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Der Shin Bet-Skandal, der niemals stirbt

 

Gideon Levy, 2.10.11

 

 

Es gibt einige Skandale, die sich weigern zu sterben, weil sie entweder nie vollständig untersucht wurden oder weil jene Verantwortlichen nie den Preis zahlten, den sie hätten zahlen sollen. Die Bus-300-Affäre von 1984 fällt in die zweite Kategorie: es ging um den Mord an zwei festgenommenen Busentführern durch Shin Bet-Sicherheitsoffiziere und die folgende verheimlichte Tatsache. Fast alles war damals klar, aber trotzdem weigert sich der Fall zu sterben, weil die meisten jener dafür Verantwortlichen nie bestraft wurden. Sie zahlten nie den Preis weder durch das Gericht noch durch das Gericht der öffentlichen Meinung.

 

Und dann am Vorabend von Rosh Hashana lebte der Fall neu auf, als Gidi Weitz einige der Gerichtsprotokolle des Falles in Haaretz aufdeckte. Vieles war von diesem  eindrucksvollen Knüller schon bekannt, aber man kann nicht umhin, wieder wütend zu werden, nachdem man gelesen hat, was in der Nacht zum 13. April 1984 geschehen ist und in den  Monaten unbegründeter Berichte, Vertuschungen, Bemühungen, dass die Zeugen schweigen, Verdrehungen und Lügen, die folgten – selbst noch nach 30 Jahren.

Der Ärger wird sogar  angesichts der Tatsache noch größer, dass fast nur die Leute den Preis zahlen, die jene Agenten des Shin Bet waren, die  den Fall enthüllten. Andrerseits ist einer, der am schwersten darin verwickelt war, kein anderer als unser viel bewunderter Präsident Shimon Peres. Jemand, der  auch in dem Fall mitgemischt hat, ist niemand anders als der jetzige Justizminister Yaakov Neeman. Diese beiden Männer, denen jetzt die Durchführung des Gesetzes anvertraut ist, bewiesen damals, wie sie wirklich mit dem Gesetz verbunden sind. Außerdem gab es den Kommandeur der Mörder der Terroristen, Ehud Yatom, der, nachdem seine Missetaten enthüllt worden waren, sogar in die Knesset gewählt wurde. Jetzt wie damals werden im Namen der Sicherheit  Mord, Falschaussagen und Bemühungen des Verschweigens in Israel toleriert.

 

Was geschah denn auf den Feldern von Dir al-Balah im Gazastreifen und  danach in den Korridoren der Regierung und beim israelischen Militär, würde es nicht heute geschehen sein.

Schließlich wer würde sich heute über das Töten von zwei gefesselten Terroristen aufregen? Nach Hunderten von ekelhaften gezielten Tötungen – auch wenn sie nicht durch Steine und Eisenstangen den Schädel einschlagen wie bei dem Bus-300-Vorfall. Die Allgemeinheit ist abgestumpft und hat sich längst an diese Dinge gewöhnt. Die Bus-300-Affäre würde heute kein Skandal mehr sein.

 

Es wären keine Lügen und Vertuschungen mehr nötig. Alles was nötig gewesen wäre, wäre ein Statement vom Sprecher der IDF, dass zwei Terroristen „versuchten, die Soldaten anzugreifen“, was die meisten Militärkorrespondenten gehorsam wiederholt hätten und was alles Fragen beendet hätte. Auf jeden Fall provozierte bei der Bus-300-Affäre immer das Vertuschen und die Lügen den Schock - nicht etwa der tatsächliche Mord.

 

Der Fall sollte ein Teil des Bürgerkunde-Currikulum  in Israel werden. Ein Gemisch von Mafia und Geheimpolizei im Sowjetstil in der Führung des Landes vor nicht so langer Zeit ist eine Angelegenheit für gründliche Studien beim Lernen, was Demokratie ist. Lange bevor unsere Kinder zu den Patriarchengräbern in Hebron geführt werden oder nach Auschwitz, sollte unsern Kindern  die wahre Rolle der Medien im Bus-300-Fall gelehrt werden.( Der wurde nämlich  enthüllt , als ein Foto mit den gefangen genommenen aber lebenden Bus-Ent-führern in einer Zeitung veröffentlicht wurde – im Widerspruch zur Zensur. Studenten müssten die Hauptgründe von jenen erfahren, die versuchten, die Sache zu verheimlichen – wie der damalige Ministerpräsident Shimon Peres. Sie fürchteten, dass sich eine „Pandorabüchse öffnen könnte“. Um die nähere Betrachtung des Falles zu verhindern, bereitete der Shin Bet-Sicherheitsdienst sogar eine Liste von zusätzlichen Morden vor, die sich vor der Bus-300-Affäre zugetragen haben.

Unsern Kindern sollte auch beigebracht werden (und wir selbst sollten uns daran erinnern),

dass die für die Lügen und die Morde Verantwortlichen ein Pardon des Präsidenten erhielten, bevor der Fall untersucht wurde, nur weil sie vom Shin Bet waren. Es lohnt sich auch, daran zu erinnern, dass einige, die diese skandalösen Pardonsgaben noch unter uns sind, mit der Führung des Landes betraut sind und sich in Affären einmischen.

 

Der Route 300-Bus, der am Rand von Dir al-Balah hielt, stoppte tatsächlich nie dort. Obgleich es üblich ist, sich der Tatsache zu rühmen, dass der Shin Bet seitdem ausgelüftet ?? worden ist, gibt es dafür ungenügende Beweise. Die Chefs des Shin Bet würden sich nicht länger mit Verleumdungen gegenüber einem ranghohen IDF-Offizier befassen (wie sie es taten, als sie fälschlicherweise den damaligen Brigadegeneral Yitzhak Mordechai in die Morde verwickelten),aber wie ist es mit dem Töten eines gefangenen Terroristen? Die Operationen des Shin Bet sind jetzt nicht transparenter als damals auf Grund der Geheimnistuerei, der einen, die nötig ist, und der anderen, die unnötig und unangebracht ist. Es herrscht ungenügender Überblick über das, was die Agentur macht.

 

Und selbst jetzt – 30 Jahre später – sind die Namen derjenigen, die in die Bus-300-Affäre verwickelt waren, noch nicht veröffentlicht worden, was an sich schon unglaublich ist. Und diejenigen, die damals einen gesunden Menschenverstand hatten und den Ministerpräsident dazu aufriefen, die Verantwortlichen zu entlassen, waren, als würden sie den Mond anheulen. Sie würden heute dieselbe Antwort bekommen. Jeder, der Gerechtigkeit suchte, zahlte einen Preis, und er würde heute einen ähnlichen Preis zahlen. Die offensichtliche Tatsache ist, dass Shin Bet-Agenten wie Reuven Hazak, Peleg Radai und Rafi Malka, die den Fall  enthüllten, nie die Ehre und Anerkennung erfuhren, die sie verdient hatten.  Und Peres wurde Präsident und Neeman Justizminister.

 

(dt. Ellen Rohlfs)