Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Unterwegs nach Gaza
Edith Lutz
Ein Tagebuch 
Erster Teil: Irene
Ich schreibe dies in meiner schmutzigen Gefängniszelle. Keine Ahnung, was das 
für ein Gefängnis ist, wo es liegt. Givat 
wie bitte? Ich habe die Leute, die mich herbrachten, nicht noch einmal 
gefragt. Lo ichpat li – ist ja auch 
nicht wichtig. Wichtig ist, dass ich so bald wie möglich aufschreibe, was 
passiert ist, Bilder. Worte. Eindrücke, bevor sie mir aus dem Gedächtnis 
schwinden oder ungenau werden.
Ich sitze auf einem schmutzigen, kaputten Plastikstuhl und starre auf das 
Gitterfenster in der großen blauen Eisentür. Woher kommt dieser Krach?
Schreib weiter, lass Dich nicht stören. 
Aber ich spüre noch immer das Schaukeln der Wellen und eine seltsame Müdigkeit.
Leg Dich aufs Bett, ruh Dich einen Moment 
aus. Ausruhen und schreiben, ausruhen und schreiben.
Ich suche nach den Zeilen, die ich in den letzten Stunden an Bord hingekritzelt 
habe.
Dienstagmorgen. Wir kommen in Gaza-Gewässer. Schlechte Neuigkeit: die Toilette 
funktioniert nicht mehr. Ich war seit gestern nicht mehr dort. Die Männer machen 
die Flaggen fest und hissen das Segel. Die Friedenswimpel! Wir müssen uns 
beeilen, sie kommen. „Sie kommen“ – das sind die letzten Worte im Tagebuch eines 
deutschen Widerstandskämpfers, bevor sie ihn zur Hinrichtung führten. Ich spüre, 
wir werden nicht sterben.
Ich fühlte mich ruhig und voll Vertrauen. Ja, auch etwas erregt. Die Wimpel 
mussten schnell hoch. 
Itamar schlägt vor, sie in Bündeln zu befestigen. Lillian und ich sind dagegen: 
Sie müssten einzeln gehisst werden. Glyn, Lillian und ich befestigen sie an den 
Tauen. Wir haben nicht genug Bindfaden, wie sollen wir die restlichen Fahnen 
festbinden? Wir suchen in allen Ecken, in unserem Gepäck nach Bindfaden, und wir 
finden welchen. Jetzt flattern sie alle, alle 42 Wimpel mit 84 Tauben und mehr 
als 100 Namen von Menschen, die gerne mit uns gefahren wären. Das Bild sieht 
wunderschön aus. Ein alter, verbrauchter Kahn wie eine bunte Blume im ruhigen 
blauen Meer. Vish und Eli fahren im Rettungsboot um das Schiff herum und machen 
Fotos. Alle sind fasziniert.
9.30 Uhr. Am nördlichen Horizont erscheint ein israelisches Marineschiff. Wir 
ziehen die Schwimmwesten an und setzen uns auf das Achterdeck, jeder mit seinem 
Gepäck und einer Flasche Wasser. Die beiden Medienleute postieren sich rechts 
und links, um die Ereignisse zu dokumentieren, die auf uns zukommen. Ich sitze 
neben dem Maschinenraum. Glyn erklärt mir, wie ich den Motor abstellen muss, 
damit ich bereit bin, wenn er mich dazu auffordert. 
10.00 Uhr. Ein zweites Boot in Sicht. Bewegt sich offenbar nicht. Wartet 
vielleicht auf uns. 
10.30 Uhr. Lillian kommt vom verstopften Klo zurück. 
Nervosität schlägt auf die Blase. „Geh Du 
auch Pipi machen!“ Lilian spricht den hessischen Dialekt ihrer Eltern; sie 
musste Deutschland als Anderthalb-Jährige verlassen. Die Männer haben es 
leichter. Eine Hand fest in der Hand eines Anderen können sie das Gleichgewicht 
halten und über Bord pinkeln.
10.45 Uhr. Kriegsschiffe halten auf uns zu. „Acht Schiffe“, ruft jemand. Sie 
kommen rasch näher. Ich kann ihre Gesichter erkennen. Junge Gesichter, einige 
hübsch. Ich versuche, sie mir
genau anzusehen. Um mich herum wächst die 
Unruhe. Reuven kommt zu mir herüber, um im Schatten zu sitzen. Die Sonne brennt 
auf der Seite, an der die Soldaten schnell näher kommen. Dort steht Itamar und 
redet mit  ihnen. Er spricht die 
vorbereiteten Worte auf Hebräisch und Englisch. Ich höre ihn sagen. „Wir sind 
Friedensaktivisten.“ Reuven, der jetzt auf dem Dach des Maschinenraumes sitzt, 
schreit: „Ivrit, ivrit.“ Er versucht, mit den Soldaten zu reden. Er hat seine 
Gelassenheit verloren.
Ich sehe, dass Lillian unruhig wird, und bitte Yonatan, den Platz mit ihr zu 
tauschen, sodass sie zu meiner Linken sitzen kann. Wie besprochen, haken wir uns 
ein. Bei Reuven hake ich mich nicht ein, weil er Mundharmonika spielen will. Ich 
bin nicht sicher, dass er es schafft. Seine verletzte Seele kann bloß noch 
schreien. „Keiner hört ihm zu“, sagt Lillian.
Auf Itamar haben sie auch nicht gehört. Die Soldaten handelten wie Roboter. 
Offenbar waren sie nicht in der Lage, zuzuhören. Shema Israel. Höre Israel. 
Yonatan macht Reuven Zeichen, die Mundharmonika zu spielen. Aber mir ist klar, dass Reuven dazu nicht mehr in der Lage ist. Also fange ich an zu singen. „We shall overcome.“ Und Yonatan, Lillian und andere fallen ein. Wir kommen bis zu zweiten Strophe: „Wir haben keine Angst, wir haben keine Angst.“
Es gibt ein wunderschönes hebräisches Lied. „Die ganze Welt, die ganze Welt ist 
nur eine schmale Brücke, und die Hauptsache ist, ha-ikar, lo l-fached, dass man 
keine Angst hat.“
Lillian schreit: „Seht, was sie mit dem armen Glyn machen.“ 
Lillian wollte ihren Augen nicht trauen. „Es ist nur ein Traum, ein böser Traum, 
es geschieht nicht wirklich“, sagte sie mir später, als wir im Polizeiauto 
saßen.
Sie stoßen Glyn grob vom Steuerrad auf Deck in die Kabine. Von da, wo ich sitze, 
kann ich nicht sehen, was mit ihm geschieht.
Während ich versuchte, Reuven zu beruhigen, beobachtete ich etwas Unglaubliches. 
Ich sehe Itamar gekrümmt auf dem Deck des nächsten Militärbootes liegen. „In 
Handschellen“, sollte ich schreiben – aber das Bild vor meinen Augen war „dos 
kelbl oifn furl“. Itamar war „gebundn mit a shtrik“.
 Und ich sah etwas noch Grausameres.
Plötzlich höre ich einen durchdringenden 
Schrei und sehe Yonatan auf dem Boden mir gegenüber sich winden vor Schmerzen. 
Was geht hier vor? 
Das war völlig unbegreiflich. Später, als die Atmosphäre sich beruhigte, fragte 
ich Rami, und er erklärte mir, Yonatan habe Elektroschocks bekommen. Ich wusste 
nicht einmal, dass es solche makabren Dinge bei der Armee gibt (obwohl ich sie 
von früher von meiner Arbeit als Psychiatrieschwester kenne).
Reuven blickt verstört auf seine Mundharmonikas, die vor ihm auf dem Boden 
liegen, zwischen schweren Militärstiefeln. Er kann nicht mehr sitzen bleiben, er 
muss aufstehen. Ich kann ihn nicht zurückhalten. Ich habe Angst, seine Emotionen 
könnten die Atmosphäre aufladen und Gewalt entfachen. Deshalb wende ich mich an 
den Soldaten, der neben ihm steht. „Er ist nervös, er ist 
Holocaust-Überlebender.“
Naive, törichte Worte vielleicht. Aber sie schafften es, die Atmosphäre zu 
verändern. Der hilflos aussehende junge 
Soldat nickt. Unsere Blicke treffen sich. Ein Hauch von Verständigung 
außerhalb der Zeit.
Reuven sammelt die verstreuten Mundharmonikas in eine Plastiktüte. Er setzt sich 
neben Rami und wird bald ruhiger. Rami und ich wechseln erleichterte Blicke. 
Rami, ein ruhiger Mensch mit einem stabilen Körper, hat eine beruhigende Wirkung 
auf uns alle. 
Ein anderer Soldat fragt mich: „Möchten Sie nicht lieber drinnen sitzen?“ 
„Nein“, antworte ich. „Ich muss aufpassen, was hier vorgeht. Ich muss Euch ins 
Gesicht sehen, damit ich mir sicher bin, dass Ihr menschliche Wesen seid. Ist es 
nicht verrückt, dass wir uns voreinander fürchten?“ Der Soldat, auch dieser, 
nickt. 
(habe ich ein „Ja“ gehört?) Und ich sehe, 
wie sein starres Gesicht einen entspannteren Ausdruck annimmt.
Ich sehe mich auf dem Boot um und versuche, mir dieses unglaubliche Bild 
einzuprägen: Acht Militärboote, einige mit Kanonenkugeln, ungefähr sieben bis 
zehn Soldaten auf jedem Boot. Auf unserem Achterdeck drängen sich außer uns etwa 
sieben Soldaten 
(wo nur fünf Passagiere sitzen dürfen). 
In der Ferne ein mächtiges Kriegsschiff, um neun friedlichen Aktivisten Einhalt 
zu bieten. Was für ein Wahnsinn! Wenn die Leute in Deutschland, in 
der EU und in den Vereinigten Staaten nur wüssten, dass sie auch 
finanziell zu diesem Irrsinn beitragen! (Und zu viel schlimmeren 
Schandtaten!) Wo sind die wahren Freunde, die Israel – krank vom Holocaust und 
von Jahrhunderten  des Leidens – bei 
der Hand nehmen, vor einen Spiegel führen und auffordern, die irrsinnig 
scheußliche, grausame Maske abzunehmen; die ihr helfen,
Israel ha-jaffa zu sein?[1]
(Übersetzung aus dem Englischen)
Ein Tagebuch
Zweiter Teil: Gefängnis
Graffiti. Graffiti an den Wänden, an der Unterseite des Bettes über mir.
           
Difficulties in your life do not come to destroy you:
           
But help you realize your hidden potential and power,
           
let difficulties know that you too are difficult.[1]
Graffiti, Englisch und Amharisch. Blumen und andere 
Symbole. Liebeserklärungen. Trost im Glauben: God is my power. No matter 
condition I will always praize God.
Sie kamen wie ein Bienenschwarm. Sie kamen von allen Seiten, aber nur zwei Boote kamen dicht an uns heran, aus dem gegenüberliegenden sprangen sie zu uns hinüber. Die Mannschaft im Boot hinter mir blieb zunächst auf ihrem Boot.
Der Mann hinter mir fragt nach elektronischen Geräten und Filmmaterial. Ich gebe ihm mein Handy und die Kamera. Er sieht nicht mehr so jung aus, - der Kommandeur? Der Kommandeur der Kinderlechs?
Einige Soldaten reißen in Hast alle Friedensfahnen ab, 
selbst die englische Schiffsfahne wird mitgerafft. Einige unserer Banner liegen 
geknickt und von Stiefeln verdreckt und zertrampelt auf dem Boden. Auch ein 
kleines Friedensfähnchen. Ob ich es retten soll?
Gut, dass wir Banner und Fahnen fotografiert hatten, alle einzeln, jede Taube mit ihrem Namen. Wir hätten sie an das Schiff anbringen sollen vor der überstürzten Abreise in Famagusta, für ein schönes Pressefoto. Die Ruhe, die Ruhe aus dem Zwischen, hatte gefehlt. Ich konnte nur mit einigen Fahnen den Zurückgebliebenen winken.
Wir werden aufgefordert 
unsere Taschen abzugeben. Soldaten untersuchen sie im Inneren des Bootes. 
Der Kommandeur steht im Eingang zur Kajüte, erteilt Weisungen, hält Papiere in 
der Hand. Seven-y-Two, der offizielle Name unseres Bootes, die Baupläne. 
Ein großer Plastikbeutel wird von einem anderen Boot hinübergereicht, ein Soldat bietet uns daraus Essbares an. Ich lasse mir einen Apfel geben, mein Frühstück. Aus dem Plastiksack fische ich Möhren und Mandeln.
Hast du keinen Stolz, von denen was anzunehmen, höre ich meine Kritiker fragen. Stolz ist kein Mittel für Problemlösung. Sprich mit ihnen, habla con ellos. Du hättest sie fragen sollen, was sie dachten, als sie die Friedensfahnen abnahmen.
Gespräche sind möglich, zaghaft zunächst:
Der mit der dunklen Sonnenbrille – sie schützt nicht 
nur vor der Sonne – steht jetzt am Steuerrad. Er spricht mit seinen Kameraden 
auf dem anderen Boot, eine Änderung ist im Gang. Wir werden ins Schlepptau 
genommen.
Die ruhige Seefahrt ist zu Ende. Ein wilder Galopp über 
immer stürmischer werdende Wellen. Ob der Kahn das aushält? 
Wasser spritzt von allen Seiten rein, ich bin bald 
durchnässt bis auf die Haut. 
Mein Sonnenhut ist weggeflogen. Glyn findet einen 
Ersatzhut, Yonatans?
Glyn backt ein Protestgericht mit Ei. Es wird Magen und 
Seele stärken.
Jemand ruft ein Wort in Hebräisch auf dem Flur. Die Türe geht auf, ein männlicher und ein weiblicher Bediensteter. Sfirah, Zählung! Steh auf! Immer wenn du uns siehst, stehst du auf und stellst dich neben das Bett! Wer ist uns? Ich stehe schon, mich schaudert’s: Appell! Aber vielleicht ist das in jedem Gefängnis so?
Andere Gefängnisse sind wesentlich schlimmer. Mendel Barasch (hieß er so, der Autor?), er half anderen Juden zu fliehen, Ratten schickten ihm die Sowjets in die Zelle, - dagegen ist meine eine heruntergekommene Jugendherberge.
Und du wirst nicht gequält. Deine Würde schützt du mit deiner Rolle, die Rolle einer Gefängnisinsassin. Nächste Woche wirst du über all das lachen, sagt Susannah, die Wärterin. Ist ihr die absurde Situation bewusst, etwas vielleicht?
Ich klettere die Kaisprossen hinauf. Als Erste, hoffentlich kann ich schnellstmöglich zum Klo und mich umziehen. Hilfreiche Hände strecken sich mir entgegen. Eine Menge Leute auf dem Hafenplatz. Auch wieder der Hoffotograf, diesmal ist es eine Fotografin. Zwei Frauen sprechen mich an, come with us. Keine Spucke, keine Wassereimer, keine Flüche und keine Beschimpfungen. Ich mache sie auf meinen nassen Zustand aufmerksam und dass ich ein dringendes Bedürfnis hätte. Kein Problem, sagen sie, nur erst ein Check, fünf Minuten.
Sie führen mich in ein Zelt, zwei Frauen stehen für den Bodycheck bereit. Meine nassen Sachen behalte ich an.
Das Zelt füllt sich. Ich sitze auf dem Stuhl und zähle neun Personen. Meine wenigen Habseligkeiten sind auf einem langen Tapeziertisch ausgebreitet. Jeder einzelne Gegenstand, jeder Millimeter wird mit Handschuhen abgetastet und elektronisch gecheckt.
Man führt mich in einen Polizeiwagen, er soll mich zur polizeilichen Befragung nach - wohin? fahren. Nur fünf Minuten von hier.
Jemand reicht mir ein Handy in das Auto. Eine Frau, von der israelischen Regierung, sagt sie, die Deutsche Botschaft möchte Sie sprechen.
Wie es mir ginge. Mir geht es gut, aber ich bin in Sorge um meine israelischen Freunde.
Sie erklärt mir das weitere Procedere, die Alternativen, die ich habe: entweder direkt abschieben lassen oder Gefängnis. Ich entscheide mich für das Gefängnis.
Ich warte schon über eine Stunde, vermutlich auf die anderen, ich höre Lillians Stimme im Zelt. Zwei junge Burschen zur Bewachung, ein russischer Neueinwanderer. Junge, ihr sagtet fünf Minuten! Er muss eine weibliche Kollegin holen. Beide eskortieren mich zu dem dreckigen Männerklo im Hafengelände. Auf dem Rückweg ruft mich jemand, Edith! Ich blicke mich um, es ist Yonatan, er wird in die andere Richtung geführt. Ich rufe und winke zu ihm zurück. D er Polizist drängt mich weiter.
29.9. Die Zeit hat dich 
wieder. Das Zählen der Tage macht noch Schwierigkeiten. Ich beginne immer neu zu 
zählen. Doch, heute ist der 29., der letzte Tag Laubhüttenfest, ein Feiertag, 
auch Michaeli, und Geburtstag. Für Hoschanah rabba ziehe ich mein schönes Kleid 
an, das griechische. Eirenne, Irene.
Ich verarbeite die Eindrücke 
von gestern, indem ich mir alles noch einmal gründlich ansehe und notiere, was 
ich gestern nicht geschafft habe.
Sechs Etagenbetten. Ich wähle das untere in der Ecke, wo man von außen nicht hinsehen kann. Das einzige mit Bettlaken. Ein großer Aufdruck, Sohar ha-bitachon, Sicherheitsgefängnis. Ob es sauber ist?
Bekleidungsstücke der Vorgänger liegen auf den Betten, hängen aus den Spindschränken heraus, liegen auf dem Boden. Auf dem Fußboden eine Ameisenstraße. Ein voller Papierkorb, Apfelkitsche und Unrat daneben.
Ab und zu huschen größere Ungeziefer vorbei. Neben dem Spülbecken eine Sprühdose gegen Kakerlaken und eine Dose Coffeecreamer. Kaffeeweißer? Sie enthält eine Flüssigkeit.
Die primitive Duschzelle ist einigermaßen sauber. Auch die „Toilette“, ein Hockklo, ist nicht so eklig verdreckt wie die in Ägypten, auf dem Weg nach Rafah.
Aus dem kleinen Gummischlauch oben an der Wand kommt erfrischendes Wasser. Endlich die Haut vom Meersalz befreien. Die Haare bleiben salzig-klebrig. Shampoo habe ich keins, auch keine Creme, keine Zahnpasta. Alle Pflegemittel weggeschlossen, auch Kosmetika. Bis auf eine Tube Sonnencreme, im Gefängnis Sonnencreme!
- Was brauchst du Kosmetika, keiner wird dich hier besuchen. - Aus psychologischen
Gründen. - Susanna will sich drum kümmern.
Ich werde unterbrochen. Der 
gleiche Ruf von gestern Abend. Sfirah! Diesmal ist es Rebekka, ich nenne sie so 
wegen der Ähnlichkeit. In Begleitung desselben Mannes, ein Oberaufseher?
Immer wenn du uns siehst, 
stehst du auf! Die gleichen Worte. Ich stelle mich und möchte fragen, könnt ihr 
nicht bis eins zählen während ich sitze, aber nach den ersten drei Worten sind 
sie schon zur Türe raus, zur nächsten Tür. 
Ich bin immer noch benommen. 
Ich widerstehe dem Wunsch mich hinzulegen, male stattdessen ein Mandala aus. 
Mandalas und Stifte für Kinder in Gaza.
Edith! Eine Stimme aus dem Flur. Die kleine Klappe der Eisentüre – wie ein Briefkasten – geht auf. Boker tov, Guten Morgen. Eine kleine Gurke und ein kleines Plastiktütchen Käse wird durchgereicht. Eine Gurke zum Frühstück? Mein mitteleuropäischer Magen sagt bitte nicht. Ich stecke die Gurke und den Käse in das Gitterfenster. Die Aufseherin sieht die Rückgabe nicht. Sie kommt, bietet mir eine weitere Gurke an. Ich will ihr erklären, ich bin nicht gewohnt ...
- Wirf es in die Plastikbox neben dem Becken.
Edith! Zieh’ die Schuhe an. 
Die Anwältin erwartet dich!
So schnell schon? Ich freue 
mich, mit jemandem zu reden. Vielleicht kann sie helfen, meine Pflegemittel zu 
bekommen. Etwas Brot statt einer Gurke. Die Anwältin berichtet, dass es den 
Israelis gut gehe, dass sie alle wieder zu Hause sind. Ihre Worte erleichtern. 
Aber die erleichterte Seele wirft ab, was sie erlebt hat, ich kann nicht 
sprechen, nur heulen.
Sie rät mir, das Land zu 
verlassen, eine Gerichtsverhandlung hat wenig Aussicht auf Erfolg.
Aber ich möchte hier bleiben, 
ich möchte meine Freunde noch einmal sehen.
Sie geht, der Besuch aus der 
Botschaft wartet schon. Die beiden Botschaftsangehörigen geben mir den gleichen 
Rat, Sie sollten so schnell wie möglich nach Hause, nach Möglichkeit heute noch. 
Ich nehme den Rat an.
Ich zeige mich erstaunt, dass sie gekommen 
sind, so schnell, keine Selbstverständlichkeit. Auch für meine Gesprächspartner 
nicht. Es ist Feiertag, dass sie da ein Besuchsvisum vom Außenministerium 
bekommen haben ... Ich bitte die beiden, an diese gute Beziehung anzuknüpfen, 
das Gespräch in diese Richtung weiterzuführen.
Ich berichte von meinem 
Besuch in der israelischen Botschaft in Berlin: Eine Botschaft kann eine Brücke 
sein. Unser Boot wollte auch eine kleine Brücke sein, kann immer noch eine 
Brücke sein. 
10.30: Edith! Die Klappe in 
der Türe geht auf. Hier! Fünf Scheiben Brot werden durch die Klappe gereicht. 
Ich knabbere an der ersten 
Scheibe und denke über meine Besuche nach. Deported. Du warst drauf vorbereitet, 
du hattest es akzeptiert. Das Tote Meer ist auch von der Jordanischen Seite 
schön. Die zweite Scheibe Brot. Deported. Aber euch, ihr Brüder, Brüder, 
seh’ ich niemals wieder, Hoffmann von 
Fallersleben. Wenn der Weg  nicht 
aufgehalten wird, sind die Brüder bald bei uns?
Die dritte Scheibe Brot. Den 
Rest werfe ich in die Plastikbox, zu der Gurke.
Edith! Die Türe wird wieder 
aufgeschlossen. Ich bring’ dir Seife. Seife? Ich möchte alle meine Pflegemittel! 
Susanna nimmt den Kaffeeweißer - aha, der Kaffeeweißer,- ein Putzmittel: du 
musst deinen Raum putzen. Look here. Sie schüttet kräftig von der 
Reinigungsflüssigkeit in das Becken, auf den Spind. Dein Raum sieht schöner aus, 
wenn du ihn putzt. Resozialisation? Das hier, sie hebt einen alten Lappen auf, 
schmeiß weg. Und die Sachen der Vorgänger? Leg’ in Schrank, mach’ Türe zu.
Ich wische Susannas Pfütze 
trocken, dann setz’ ich mich erst einmal auf die Tagesdecke, die Susanna für 
mein Bett mitgebracht hat - vow.
11.05: Zwei Beamte: Lies und 
unterschreib’! Sofort! 
Ich weiß, worum es sich 
handelt, mein Deportationsschrieb. Ich lese, unterschreibe.
Du wirst noch heute fliegen. 
Wann? B-tsohorayim, um den Mittag.
11.20: Edith! Boi! Ich komme 
schon. Zieh’ die Schuhe an, wir gehen zum Arzt. Die Abschlussuntersuchung. Im 
Hinausgehen ein Blick in die Essensbox, ein Haufen Termiten, sind es Termiten? 
an meinen Brotscheiben. 
Ich folge der Wärterin, das 
heißt, sie folgt mir. Sie lässt mich vorausgehen, wie es „Sitte“ ist im 
Gefängnis. Ich kenne den Weg  nicht, 
folge wie mit verbundenen Augen den Anweisungen hinter meinem Rücken. 
Auf dem Rückweg genauso. Durch das Gefängnislabyrinth. Die Sukkah könnte ein Orientierungspunkt sein. Aber sie verwirrt. Der Stacheldraht auf den Baracken und Mauern ringsum. Wir müssten in der Sukkah sitzen. Der Blick frei zum Sternenhimmel.
 Meine 
Gefängniszelle gibt den Blick nicht frei. Aber der Himmel ist trotzdem nah.
Ein Tagebuch
Dritter Teil: EL AL
Ich sitze im Flieger, eine Sitzreihe für mich alleine. Der Stewart bringt mir meinen Pass. Der palästinensische ist beigefügt, tatsächlich. Ich suche nach dem Deportationsstempel, Einreise unerwünscht, ich sehe keinen. Das muss nichts zu bedeuten haben, abgeschoben ist abgeschoben, aber, vielleicht ist es ein Zeichen, ein Hoffnungszeichen.
Sie haben dich wie ein Vip an den Flieger gebracht. Das machen sie mit jedem Abgeschobenen. Sie geleiten dich die Gangway hinauf. Du könntest dich umdrehen und wie George W. Bush Good Bye winken. Ich drehe mich um, sage meinem russischen Bewacher Todah rabbah für’s Hotel und für die Begleitung zum Flieger.
Der Orangensaft schmeckt paradiesisch, als hättest du wochenlang diese Brühe aus dem Gefängnishahn getrunken.
Der Monitor wird eingeschaltet. Nachrichten. Unser Boot, - unser Boot, - in voller Länge. Während deiner Abschiebung zeigen sie dir deinen Film.
Vier Stunden Zeit bis zur Landung. Vier Stunden Zeit zum Schreiben.
Im Gefängnis. Kurz nach drei, endlich. Edith, pack deine 
Sachen. In fünf Minuten fährst du. 
Ich blinzele zu Rebekka hinüber. Mein Lächeln wird von 
ihr erwidert.
Wir könnten viel öfters Beziehungen anknüpfen. Es ist Macht, - eine andere Macht als die Macht der Schwachen, - die Waffen nehmen und drängen.
Das Auto hält vor dem Aufbewahrungsbüro. Ich bekomme Geld und Gegenstände zurück. Ein letzter, wirklich ein letzter? elektronischer Fingerabdruck.
Wir verlassen das große Gefängnisgelände. Wo sind wir 
denn überhaupt, jetzt möchte ich es doch wissen. Givat Ramle. Der nette, scheue 
Beifahrer spricht mit mir  und 
erntet dafür einen bösen Blick von seinem Kollegen. In Ramle! Ausgerechnet 
Ramle, die Heimatstadt meines Freundes.
Wir fahren zum Flughafen. Die Gegend hier ist nicht sehr 
schön, die Ausweisung erträgt sich  
leichter. Der Wagen hält direkt vor der Abflughalle. Mein arroganter Fahrer 
robotiert mich durch die Halle. Er kennt sich nicht gut aus, muss öfters fragen, 
das irritiert ihn, er hatte sich eine andere Rolle ausgedacht, mit Respekt und 
Überlegenheit.
Die Sicherheitsabfertigung - ein großer Raum, eine 
Menschengruppe in Dienstkleidung. Kein Schlangestehen, du kommst direkt dran. 
Besser als ein Erste-Klasse-Service. Und alle sehr freundlich! Der Bodycheck – 
fast eine angenehme Massage. 
Man bietet mir Kaffee an. Ich lehne dankend ab, gleich 
wird der Kaffee gemütlicher sein, in Freiheit.
Der Flieger geht um sechs, in knapp zwei Stunden.
Meine Sachen werden 
elektronisch gecheckt. Ausgebreitet auf dem Tisch, 
werden sie wieder einzeln minutiös betastet, aussondiert, gesondert 
durchleuchtet. Was könnte in der Sonnenbrille Gefährliches versteckt sein? 
Sie wissen doch, dass ich aus dem Gefängnis komme, dass jeder Gegenstand 
bereits untersucht wurde? 
Und was ist das? Interessiert wird nach einzelnen 
Gegenständen gefragt, freundlich, auch hier. – Das ist die Außenbordantenne des 
Satellitentelefons, das die Soldaten uns genommen haben.
Dass sie ja nicht auf meine Kosten telefonieren!
Fünf Personen für die Untersuchung von Rucksack und Umhängetasche, etliche Personen stehen ringsumher. Ich bekomme beides wieder ausgehändigt. Bis auf die Schere, die hält mein Bewacher in der Hand. Die bleibt hier!
- Die kommt mit!
Die bleibt hier! Es ist verbo ... Die anderen unterstützen mich. – Auf eure Verantwortung. Ein kleiner Sieg.
Wann genau geht meine Maschine? - Morgen um sechs.
Morgen?! Was mache ich solange? Wo werde ich die Nacht verbringen?
Wohin fahren wir? – To the detention, in das Abschiebegefängnis.
Davon habe ich gehört: Man wird festgehalten und direkt in die Maschine gebracht.
Wir kommen dich morgen Abend holen. Morgen Abend?!!
21 Uhr. Chadashot, 
Nachrichten. Ob sie es wieder bringen? Da ist es, unser Boot, unser geschmücktes 
Boot. Die beiden Marineboote. Und Yonatan, er spricht. Ich kann ihn nicht hören, 
kein Ton. Und da ist Reuven, das ist neu. Zum vierten Mal sehe ich 
unseren Film, in gesteigerter Länge. 
Im Abschiebegefängnis werden meine Sachen natürlich wieder untersucht. Auf dem Monitor im Raum der Wachposten - ein Etagenbett, zwei sitzen darauf. Hier wirst du also total überwacht.
Rucksack und Tasche kann ich nicht mitnehmen, beides bleibt 
hier im Aufbewahrungsraum. Ein Buch kann ich rausnehmen, meine Brille. Nichts zu 
schreiben? Warum nicht? Er will es mir später erklären. Es ist ihm unangenehm. 
Eigentlich möchte er normaler Mitmensch sein. Aber was, wenn die anderen seine 
Kompetenz anzweifeln? Er muss hart sein, sich Respekt verschaffen – und erntet 
nur mein Mitleid, ein Hauch Sympathie. 
Er ist Russe, er sieht aus wie Putin. Wir bringen dich in ein Zimmer mit zwei anderen, Mutter und Tochter. Handtuch und Zahnpasta bekomme ich in die Hände gedrückt.
Der arrogante Fahrer kommt mit und schließt auf: Es ist hier komfortabler als auf dem Boot.
Der Raum ist sauberer als die Gefängniszelle in Ramle. Keine Graffiti. Drei Fenster, saubere Betten, Sohar Bitachon, auch hier.
Die beiden Frauen sprechen kein Englisch. Nur Russisch, Verständigung kaum möglich. Sie sind schon länger hier.
Ich lege mich auf das Bett, der Blick gegen die Decke, gegen 
die Unterseite des Etagenbettes.
Graffiti. Mit Quark? Mit 
Mayonnaise?
Mit 
Zahnpasta, natürlich. Beim Einpacken kommt die Erleuchtung.
           
Israel is a land of
           
fulls and liars.
Der Quarkschreiber nimmt es mit der Rechtschreibung nicht so genau.
Heine drückte sich ähnlich aus:
Wie schlecht geschützt ist Israel!
Falsche Freunde hüten seine Tore von außen,
und drinnen sind seine Hüter Narrheit und Furcht!
24 Stunden noch. Und für die Russinnen noch fünf Tage. Wahrscheinlich haben sie kein Geld für eine frühere Heimfahrt.
Das Klo ist besser als in Ramle, europäisch. Eine richtige Dusche gibt es auch. Aber bis auf die Zahnpasta keine Pflegemittel. Ich habe immer noch das Salz des Meerwassers im zerzausten Haar. Das Bad im Meer und die Zigarette mit Itamar! Ein himmlischer Zug im blau-weiten, weichen Mittelmeerwasser.
Ich lese noch ein wenig in Shlosha jamim wa-jeled, lege es beiseite, schließe die Augen, und schreibe das Erlebte in Gedanken weiter, ohne Stift.
Bis sieben Uhr ist noch niemand gekommen. Wir können auch niemanden rufen. Die Russinnen klopfen wild gegen die Türe.
Abendessen wird gebracht: für jeden ein eingepacktes Sandwich, ein Becher und eine Kanne Tee.
Im Schlaf die Zeit vergehen lassen. Aber es ist grässlich hell, eine starke Lampe direkt über dem Kopfende. Ich baue mit meinem Poncho und der Wolldecke eine Schlafkoje.
Das Frühstück kommt gegen zehn: das gleiche Sandwich, der gleiche Tee vom Vorabend.
Die blonde Wärterin öffnet die Türe, auch eine Russin: Edith, zieh’ dich an, der Konsul will dich sehen! So ungepflegt empfange ich keine Besuche, ich möchte zuerst meine Pflegemittel haben! Der Erpressungsversuch gelingt. Endlich mal kämmen, nicht so heruntergekommen aussehen. Du fühlst dich viel wohler.
Mit dem Kajalstift schreibe ich den Russinnen meine Internetadresse auf. Vielleicht schreiben sie mir mal, warum sie eigentlich hier sind.
Auf dem Tisch im Besucherraum stehen vier Kuchen und zwei Becher frischen, kühlen Wassers.
Die Gesprächsthemen sind die gleichen wie am Vortag. Der Botschaftsangehörige erkundigt sich nach meinem Befinden, betont die ungewöhnliche Bereitschaft des Außenministeriums, mich am Feiertag besuchen zu dürfen. Ich weise auf die politische Brückenfunktion hin und dränge sie wahrzunehmen.
Die Kuchenstücke lasse ich natürlich nicht liegen. Meine Zimmergenossinnen sollen auch etwas von meinem Festtagsbesuch spüren.
Sie duschen mehrmals am Tag, um der tödlichen Langeweile zu entfliehen. Sonst kannst du nur einem Fenster zum anderen gehen - wo ich jetzt stehe. Es gibt ein paar Bäume draußen, und ein Vogel singt. Und unten die Sukkah, mit dem abgenutzten, eingerissenen hässlichen Plastikschmuck. Unsere Hütte war schöner, herbstlich bunt. Mit Laubzweigen und Naturschmuck, den die Kinder sammelten. Wir bastelten Sterne an die Zimmerdecke, um gemütlich im Warmen zu sitzen. Die Sterne über dem Meer. Wir bestaunten sie zusammen auf dem Boot, die Unzahl an Sternen, das sternendichte Band der Milchstraße, bevor der Mond aufging und sein Licht die Schönheit des Alls verdeckte.
Ein Tagebuch
Vierter Teil: Therme
4.Oktober. Seelenpflege in der Therme. Von der Reise erholen, weiter schreiben. Du kannst noch nicht loslassen. Der Anfang fehlt. Die Aufzeichnungen liegen vor mir.
Ein Polizist begrüßt uns am Steg. Schlechtes Omen. Am 
Hafeneingang sehen wir, dass uns das weiße Presseauto gefolgt ist. Wir 
bitten sie, wie vereinbart auf das Burggelände zu fahren, wo sie filmen können, 
dort fällt es nicht auf.
Itamar, Lillian, Glyn, Rami und ich sitzen im Boot, Yonatan holt die Anderen vom Hotel ab. Zwei Polizisten kommen, betreten unser Boot, wo wir hinfahren? Wir fahren ein bisschen spazieren, einige woll’n danach noch weiter nach El Arish.
Sie notieren unsere Namen, bitten um unsere Pässe, wollen sie dem Inspektor zeigen. Rami fällt ein, dass er sein Hemd mit der palästinensch-israelischen Flagge anhat und zieht es in der Kajüte schnell aus. Reuven und die Anderen kommen hinzu. Reuven spaßt ein bisschen mit dem Polizisten: meine girlfriends. Der Polizist raucht eine Zigarette, bietet uns auch eine an. Die Atmosphäre ist gespannt. Sind sie vom Hotel verständigt worden?
Mittlerweile ist das gesamte Pressevolk vom Berg runter gekommen und steht um unser Boot herum. Das kann nicht gut gehen. Manche sind schon auf das Nachbarboot mit ihrer Ausrüstung geklettert. Glyn sieht die Sache verloren, Itamar beschwichtigt.
Einige gehen mit den Polizisten zu dem Inspektor in das Gebäude der Hafenpolizei. Glyn kommt als erster wieder zurück: Sie lassen uns fahren, wir müssen nur unsere Pässe zum Stempeln einreichen.
Wir lassen uns in zwei Polizeiautos zu dem großen Gebäude fahren, den Stempel geben und wieder zurück zum Boot. Es geht nach El Arish!
Glyn zeigt der Presse, was wir an Bord haben, breitet therapeutisches Spielmaterial aus. Ich hole noch die Schultasche und erzähle den Journalisten, dass wir noch weitere 300 haben. Dass wir auch noch Musikinstrumente zurückgelassen haben, nur etliche Mundharmonikas befinden sich an Bord.
Glyn und Reuven halten zur Abfahrt die Banner hoch. 
Alison fehlt, wir sind nur neun.
Famagusta ist noch in guter Sichtweite, wir plaudern, plötzlich ein scharfes Hupen: Ein Polizeiboot neben uns, zwei Polizisten, einer ruft zu uns rüber, wohin fahrt ihr? Gaza, rufen einige. Nein, natürlich nach El-Arish. Wer ist an Bord? Welche Nationalität? Der Name des Bootes? Ihr seid in griechischen Gewässern. Wir merken, dass wir noch die türkische Flagge haben, Glyn hisst die kleine griechische. Er verändert den Kurs, raus aus griechischen Gewässern. Wieder haben wir Glück. Itamar versorgt uns mit Obst, wir sind alle bester Stimmung.
Glyn erklärt uns Funktionen an Bord, die Toilette, die Notrufe, das Steuerrad; die Automatik fehlt, es muss von Hand bedient werden. Wir klären, wie wir schlafen. Ich bevorzuge die Bank an Deck.
Itamar macht ein köstliches Abendessen. Auf der Liberty hatten wir keine warme Küche.
Aus dem Motorraum sind unnormale, ratternde Geräusche zu hören. Motorschäden hatten wir auch auf der Liberty. Glyn geht öfters nachsehen. Er ruft den Schiffsingenieur in London an und erhält Hinweise per Telefon.
Ein Abgasleitungsrohr ist gebrochen. Glyn erklärt mir die Technik und merkt, dass ich nicht der beste Schüler bin. Das Gas konnte vermutlich nicht aus dem Auspuff entweichen, weil er unter Wasser stand. Wir sind zu schwer für das hintere Deck. Es sollten sich nicht mehr als fünf Personen hier aufhalten
Reuven und Rami teilen sich eine Koje, Lillian schläft in der anderen. Eli, ich und ein Crewmitglied im Wechsel schlafen draußen. Das Meer ist angenehm ruhig, keine stürmische Freegaza-Nacht. Es beginnt kühler zu werden, ich hole meinen Anorak.
In der Nacht weckt mich Glyn, das Telefon muss aufgeladen werden. Wir erhalten viele Anrufe, die meisten aus Israel. Um fünf sind Yonatan und Reuven wach und versuchen, mein Sat-Telefon auf Englisch umzustellen. Es ist das einzige, das gut funktioniert.
27.9., 8 Uhr, Itamar macht Frühstück: Haferflocken, 
Joghurt, Milch Bananen, Trockenfrüchte. 
Wie schön es hier ist, wir stimmen Reuven zu: du hast 
keine gesundheitlichen Probleme, keine Falten mehr... Lillian näht an der 
palästinensischen Flagge, Glyn hängt sie auf.
Ein Satelliten-Telefon geht über Bord. Einmal mit dem 
Arm zu weit nach hinten gelehnt.
Am Nachmittag legen wir ein Badepause ein. Alle, außer 
Vish, baden in ihrer individuellen Schwimmkleidung 
im Meer. Itamar raucht im Wasser eine Zigarette. Ich schwimme zu ihm, das 
will ich auch: die Tiefe spüren, das Getragensein, die Weite, das unendliche 
Blau, und dazu ein tiefer warmer Zug.
Ich gehe zum Trocknen nach vorne auf das Sonnendeck. Man 
kann sich der Länge nach hinstrecken und genießt wunderbare Weitsicht. Wir 
sollen nur angeleint und mit Weste gehen, während der Fahrt ist es nicht 
ungefährlich.
Von vier bis sechs stehe ich am Steuer.
Wir versammeln uns zur Besprechung um den kleinen Tisch 
in der Kajüte, um unser Vorgehen noch einmal durchzugehen: 
Glyn ist für das Boot zuständig, er wird das Steuerruder übernehmen und 
den Funkkontakt. Itamar ist der Sprecher für die Marine. Die Fotografen 
positionieren sich an den beiden Seiten. Wir anderen haken uns ein, sprechen, 
singen, Reuven spielt die Mundharmonika und Yonatan achtet auf uns alle.
Ich gehe noch einmal auf das vordere Deck, alleine. Eine 
schöne, weite, friedliche  Stimmung. 
Was hat der Militärsprecher verlauten lassen, wie wollen 
sie reagieren? Ich lasse mir von David die neuesten Meldungen durchgeben. Sie 
würden uns nach Ashdod schleppen.
Etwas Übelkeit kommt bei einigen am Abend auf und 
vergeht wieder.
Wir singen jiddische und israelische Lieder. Yonatan und 
Reuven spielen die Mundharmonika. Su ani, ha-cholem sach, ... 
ba adam a-amin, ki odejni maamin bach.[2]
Tschernikhovsky, , der Arzt, der Dichter.
Die Ayurveda-Massage wird von Entspannungsmusik begleitet. Du hörst das Meer. Du bist im Meer. Die warmen Berührungen sind Balsam. Als ob sie die belastete Seele, den neuerlichen Druck, kennen würde. Die sanften Hände, die lieblich-verspielte Musik, das Spiel der Wellen. Die sanften Wellen tragen das kleine Schiff. In Regenbogen-Farben blühend wird es von harmonischen Wellen getragen.
Die Massage ist zu Ende. Die Musik klingt weiter, zu den kleinen Wellen, mit meinem Schiff, ruhig, sicher, freundlich, immun.
Ein Tagebuch
Fünfter Teil: Insel
Man nennt sie die Dornröschen-Insel: Baltrum. Ein Refugium. Auch für das Reise-Tagebuch. Auf der sonnigen Terrasse mit Blick auf das Wattenmeer hältst du das Erlebte fest. Notizen gibt es keine mehr. Es hat die Zeit gefehlt, das Schreibmaterial, um alles aufzuschreiben. Eine Szene fehlt noch.
Wir wurden nach Holon gefahren. Ich schiebe den Vorhang 
wieder zurück, auch wenn es meinem Aufseher nicht passt. Ob ich die Straße 
erkennen werde, in der meine Freunde wohnen? Ob ich sie noch sehen kann? Es wird 
Zeit, dass ich aus den nassen Klamotten komme, in dem klimatisierten Auto 
beginne ich zu frösteln.
Im Warteraum der Einwanderungsbehörde treffen wir Glyn 
wieder. Im TV  läuft ein Porno. Wir 
schmunzeln. Sie merken es, schalten um. Glyn stupst mich an, Look here, look 
here! Der neue Film erregt uns mehr: Yonatans Rede nach seiner Ankunft.
Ich werde zuerst zum elektronischen Fingerabdruck 
geschickt. Dann will ich mich endlich umziehen, greife nach meinem Rucksack. 
Halt, nein, verboten! Mein Chef – interessiert mich nicht, ich ziehe jetzt 
endlich die nassen Sachen aus.
Glyn ist zur Vernehmung in einem Nachbarraum. Sein 
Schiff ist hier auf dem Bildschirm zu sehen. Nachrichten.
Ich werde in einen anderen Büroraum zur Befragung 
gerufen. Die Beamtin weist auf einen Stuhl. Ich rücke ihn näher an das große 
Pult, zu meiner Gesprächspartnerin. Sie macht mit ihren Händen eine abweisende 
Geste: zurück. Ihre Stimme klingt hochnäsig.
Sie studiert meinen Pass, sieht die beiden israelischen 
Stempel,
-         
Sie waren zwei Mal in Israel, was haben Sie 
dort gemacht?
-         
Ich war unzählige Male in Israel. Ich habe in 
einem Kibbuz gearbeitet ...
-         
Sie – in einem Kibbuz?
-         
Ich habe in einem Moschav gearbeitet ...
-         
Sie – in einem Moschav?
-         
Ich habe an der Universität in Jerusalem ...
Sie unterbricht mich, wedelt mit meinem 
palästinensischen Pass, was haben Sie hierfür angeboten? Ich erkläre ihr den 
Sachverhalt mit Freegaza, wir haben den Pass geschenkt bekommen.
Warum haben Sie das für Hamas getan? 
- Ich habe es nicht nur für Palästinenser, sondern auch 
für Israel getan.
-         
Erzählen Sie mir nicht so was!
-         
Dann fragen Sie mich auch nicht.
-         
Da wird es noch andere geben, die Sie fragen.
Da mag sie Recht haben.
-         
Also heraus damit, was haben Sie für ein Deal 
gemacht? Zu welchen Hamas-Gruppen haben Sie Kontakt?
-         
Ich habe kein Deal gemacht und habe auch keine 
Kontakte zu irgendwelchen Hamas-Gruppen.
Sie scheint darüber wütend zu sein. Den Triumph, mich 
überführt zu haben, kann ich ihr nicht geben. Sie versucht ihre letzte Karte. 
Sie legt mir zuerst eine Information über meine Rechte auf Englisch vor, Lesen 
Sie das, dann nimmt sie das längere Schreiben in Hebräisch, Unterschreiben Sie 
das.
Mein Geständnis unterschreiben? Ich unterschreibe 
nichts, bevor ich meinen Anwalt gesprochen habe.
-         
Gehen Sie. Sie schüttelt wie angewidert den 
Kopf, - Für Israel. Schämen Sie sich!
So ist es also, wenn man ins Gefängnis kommt. Hohe 
Mauern, Stacheldraht. Die Aufnahme: sachlich, die medizinische Untersuchung: 
freundlich. Der elektronische Fingerabdruck. Die Durchsuchung der Taschen. Die 
Aussortierung, was alles nicht mit in die Zelle darf. Ich erkläre manche Dinge, 
sie sind interessiert, die Antenne, die Mundharmonika, das Tamburin, Tufim 
Mirjam - du kennst unsere Geschichte?
Warum hast du das gemacht, fragt die Wärterin, nicht 
böse. Ich versuche zu erklären, in Gaza ist alles anders als du es von hier aus 
siehst, du müsstest dort hin fahren, um zu sehen ...
-         
Ich hätte Angst dort lebend wieder 
herauszukommen.
Die Wärterin und ein männlicher Kollege führen mich hinaus auf den Weg in die Zelle. Der junge Mann flachst mit seiner Kollegin, Oh, Susannah!
Don’t you cry for me.
Ich schließe die Augen in der Sonne, fast. Ein aufgeschrecktes Tier jagt an mir vorbei, fegt über die Terrasse in Richtung waldiger Anhöhe. Ein Reh, rufen einige Gäste, bewegt. Kmo Ajal. Jischtachawäh, la, la la -[3]. In dem Tanz heißt es hier innehalten. Die Tänzer stehen einen Augenblick still. Die Zeit steht still. Wie vor Jahren, als Rabbi E. häufig zu uns kam, mich letztlich zu sich holte und mich in unfassbar großer Liebe wieder entließ.
Das jüdische Siegel gab er mir mit auf den Weg. Kein Narr der Welt wird es jemals entfernen können.
[1] ‚Schwierigkeiten begegnen dir nicht, um dich zu zerstören: sondern sie helfen dir, deine versteckten Fähigkeiten und Machtpotentiale zu erkennen. Lass die Schwierigkeiten sehen, dass du auch schwierig bist.’
[2] ‚Ich bin es, spricht der Traum... Ich glaube an den Menschen, denn noch glaube ich an dich!’
[3] „wie ein Bock“ – aus „Jedid Nefesch“, traditionell zum Shabbateingang gesungen; auch als Tanz bekannt