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Wann wird es illegal, ein Linker in Israel zu sein?

 

Gideon Levy, 6.1.11.

 

Es wird höchste Zeit, ein juristisches Verbot auf die israelische Linke zu legen. Warum laufen wir weiter um den heißen Brei herum? Warum benötigen wir solch einen strapaziösen rechtlichen Prozess, bis ein Gesetz nach dem anderen erlassen wird? Was ist der Sinn all der verschiedenen Vorschläge und Veränderungen? Anstelle von all dem  eben Erwähnten, lasst uns eine sehr einfache Sache erledigen: die Linke in Israel als illegal erklären. Von jetzt an gehört jeder, der links denkt, links handelt, links demonstriert und links toleriert ins Gefängnis.

 

Lasst uns  noch eine „Haftanstalt“ für Fremde bauen, aber diesmal für interne Fremde  - die Linken – und so unser Lager reinigen. Solch ein Schritt würde genau den Zeitgeist reflektieren, der den größten Teil der Israelis erfasst hat, und ihnen erlaubt, ein echtes Portrait der israelischen Demokratie zu skizzieren.

Im Israel von 2011 ist es  nicht mehr legitim, zur Linken zu gehören. Es ist illegitim, für die Menschenrechte zu demonstrieren oder gegen die Besatzung zu sein oder Kriegsverbrechen zu untersuchen. Solche Aktionen sind für die Israelis eine Schande. Ein landraubender Siedler ist ein Zionist; ein  Kriegstreiber vom rechten Flügel ist ein Patriot; ein aufhetzender Rabbiner ist ein geistlicher Führer; ein Rassist, der Ausländer vertreibt, ist ein loyaler Bürger. Nur der Linke ist ein Verräter.

Der Nationalist liebt Israel, während der Linke dieses verachtet. Man muss sich nicht für irgendetwas entschuldigen, während der andere ein Gerücht und Spekulationen widerlegen muss. Im Israel von 2011 können wir nicht länger über die Gefühle der Marktverkäufer und Basare sprechen. Jetzt nimmt eine Mehrheit der Regierungsagenturen und juristische Personen an dieser gefährlichen Goldgrube der Delegitimation  teil.

Die Knesset hat beschlossen, ein parlamentarisches Untersuchungskomitee zu schaffen, das sich die Aktivitäten der linken Gruppen näher ansieht „und ihren Anteil an der Delegitimierungskampagne gegen Israel“ untersucht.  Solch ein Panel würde sogar Senator McCarthy erröten lassen.

 

Nuri El-Okbi, ein Beduine und Menschenrechtsaktivist wurde vom Richter Zecharia Yeminy ins Gefängnis geschickt, weil er ein Geschäft ohne Lizenz führte. Der Richter war nicht verlegen, zuzugeben, dass er El-Okbis Strafe nur wegen der  „Rechte“ der zerstreuten Beduinenbevölkerung erhöht habe. Yonathan Pollak, ein Mitglied der „Anarchisten gegen die Mauer“ und ein Aktivist gegen die Besatzung, auf die jede gesunde Gesellschaft stolz wäre, wurde ins Gefängnis geschickt, weil er mit seinem Fahrrad auf der Straße fuhr.

Mossi Ratz, ein früheres Mitglied der Knesset, stand während einer Demo gegen das Töten einer palästinensischen Aktivistin in Bilin unschuldig auf dem Bürgersteig und wurde dort von einem Polizisten geschlagen, mit Handschellen versehen und verhaftet.

 

Friedensaktivisten werden vom Shin Bet-Sicherheitsdienst ausgefragt und vorgewarnt, Gewalt anzuwenden. Eine Ärztegruppe ist auf der extremen Linken, eine soziale  Stiftung „verachtet Israel“, engagierte Frauen, die an Checkpoints beobachten, sind „Verräter“ und ein Informationszentrum  wird als „Komplize des Terrorismus“ angesehen. 

 

Siedler, die auf israelische Soldaten Abfall werfen, und  ihre Freunde, die palästinensische Felder anzünden, werden nicht angeklagt, doch Pollak kommt hinter Gittern. Soldaten , die Palästinenser mit einer weißen Fahne töteten, sind noch nicht bestraft worden, aber jene, die diese Vorfälle  aufgedeckt haben, wurden denunziert. All dieses wird durch eine Fülle von Gesetzesvorlagen verstärkt – vom Treueeid bis zum Nakba-Gesetz. Alles zusammen ergibt ein erschreckendes Bild: die Linke ist ein Feind des Volkes und ein Feind des Staates.

 

Während all dies  passiert, wird Israels Image und sein internationaler Ruf durch seine blockierende Politik und die Bemühungen der Regierung, die Besatzung weiter zu festigen geschädigt. Es wird verursacht,durch die Gewalttaten der IDF und der Siedler, zusammen mit den rassistischen Aktionen der israelischen Gesetzesgeber und Rabbiner.

Ein Tag der Operation Cast Lead tat mehr, um Israels Gestank zu verbreiten als alle kritischen Berichte zusammengenommen. Eine angezündete Moschee hat Israels Namen mehr in den Schmutz gezogen, als alle  Kolumnen und Editorials zusammen, die Israel kritisieren.

 

Doch keiner verlangt, dass einer dieser Vorfälle untersucht wird. Sehr wenig Leute, wenn überhaupt jemand, ist wegen solcher Aktionen vor Gericht gebracht worden.

Was bleibt von der Linken, der einzigen Gruppe, die weiter  Israels moralischen Ruf bewahrt?

Die  paar wenigen , die die Flamme der Humanität  am Brennen halten, werden angeklagt, für schuldig erklärt und bestraft, während die wahren schuldigen Parteien von  allen Anklagen frei gesprochen werden.  Die Polizei, das Rechtssystem, die Knesset, der Shin Bet und die IDF  haben sich - mit den Propagandisten der Rechten - Kräften angeschlossen, um als Ankläger ohne Gerichtsverhandlung  zu agieren, während die Linke keinen Verteidiger hat.

 

Ein einziges Gesetz könnte die Sache vereinfachen: lasst jeden Israeli wissen, dass es verboten ist: es ist verboten, an ein gerechtes Israel zu glauben, es ist verboten, gegen eine seiner Ungerechtigkeiten zu kämpfen, es ist verboten, für Israels Seele zu kämpfen. Noch  kommen einem einige Zweifel. Wünschen denn alle, die einen Kampf gegen die Linke führen, – von den Verantwortlichen des Shin Bet und der Polizei, von den Richtern und den Gesetzgebern der Rechten -- wirklich eine „Demokratie“ ohne die Linke?

 

(dt. Ellen Rohlfs)