Israel Palästina Nahost Konflikt Infos

 

Artikel, veröffentlicht von IL MANIFESTO, 14. Januar 2009

von Louisa Morgantini (EU-Parlamentarierin)

 

Zwei Stunden in der Hölle

 

Etwas mehr als zwei Stunden - aber es genügte, um die Zerstörung und Verzweiflung bei der Bevölkerung in Gaza zu sehen.

 

Mit 8 Mitgliedern des EU-Parlaments und einem italienischen Senator (Demokratische Partei, PD) sind wir die einzigen politischen Vertreter, die seit Beginn des israelischen Angriffs in den Gaza-Streifen hineingekommen sind.

 

Wir kamen über den Rafah-Übergang, dank der unentbehrlichen Zusammenarbeit zwischen der UNRWA und der ägyptischen Behörde. Wir bestanden darauf, dass die Israelis, die unser Gesuch abgeschmettert haben, abgelöst werden.

 

Kanonenkugel und Bomben schlugen in der Nähe des UN-Gebäudes ein, obwohl zu dieser Zeit eine dreistündige Feuerpause angeordnet worden war. Ein Waffenstillstand, der nicht respektiert wird, ebenso wenig wie die UN-Resolution des Sicherheitsrats, die sowohl Israel als auch Hamas zurückgewiesen hat.

 

"Beide werden sich selbst als Sieger bezeichnen, aber wir sind es, die sterben", sagte der Mann, der auf dem Boden des UN-Flüchtlingszentrums lag.

 

Selbstverständlich trägt Hamas ihren eigenen Anteil der Verantwortung, aber die Asymmetrie lässt sich nicht leugnen. Über 40 Jahre lang hat Israel die Besetzung und Kolonisierung von palästinensischem Land und der Bevölkerung fortgesetzt, indem es Militärgewalt einsetzt und gegen die Menschenrechte und  das Völkerrecht verstößt. In Rafah sah ich Menschen, die starr vor Schreck, erschöpft vor Schlaflosigkeit aufgrund der zweiwöchigen Bombardierung und dem verzweifeltem Suchen nach Leichen zwischen den Trümmern. Sie leiden unter Hunger seit der anhaltenden Blockade, die bereits vor der Operation der Zivilbevölkerung des Gazastreifens auferlegt worden war als eine Art Kollektivstrafe.

 

Nun werden sie attackiert aus der Luft, vom Land und vom Meer aus. Niemand und Nichts ist sicher. Vielleicht ist es das erste Mal, dass es für die Bevölkerung, die bombardiert wird, keinen sicheren Ort gibt, wohin sie flüchten kann: die Grenzen sind geschlossen, so dass sie da bleiben und darauf warten müssen, dass sie sterben. Dies sagte Raed, einer von ihnen, zu mir: "Jedes Mal, bevor wir versuchen zu schlafen, gebe ich meiner Frau einen Kuss und hoffe, dass ich am kommenden Tag noch mit ihr zusammen bin und nicht unter den Bomben sterbe."

 

Horror und Straffreiheit: die UNRWA-Schule in Jabliya wurde genau lokalisiert und von einer Rakete getroffen. Es waren keine Hamas-Militanten, die geschossen haben. 45 Zivilpersonen wurden getötet. Leichenschauhäuser sind voller Leichen und Krankenhäuser voller Menschen, die Verbrennungen durch weißen Phosphor erlitten haben oder durch DIME-Waffen, die bereits im Libanon eingesetzt wurden- was Israel bereits bestätigt hat.

 

Ein Arzt erzählte uns, dass Patienten mit chronischen Krankheiten keine Versorgung mehr bekommen, weil keine Medizin mehr vorhanden ist und weil es zu viele Verwundete gibt. In Gaza kauerten Dutzende von Müttern mit ihren Kindern in einem kleinen Raum, die uns verzweifelt ansahen, einige von ihnen starrten ins Leere. Sie zeigten uns ihre Kinder, die noch verwundet waren und fragten uns: "Warum?"

 

Die UNWRA mahnt, dass die Grundnahrungsmittel fehlen. Sie werden dringend gebraucht.

Israel verweigert die notwendigen Hilfsgüter. Nichts und Niemand ist sicher vor der israelischen Wahl der Illegalität.

 

Während Gaza unter Bombardierung steht, erhöht sich die Anzahl der illegalen Siedler in der Westbank und der Bau der Mauer schreitet weiter fort, die immer mehr Land konfisziert und Palästinenser von Palästinensern trennt. Die Hoffnung auf das Recht eines Staates innerhalb der 1967-Grenzen mit Jerusalem als geteilter Hauptstadt schwindet immer mehr.

 

Wie können wir die Internationale Gemeinschaft dazu bringen, ihre Verantwortung zu erfüllen? Wie können wir einen sofortigen Waffenstillstand erreichen? Wie Israel davon überzeugen, dass es nicht weiterhin internationale Gesetze brechen kann, sondern auf die Stimmen derer hört, innerhalb und außerhalb, die Frieden, Rechte und Würde für das palästinensische Volk fordern? Denn das ist der einzige Weg, Sicherheit zu gewährleisten

Die Europäische Union muss den Mut besitzen und die Geschlossenheit, ihre Beziehungen und die Zusammenarbeit mit Israel nicht mehr aufzuwerten und ihre Militärkooperation zu stoppen.

 

Wir, die EU-Parlamentarier, fordern dieses noch einmal, sowohl einen Waffenstillstand auf beiden Seiten als auch eine internationale Truppe zum Schutz der Bevölkerung, nicht nur in Gaza, sondern auch in der Westbank.

 

Und ich wünsche auch, dass Bewegungen in Italien verstehen können, dass eine Einigung wichtig ist und dass wir nicht zu Israel oder Palästina halten, sondern für Recht und Gerechtigkeit einstehen.

 

Auch weiterhin halte ich zusammen mit den Palästinensern und Israelis, die sagen: "wir weigern uns, Feinde zu sein – Stoppt das Massaker – Stoppt die Besatzung."

 

(ER)