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Die jüdische Republik Israel

 

Gideon Levy, Haaretz, 10.10.10

 

Behaltet diesen Tag im Gedächtnis! Es ist der Tag, an dem Israel seinen Charakter veränderte. Als Folge davon, kann es auch seinen Namen verändern und zwar in Jüdische Republik von Israel wie die islamischen Republik des Iran. Angenommen, das Gesetz zum  Treueschwur, das Ministerpräsident Benyamin Netanyahu   zu verabschieden versucht, befasse sich nur mit neuen Bürgern, die nicht-jüdisch sind, geht uns alle an.

 

Ab jetzt werden wir in  einem neuen, offiziell genehmigten, ethnokratischen, Theokratischen, nationalistischen, rassistischen Land leben. Jeder, der denkt, das ginge ihn nichts an, irrt sich. Da gibt es eine schweigende Mehrheit, die das mit Besorgnis erregender Gleichgültigkeit annimmt, als ob sie sagen will: „Es ist mir egal, in welcher Art Land ich lebe“.

Auch jeder, der denkt, die Welt wird Israel auch nach diesem Gesetz weiter als eine Demokratie ansehen, der versteht nicht, was  es damit auf sich hat.. Es ist ein weiterer Schritt, der ernsthaft Israels Image schädigt.

Ministerpräsident Netanyahu wird heute beweisen, dass er tatsächlich Yisrael Beiteinu-Führer Avigdor Lieberman ist, und Justizminister Yaakov Neemn wird beweisen, dass er wirklich ein loyales Mitglied von Yisrael Beitenu ist. Die Labor-Partei wird beweisen, dass  sie nur ein Fußabtreter ist. Und das Israel von heute wird beweisen, dass es sich um gar nichts kümmert. Heute die Gesetzesvorlage über einen Treueschwur; bald ein Gesetz über einen Treueschwur. Der Damm wird  heute überfließen  und alle Reste einer Demokratie drohen zu ertrinken. Übrig bleibt ein jüdischer Staat mit einem Charakter, den keiner mehr versteht – aber er wird gewiss keine Demokratie mehr sein. Diejenigen, die den Treueschwur verlangen, sind diejenigen, die dem Staat die Treue nehmen.

 

Bei seiner nächsten Sitzung werden in der Knesset nahezu  über 20 andere antidemokratische Gesetzesvorlagen debattiert werden. Über das Wochenende veröffentlichte die Association for Civil Rights in Israel eine schwarze Liste der Gesetzgebung: ein Loyalitätsgesetz  für Knessetmitglieder, eines für Filmproduzenten, eines für Gemeinnützige, eines, das die palästinensische Katastrophe, die Nakba, jenseits des Gesetzes stellt, ein Verbot für Aufrufe zum Boykott und eine Gesetzesvorlage für den Entzug der Bürgerschaft. Es ist ein gefährlicher McCarthyischer Tanz auf Seiten ignoranter Gesetzgeber, die nicht begriffen haben, was Demokratie eigentlich ist. Es ist gefährlich, selbst wenn nur ein Teil der Gesetzesvorlagen Gesetze werden, weil unser Schicksal und Wesen sich verändern wird.

 

Es ist nicht schwer, das Netanyahu-Lieberman-Duo zu verstehen. Als  eingeschworene Nationalisten kann man von ihnen nicht erwarten, dass sie verstehen, dass Demokratie nicht die Herrschaft der Mehrheit bedeutet, sondern   dass vor allem die Minderheiten Rechte haben. Viel schwerer zu begreifen, ist die Selbstzufriedenheit der Massen. Die Plätze der Stadt sollten heute voller Bürger sein, die nicht in einem Land leben wollen, in dem die Minderheit von drakonischen Gesetzen unterdrückt wird wie z.B. demjenigen, das sie zwingt, einen falschen Eid gegenüber einem jüdischen Staat zu schwören – seltsamerweise, scheint sich fast niemand betroffen zu fühlen.

 

Seit Jahrzehnten haben wir uns vergeblich mit der Frage auseinander gesetzt, wer ist  Jude.

Nun  lässt uns die Frage nicht los, was jüdisch ist. Was ist der „Staat der jüdischen Nation“? Gehört er mehr den Juden in der Diaspora als den arabischen Bürgern? Werden sie sein Schicksal bestimmen, und wird dies eine Demokratie genannt werden? Wird die ultra-orthodoxe Neturei Karta-Sekte, die  gegen die Existenz des Staates ist, mit Hundert Tausenden von Juden, die vermeiden hierher zu kommen, wer weiß was, mit ihm machen. Was heißt jüdisch? Jüdische Feiertage? Koschere Diät-Gesetze?  Der zunehmende  Einfluss des religiösen Establishments, als ob es davon nicht schon genug gibt, um jetzt die Demokratie  zu verdrehen. Einen Eid auf den jüdischen Staat zu schwören, wird  über sein Schicksal entscheiden. Wahrscheinlich wird er das Land in eine Theokratie wie Saudi Arabien verwandeln.

Im Augenblick ist es eine Sache eines leeren lächerlichen Slogan. Es gibt keine drei Juden, die darin übereinstimmen, wie ein jüdischer Staat aussieht, aber die Geschichte hat uns gelehrt, dass auch nichtssagende Slogans den Weg zur Hölle pflastern können. Inzwischen wird die neue vorgeschlagene Gesetzgebung nur  die Entfremdung der israelischen Araber  wachsen lassen und letztlich auch die eines größeren  Teils der Öffentlichkeit.

 

Das geschieht, wenn das Feuer noch unter dem Teppich schwelt, das Feuer des  fehlenden Glaubens an die Gerechtigkeit unseres Weges. Nur solch ein Mangel an Glauben kann solch eine verdrehte Gesetzgebung produzieren wie diese, die heute anerkannt werden wird …Kanada lässt seine Bürger keinen Eid auf den kanadischen Staat schwören; auch andere Länder fordern keinen solchen Akt. Nur Israel. Und dies wird getan, um die arabische Minderheit noch mehr zu provozieren und ihre Loyalität noch geringer wird und um sie eines Tages los zu werden. Oder es ist dafür bestimmt, um die Aussichten für ein Friedensabkommen mit den Palästinensern zu sprengen. So oder so: in Basel wurde beim 1. Zionistischen Kongress 1897 der jüdische Staat gegründet als Theodor Herzl sagte:  heute wird die rückständige (?)  jüdische Republik Israel gegründet werden.

 

(dt. Ellen Rohlfs)