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„Die
Menschheit geht den Weg vom Humanismus zum Nationalismus und
vom Nationalismus zum Bestialismus“ - Franz Grillparzer
(1855)
Oktober 2014
Reuven Moskovitz – Jerusalem Garden, Nr.721, Postfach
3686 , 96100 Jerusalem,
Tel. 00972 2 653 51 03,
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Liebe
Freundinnen und Freunde,
ich habe
sehr mit mir gerungen, ob ich noch einen Brief zum jüdischen Neuen Jahr
schreibe. Mehr und mehr bestätigt sich der Spruch des Propheten Amos
5,5.13 „Darum muss der Kluge zu dieser
Zeit schweigen; denn es ist eine böse Zeit.“. Oft denke ich daran, was überhaupt
noch zu sagen wäre und ob in meinen zahlreichen Briefen an Euch noch etwas
fehlt. In diesem Abwägen treibt mich bei aller Empörung über die existierende
Realität mein Wunsch, dass es doch noch gelingen könnte, die schreckliche
Blindheit vieler Menschen in Deutschland zu heilen - wahrscheinlich eine
unbescheidene und unrealisierbare Illusion – noch einmal zu schreiben.
Nach
einer erschütternden militärischen Niederlage, die - geblendet durch
vorübergehenden Erfolg – die schlimmsten Befürchtungen übertraf, setzte sich
auch bei Großmächten in der Geschichte oftmals
die Wahrheit und der Vernunft durch. Diese Lektion konnte Deutschland
nach dem zweiten Weltkrieg lernen. Es schien sogar so, dass Deutschland auch
tatsächlich daraus gelernt hat. Nun kamen das unwahrscheinliche Wunder der
Wiedervereinigung und der Übergang von der Bonner zu der Berliner Republik - und
momentan scheint Deutschland wieder viel zu vergessen.
Die israelische Politik ist aktuell - wie vor und während des 2. Weltkrieges die
deutsche - durch Maßlosigkeit gekennzeichnet und zeigt keinen Hauch von
Friedfertigkeit, indem sie brutal und hartnäckig das palästinensische Streben
nach nationaler Freiheit und Selbstbestimmung unterdrückt.
Diese
Zeilen schreibe ich nach den jüdischen Feiertagen, die mit Verzeihungsgebeten
anfangen - ähnlich dem christlichen Fasten während der Adventstage - und enden
mit begeistertem, oft fast berauschendem Tanz mit der Thora, woraus die
Geschichte der Schöpfung (5 Bücher Moses) gelesen wird: Mit der merkwürdigen
Erbsünde, mit dem ersten Brudermord, mit der Enttäuschung Gottes, die zur
Sintflut und zur Rettung vom Untergang führt, da es wohl nur einen
„fragwürdigen“ Gerechten namens Noah gab. Dann kam die Offenbarung Gottes mit
dem festen Glauben Abrahams, dass nur ein Gott die Welt schuf.
Vieles
wird jedoch vergessen, z.B. wie Gott am sechsten Tag den Menschen schuf als Mann
und Frau – letztere nicht gerade aus der Rippe des Mannes. Ebenso wird
vergessen, dass trotz der Erschütterung über die Untat Kains Gott die Rache -
einen Fluch, der die Menschen bis unsere Zeiten verfolgt - verbietet. Wir
vergessen auch die Verzeihungsgebete, das Schlagen auf die Brust in Richtung des
Herzens, gepaart mit zahlreichen Bekenntnissen zu Dutzenden Sünden, mit denen
Menschen sich in der Tat schuldig gemacht haben.
Zwischen dem neuen Jahr und dem Tag der Versöhnung und Verzeihung – Jom Kippur –
liegen 10 Tage, in denen jeder jüdische Mensch seinen Mitmenschen um Verzeihung
bittet. Ein klarer Satz eines jüdischen Weisen heißt: „Sünden zwischen Gott und
Mensch verzeiht Gott an diesem Tag, Sünden
zwischen
Mensch und Mensch verzeihen die Menschen. Denn auch Gott - erzürnt durch den
Niedergang der Menschheit - rettet die Welt vor der Sintflut als „Verzeihender“.
Im dem ehrfürchtigen
Kol Nidre-Gebet heißt
es: „ Im Namen Gottes und im Namen der Gemeinde, im Namen des Himmels und im
Namen der Erde erlauben wir, mit allen Sündern mit zu beten“.
Und bevor der Fastentag des Jom Kippur anfängt, muss jeder Mensch seinen
Mitmenschen um Verzeihung bitten – auch wenn sein Gegenüber sich hartnäckig
weigert, sich als Sünder zu stellen und um Verzeihung zu bitten.
Der
Zustand, die Verzeihung zu verweigern, herrscht in Israel. Hier wurde ein Buch
unter dem Titel „Israbluff“ (Israelische Lüge) geschrieben. In der
Alltagssprache hat sich das Wort „als ob“ durchgesetzt, auch wenn dieser Begriff
nichts erklärt. So kann ich feststellen, dass die israelische Regierung „als ob“
Frieden will, dass es „als ob“ bereit ist zu verzeihen. Wir - Israel – sind eine
„als ob“-Demokratie und ein „als ob“-Rechtsstaat und unterdrücken die
Palästinenser seit Jahrzehnten, „als ob“ es rechtschaffende Gerichtsverfahren
gäbe. Aber, eine Mehrheit der israelischen Knesset bemüht sich unablässig, das
rechtschaffende oberste Gericht abzuschaffen. Damit schafft man grünes Licht für
eine schreckliche Korruption, die oft Staatspräsidenten, Minister,
Polizei-Offiziere und viele andere Oligarchen vor dem Gefängnis schonen.
Inzwischen stimmt meine Behauptung, dass Israel drei Sorten von Ministern zählt:
diejenigen, die nach Jahren Gefängnisaufenthalt befreit wurden, diejenigen,
einschließlich des ehemaligen Staatspräsidenten und eines Ministerpräsidenten,
der durch eine Korruptionsaffäre zu jahrelanger Gefängnisstrafe verurteilt
wurde, diejenigen, die noch ins Gefängnis kommen werden – beispielsweise der
ehemalige Ministerpräsident Ehud Olmert.
Durch eine unanständige Manipulation - neulich enthüllt durch eine pensionierte
Richterin im Obersten Gericht - sitzt der Außenminister Liebermann nicht im
Gefängnis.
Unter
solchen Umständen über Hoffnung, die als letzte stirbt und von Frieden zu reden
oder zu versuchen, der Korruption und den Ungerechtigkeiten zu entkommen – z.B.
durch Auswanderung in die gelobte Stadt Berlin - ist nur Augenwischerei oder
frömmelndes Lippenbekenntnis.
Was mich
sehr beschäftigt, ist: Wie können wir Hoffnungen erfüllen und Wahrheit
erreichen, ohne eine schreckliche Niederlage wie im zweiten Weltkrieg dafür zu
benötigen.
Der
arabische Frühling, der sich zu einem bitteren Herbst und kalten Winter
gewandelt hat, zeigt schon das hässliche und mörderische Antlitz des islamischen
Fanatismus, der sich im grausamen islamischen Kalifat verkörpert.
Leider zähle ich zu den wenigen, die diese Tatsachen mit der Politik verbinden,
die es zugelassen hat, die wiederholt gegebenen Friedensmöglichkeiten zu
verpassen. Diese Versäumnisse sind u.a. der Nährboden für diesen
Fundamentalismus.
Die israelischen Regierenden sind gezwungen worden, mit Ägypten und Jordanien
Frieden zu machen – und dieser funktioniert. Ich frage mich, wie viel
hochkarätige Politologen und regierenden Politiker bereit sind, sich zu der
Tatsache zu bekennen, dass man dummerweise versäumt hat, mehrere
Friedensgelegenheiten mit Palästina, Syrien, Libanon, den Arabischen Emiraten
und vielleicht auch mit dem Irak aufzugreifen.
Und
dennoch ist die Hoffnung nicht verloren. Die Voraussetzung dafür ist der
Ausstieg aus der enormen Lüge, die - sei es von der westlichen Politik, sei es
hauptsächlich vom israelischen Wahn von Groß-Israel mit der Bantusierung des
palästinensischen Gebietes, sei es von diesem wachsenden islamischen Fanatismus,
der den Weltfrieden gefährdet - gepflegt wurde.
Nur die
Umkehr zu einer aufgeklärten Zivilisation kann der Hoffnung eine neue
Perspektive öffnen.
Herzlichst,
Reuven
Moskovitz