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Die Farce eines säkularen und demokratischen jüdischen Staates

 

Gideon Levy,  16.12.2010

 

 

Die Debatte über den Gesetzentwurf zur Konversion ist trügerisch. Er wird in entfernten und dunklen Orten festgehalten, er befasst sich mit trivialen Angelegenheiten. Er scheint sich mit dem Schicksal sehr weniger zu befassen, und er scheint noch wenigere zu interessieren. Aber was da wirklich vor sich geht, das sollte jeden Israeli beunruhigen, weil es die grundsätzlichen

Probleme berührt, die unsere Gesellschaft und unsern Staat definieren.

Die Frage, ob militärische oder zivile Rabbiner  bestimmen, wer ein Jude ist, ist nicht wichtig. Rafi Peretz oder Shlomor Amar, wen kümmert es? Zehn mal wichtiger ist die Frage, ob wir zufällig in dem einzigen Lande auf der Erde leben, wo Kleriker das Recht auf Staatsbürger-schaft entscheiden. Nicht weniger bedeutend ist, wie wagen wir es, uns weiter zu täuschen,  dies  sei ein säkularer und demokratischer Staat ?

 

Die Rabbiner sind Israels Torhüter. Was die meisten von ihnen glauben, wurde vor kurzem schmerzlich offensichtlich, als sie  eine Entscheidung veröffentlichten, die das Vermieten von Wohnungen an Araber und Ausländer verbietet. Ein „moderater“ Rabbiner schlug einen „Kompromiss“ vor: Wohnungen nur an „gute Araber“ zu vermieten. Ein anderer moderater Rabbiner sagte, „in diesem Brief der Rabbiner gebe es keine Weisheit“ und kein Wort über Moral und Gerechtigkeit.  Die meisten von ihnen seien  erschreckend engstirnig, von Angst besessen und bereit, Hass gegen Ausländer zu schüren, die sie nie treffen. Was wissen sie schon von der Welt? Oder über Menschenrechte?

 

Davon überzeugt und andere versuchen zu überzeugen, dass die Juden ein auserwähltes Volk seien, ihm beizutreten oder gar Kontakt  mit denen zu  haben, die man für minderwertig hält, sei verboten. Sie leben in der fahlen Enge ihrer Wohnung, die meisten von ihnen flegelhaft und ignorant über das, was außen vor sich geht.  Sie sind unsere Torhüter, und sie bestimmen unser wirkliches Image. Wie die Schlägertypen, die die Leute vor  einem Tanzklub auswählen, so bestimmen die Rabbiner den Charakter der ganzen Partei und diese Partei ist eine unbedarfte religiöse Partei.

 

Die Konversionsdebatte lässt eine andere  viel tiefere Frage stellen: nach dem Gesetzentwurf ist Judentum eine Religion, nur eine Religion und nicht eine Nationalität oder ein Volk. So viel zu „ein jüdisches Volk“ und „das Volk von Israel“. Wenn Rabbiner die Torhüter sind, dann geht es um eine Religion und ein Ritual, nicht um ein Volk und einen Staat. In dem sog. säkularen Staat Israels, ist es unmöglich sich dem jüdischen Volk anzuschließen und säkular zu bleiben. Wie können wir behupten, dass Judentum beides ist, ein Glauben und eine Nationalität, wenn das Sich-anschließen  nur auf jüdisches Gesetz und Entscheidungen der Rabbiner gründet? Was ist mit jenen, die zum Volk von Israel gehören wollen, aber nicht an Gott glauben? Warum ist das Wort Atheist eine Gotteslästerung in Israel, das wie ein Tabu ist?  Eintritt nur für religiöse Leute? Nur ein Staat, der nach religiösem Gesetz regiert wird?

 

Es wird Zeit, zuzugeben, dass diese Methode nur als rassistisch bezeichnet werden kann. Ja,  diese stereotype Bezeichnung. Das ist es , wenn das Blut, das durch die Adern fließt unsern Status bestimmt. Wenn der Enkel einer Frau, deren Judentum zweifelhaft ist, automatisch das Recht hat, Staatsbürger zu werden, wenn er von irgendwo hier ankommt, und ein nicht-jüdischer Soldat, der hier zu kämpfen und zu leben wünscht, in rabbinische Hindernisse rennt, dann ist dies kein Urteil nach religiösem Gesetz, sondern ein Urteil nach rassistischem Gesetz. Wenn der arabische Einheimische ein Ausgestoßener ist, ein Mitglied des „Stammes von Menasse“ aus Burma  aber willkommen ist und die vollen Rechte  bekommt, nur weil ein Rabbiner sagt, er sei jüdisch, dann ist dies eine hirnrissige Theokratie. 62 Jahre  nach der Errichtung des Staates ist die Zeit gekommen, um den Mut aufzubringen und diese Realität zu ändern.

 

Schon gut genug verwurzelt muss Israel weiterhin eine Heimat und Unterkunft für jeden Juden sein, aber unter keinen Umständen nur für sie. Es ist die Zeit da, dass Normalität einzieht, dass man sich der aufgeklärten Welt anschließt, in der Einwanderungsgesetze nur nach zivilen Gesetzen bestimmt werden – kein Eintritt für alle – so etwas gibt es  nirgendwo auf der Welt – aber Kriterien eines Staates und einer Gesellschaft, nicht nach Gott und einem religiösen Gesetz.

Für die meisten Israelis, die in dieser verdrehten Realität aufgewachsen sind, scheint dies alles normal. Es ist normal, in einem Staat zu leben, wo es am Shabbat keinen öffentlichen Verkehr gibt, wo es an fast jedem Türpfosten eine  Mesusa gibt, wo es keine Möglichkeit der zivilen Heirat gibt, wo der Staat offensichtlich religiöse Gesetze einführt, und die Rabbiner die einzigen Gebieter sind, die die Leute/die Paare zu einander bringen können. Da gibt es doch praktisch keinen Protest gegen etwas davon. Selbst die öffentliche Debatte, die bis zu einem gewissen Grad besteht, ist begrenzt auf Randfragen: militärisches oder ziviles Rabbinat? Und nach all diesem wagen wir noch, unsern Staat einen liberalen und modernen Staat zu nennen.

 

(dt. Ellen Rohlfs)