (einschließlich Ostjerusalem). Heute haben Regierungs-Subventionen geholfen, dass die Anzahl auf mehr als 300 000 gestiegen ist. Tatsächlich zeigen viele israelische Karten und Schulbücher die Grüne Linie nicht mehr.

 

2010 nannte Israels Ministerpräsident B. Netanjahu die Siedlung Ariel, die sich weit in der Westbank erstreckt, „das Herz unseres Landes“. Mit seiner Pro-Siedler-Politik baute er eine politische Entität zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer auf – eine Entität von zweifelhafter demokratischer Legitimität, angesichts der Tatsache, dass Millionen Palästinenser der Westbank von der Staatsbürgerschaft und dem Recht zu wählen, von dem Staat, in dem sie leben, ausgeschlossen werden.

Als Reaktion darauf, haben viele Palästinenser und ihre Unterstützer eine globale Kampagne von Boykott, Divestment und Sanktionen (BDS) initiiert, die nicht nur zum Boykott aller israelischen Produkte aufruft und zur Beendigung  der Besatzung, sondern auch  das Recht zur Rückkehr für Millionen palästinensischer Flüchtlinge zu ihren Häusern – eine Agenda, die, würde sie ausgeführt, Israel als jüdischen Staat demontieren .

 

Die israelische Regierung und die BDS-Bewegung fördern radikal verschiedene Ein-Staaten-Visionen, aber zusammen werfen sie die „Zwei-Staaten-Lösung in die Mülltonne der Geschichte.

Es wird Zeit für eine Gegenoffensive – eine Kampagne, um die Grenze zu befestigen, die die Hoffnung für einen jüdischen demokratischen Staat neben einem palästinensischen Staat aufrecht erhält. Und diese Gegenoffensive muss bei der Sprache beginnen.

 

Jüdische Falken sprechen oft von dem Gebiet jenseits der Grünen Linie  mit den biblischen Namen Judäa und Samaria ( abgekürzt Jescha) und deuten damit an, dass es  jüdisches Land war und immer sein wird. Fast jeder andere, einschließlich dieses Artikels nennt dies Westbank.

 

Aber beide Namen täuschen. „Judäa und Samaria“ deuten an, dass  das Wichtigste dieses Landes seine biblische Herkunft ist;  „Westbank“  deutet an, dass das Wichtigste seine Beziehungen zum jordanischen Königreich ist.. Erst nachdem Jordanien 1948 das Gebiet eroberte, wurde der Terminus „Westbank“ geprägt, um ihn vom Rest des Königreichs, das auf der östlichen Seite des Jordan liegt, zu unterscheiden. Seitdem Jordanien das Land  westlich des Jordan nicht mehr kontrolliert, ist „Westbank“ ein Anachronismus. Er sagt nichts Bedeutendes über das Land von heute aus.

Stattdessen sollten wir die Westbank „undemokratisches Israel“ nennen.  Dies lässt vermuten, dass es  heute zwei Israels gibt: eine fehlerhafte, aber echte Demokratie innerhalb der Grünen Linie und eine ethnisch bestimmte, undemokratische jenseits der Grünen Linie. Es antwortet auf  Bemühungen  israelischer Führer, die Legitimität des demokratischen Israels anzuwenden, um die Besatzung zu delegitimieren und von Israels Gegnern die Illegalität der Besatzung anzuwenden, um das demokratische Israel zu delegitimieren.

 

Während wir diesen rhetorischen Unterschied gemacht haben, sollten die amerikanischen Juden jede Gelegenheit suchen, um dies zu bekräftigen. Wir sollten Einfluss nehmen auf  Amerikas Freihandelsgeschäft mit Israel, dass die von Siedlern produzierten Waren  ausgeschlossen werden. Wir sollten durchzusetzen versuchen, dass die Interne Staatseinkünfte-Politik beendet wird, die Amerikanern erlaubt,  Spenden an die Siedler  steuerfrei zu geben. Jedes Mal wenn eine amerikanische Zeitung Israel eine Demokratie nennt, sollten wir darauf drängen, dass sie  „nur innerhalb der Grünen Linie“ dazusetzt.

 

Aber ein Siedlungsboykott ist nicht genug. Es muss mit einer gleich kräftigen Umarmung des demokratischen Israel zusammengehen. Wir sollten das Geld, dass wir nicht für Siedlerwaren ausgeben, für Waren ausgeben, die innerhalb der Grünen Linie produziert werden. Wir sollten mit der gleichen Intensität gegen Bemühungen sein, sich von israelischen Gesellschaften trennen, wie die Bemühungen unterstützen, die sich von Gesellschaften in den Siedlungen trennen: nenne es zionistische BDS.

Unterstützer der augenblicklichen BDS-Bewegung werden behaupten, dass der Unterschied zwischen dem demokratischen und undemokratischen Israel künstlich sei. Schließlich profitieren viele Gesellschaften von der Besatzung, ohne im besetzten Gebiet ihren Sitz zu haben. Warum sollten wir sie nicht auch boykottieren? Die Antwort lautet, dass der Boykott vor allem innerhalb der Grünen Linie zur Zweideutigkeit des letzten Boykottzieles einlädt – sucht er das Ende von Israels Besatzung oder von Israels Existenz.

Amerikanisch-jüdische Organisationen mögen behaupten, es sei unfair die israelischen Siedlungen zu bestrafen, wenn es in der Welt viel schlimmere Menschenrechtsverletzungen gibt und wenn Palästinenser  immer noch grausame Terrorakte begehen. Aber Siedungen brauchen nicht die schlimmsten Menschenrechtsverletzter sein, um boykottiert zu werden. Schließlich boykottieren zahlreiche amerikanische Städte und Organisationen Arizona, nachdem es 2010 ein drakonisches Einwanderungsgesetz verabschiedet hat.

 

Die relevante Frage ist nicht: „Sind sie die schlimmsten Täter?“ oder eher: „ Gibt es eine systematische Unterdrückung, dass ein Boykott hier befreien helfen könnte.“ Dass Israel systematisch die Westbank-Palästinenser unterdrückt, ist sogar vom früheren israelischen Ministerpräsidenten  Ehud Barack  und Ehud Olmert anerkannt worden, der gewarnt hat, dass wenn Israel seine Herrschaft dort fortsetzt, dann könnte dies zu einer Apartheid nach südafrikanischem System  führen.

Boykott könnte helfen, dies zu verändern. Schon prominente israelische Schriftsteller wie David Grossman, Amos Oz und A.B. Yehoshua weigerten sich, die Siedlung Ariel zu besuchen. Wir sollten ihre Bemühungen unterstützen; denn indem wir Gesellschaften überzeugen, beginnen die Leute das undemokratische Israel zu verlassen, statt in Scharen dorthin zu kommen. Es ist wichtig, die Möglichkeit einer Zweistaatenlösung lebendig zu halten. ….

 

Während ich dies schreibe, schaudere ich zurück. Die meisten Siedler sind keine schlechten Leute; viele arme Sepharden, Russen und ultra-orthodoxe Juden sind einfach deshalb in die Siedlungen gezogen, weil die Regierung die Wohnungen subventionierte. Noch grundlegender, ich bin ein überzeugter Jude, ich gehöre zu einer orthodoxen Synagoge und schicke meine Kinder in die jüdische Schule und sehne mich danach, ihnen dieselbe Ergebenheit gegenüber dem jüdischen Volk beizubringen, wie es meine Eltern mir beibrachten. Andere Juden zu boykottieren, ist ein schmerzvoller, unnatürlicher Akt. Aber die Alternative ist noch schlimmer.

 

Als Israels Gründer die Unabhängigkeitserklärung des Landes schrieben, die nach einem jüdischen Land ruft, das „ allen seinen Bürgern  vollkommene Gleichheit in sozialen und politischen Rechten zusichert, unabhängig von Religion, Rasse oder Geschlecht,“  verstanden sie, dass Zionismus und Demokratie nicht nur vereinbar sind; die zwei gehören untrennbar zusammen.

Mehr als sechs Jahrzehnte später sehen sie  prophetisch aus . Falls Israel die Besatzung zu einer dauerhaften macht und der Zionismus aufhört, ein demokratisches Projekt zu sein, werden Israels Feinde schließlich den Zionismus selbst zu Fall bringen.

 

Wir sind viel näher an diesem Tag als viele amerikanische Juden zugeben wollen. Solange wir an den alten, bequemen Wegen kleben, gefährden wir  Israels demokratische Zukunft. Wenn wir uns wirksam den Kräften entgegenstellen, die Israel von außen bedrohen, müssen wir uns auch den Kräften entgegenstellen, die es von innen  bedrohen.

 

Peter Beinart, Professor an der City-Universität von New York und Herausgeber des Daily Beast-Blog Zion Sqare, ist der Author von „The Crisis of Zionism“.

 

(dt. und geringfügig gekürzt: Ellen Rohlfs)