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„Sterbe, leide  du Kahba1!“

Gideon Levy, 4. Juni 2017

Dies ist die Lektion, die von Soldaten  der israelischen IDF vom Azaria- Prozess  gelernt werden kann: Statt auf  „Terroristen“ , lasst die Person zu Tode bluten, während man sie verflucht.

Ein schrecklicher Unfall ereignete sich am letzten Donnerstag in den besetzten Gebieten. Er war nicht weniger verabscheuungswürdig als das  Schießen  auf einen unfähig gemachten Terrorist  Elor Azaria.  Während  ich das Video-clip  anschaue, das den Vorfall dokumentiert, dreht sich einem der Magen um.  Es ist abscheulich und  zum Verzweifeln – doch keine Fernsehsendung in Israel  schenkte ihr Aufmerksamkeit, die  die Tiefen der Apathie reflektiert, in die wir gesunken sind.

An jenem Tag stand eine Gruppe Soldaten rund um ein sterbendes  palästinensisches Mädchen, das sich vor Schmerzen wandte und blutend auf der Straße lag.  Die Soldaten wetteiferten mit einander, wer sie am besten verfluchen kann. Dies sind unsere Soldaten, Israel, dies ist ihre Sprache, dies sind ihre Werte und Standard. Keiner denkt daran, ihr medizinische Hilfe zu leisten, keiner denkt daran, den Ausbruch  der abscheulichen Obszönitäten, die rund um das Mädchen, das zu Tode blutet,  fliegen, zum Schweigen zu bringen. Dies war eine angemessene Gabe für die Jubiläumsfeierlichkeiten -  von den  gut aussehenden Fallschirmspringern an der Klagemauer bis zu, diesem  brutalen Akt  am Mevo Dotan- Checkpoint. 50 Jahre Besatzung haben uns dahin gebracht.

Das Video zeigt ein palästinensisches Mädchen, das langsam auf den Kontrollpunkt zugeht. Vielleicht  hat jemand stop gerufen, aber das konnte auf dem Tonband nicht gehört werden. Es kann auch kein  Messer  oder Ähnliches  bei ihr gesehen werden. Dann sieht man, wie das Mädchen wegläuft und zwei Israelis, offensichtlich Soldaten schnell hinterhelaufenr. Dies ist nur der Anfang. „Neutralisieren ( d.h. töten auf Hebräisch)  männliche und weibliche Jugendliche, die versuchen, Soldaten zu verletzten,  kommen gewöhnlich selbst zu Tode – das ist zur Routine geworden. In den meisten Fällen sind das gewöhnliche  Exekutionen. Es ist fast immer möglich, diese Angreifer, ohne sie zu töten, gefangen zu nehmen. Doch die Armee benimmt sich heroisch, wenn es sich um ein junges Mädchen handelt und  ihre Soldaten wissen jetzt, wie man tötet. Sie schossen sie zu Tode, wie man es von ihnen erwartet.

Und dann geschah  folgendes: Das Mädchen liegt auf der Straße, die bewaffneten Soldaten stehen um sie herum, wie bei einem heidnischen Ritus und schreien  eine Menge  Schimpfwörter. Das Video zeigt nur ihre Körper, nicht ihr Gesicht. Ein Bewaffneter  unter ihnen   trägt kurze Hosen und Sandalen, wahrscheinlich ein Siedler. Das Mädchen stöhnt vor Schmerzen, dreht  und wendet sich und jammert, während die Soldaten sagen: „Ich hoffe du stirbst, Tochter einer Hure, „f..ck you“, „stirb,  du Kahbah (marrokanisch Hure). Sie würden sich nicht anders benehmen , wenn sie um einen sterbenden Hund stehen würden.

 Mittendrin steht einer – man hört ihn fragen: „Wo ist das Messer?“, „berühr sie nicht!“ „Ihr seid phantastisch“ und  über ein  Handy“ wo seid ihr? Zu Hause?“

Ein paar Stunden später starb sie an ihren Verletzungen. Sie war 16 Jahre alt und hieß  Nouf Iqab Enfeat aus dem Westbank-Dorf von Yabad bei Jenin. Ein Soldat war leicht verletzt. Nur feige Soldaten töten ein Schulmädchen auf diese Weise.

Doch in diesem Fall wurde die  Routine-Exekution von einer  Requiem-Feier begleitet. Man muss es sehen, um es zu glauben. Da gab es keinen einzigen Soldaten, der ein ganz klein wenig Mitleid oder Menschlichkeit besaß. Man musste  die von den Soldaten der besetzten Armee empfundene Menge an Hass  gegen die  Nation, die sie beherrschen, sehen. Man muss sehen, bis zu welchem Ausmaß sie ihre Menschlichkeit verloren haben. Wie kann sich jemand über ein sterbendes Schulmädchen freuen? Jemanden  zu verfluchen, der wie dieses Mädchen leidet, das ist nicht weniger schlimm als sie zu erschießen.

Das ist die Lektion, dass die Soldaten von der IDF und dem Prozess  Azaria  lernten: statt zu schießen, lasst den „Terroristen zu Tode verbluten, während  man sie verflucht.  Das taten sie  nicht nur  aus dem Wunsch von Rache für ihren Versuch, einen Soldaten zu stechen. Sie taten dies vor allem, weil sie Palästinenserin war. Sie hätten offensichtlich nie so gehandelt, wenn  es ein Siedlermädchen gewesen wäre, das versucht hatte sie zu verletzten.

Das war nicht die Tat eines einzelnen. Sie waren viele. Es war auch kein  ungewöhnliches Ereignis. Dies sind  eure Soldaten, Israel.  Man sollte dies dem Stabschef nennen,  Gadi  Eisenkot, der aus irgend einem Grund für jemand gehalten wurde, der sich um das moralische  Image der IDF kümmert. Er hat fünf Kinder.  Was würdest Du denken, wenn sich jemand in dieser Weise  gegenüber Deinen Kindern benehmen würde?. Was würde irgendein Vater oder Mutter in Israel denken?

Rechtfertigt ein Messer in der Hand eines verzweifelten Schulmädchens diese Art des Verhaltens? Ist es nicht schon klar, dass wenn man seine Kinder  als Soldaten  in die  besetzten Gebiete sendet, dass dies dann so endet?

Falls die Soldaten an diesem Checkpoint nicht strafrechtlich verfolgt werden, dann wird  eines klar sein: Barbarentum ist der wahre Moralkode, der in der IDF herrscht.

(dt. Ellen Rohlfs)

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