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Alles ist persönlich – Israel und der Goldstone-Bericht

 

Gideon Levy, 1.10.09

 

Israel sollte dem Richter Goldstone und seiner Kommission für den wichtigen Bericht danken.

Nachdem man ihn sinnlos und automatisch schlecht gemacht hat, wird es Israel auf einmal klar, dass es das, was bei der Operation Cast Lead im Gazastreifen geschehen ist,  endlich untersuchen sollte. Warum? Was ist passiert?  Unter den Füßen einer Reihe israelischer Staatsmänner und Offiziere wird der Boden immer heißer.

Wie sich nun herausstellt, ist dies der einzige Weg, uns eine Lektion zu erteilen. Goldstone hat uns einen Spiegel vorgehalten; wir versuchten ihn,wie üblich, zu zerbrechen. Aber im Gegensatz zu früheren Berichten hat das Zerbrechen des Spiegels dieses Mal nicht geholfen. Der Verteidigungsminister Ehud Barak hatte den früheren Präsidenten des Obersten Gerichtes gebeten, ein Untersuchungskomitee zu leiten; plötzlich ruft der Chef des militärischen Geheimdienstes nach der Annahme eines „Ethik Kodex“, den Prof. Asa Kasher  zusammengestellt hat; und plötzlich ruft der Ministerpräsident Benjamin Netanyhu zu einer dringenden  Zusammenkunft auf, um ein Untersuchungskomitee aufzustellen.

 

Was ist passiert? Noch einmal wird deutlich, dass alles persönlich ist. Es ist auch zu wenig und zu spät: ein „Untersuchungskomitee“  genügt nicht, auch nicht der von Kasher geschriebene „Ethik Kodex“.  Vor wenigen Tagen sagte Kasher zu Maariv (Zeitung), dass der Gaza-Arzt Ezzedin Abu al-Aish  am Tod seiner Töchter selber schuld  sei.  Es ist gut, dass der Boden unter unsern Füßen heiß wird.

Wird es Ehud Barak und Israels IDF-Stabschef Gabi Ashkenazi nun ungemütlich? Es ist der einzige Weg, damit Israel endlich lernt. Nicht nur, dass bewiesen wurde, dass in Gaza Kriegsverbrechen begangen wurden, sondern dass Leute für ihre Taten auch einen Preis zahlen müssen. Das sind gute Nachrichten für Israel: Dank Goldstone werden die Leute jetzt zweimal vielleicht sogar dreimal darüber nachdenken, bevor sie  noch  einmal so eine Operation wie Cast Lead über eine hilflose zivile Bevölkerung bringen.

 

Von jetzt ab wird Israel nicht mehr nur daran denken, wie man ein Minimum an Verlusten auf der eigenen Seite erreichen kann. Von jetzt an wird man auch die internationalen und persönlichen Auswirkungen eines jeden brutalen Angriffs berücksichtigen. Genau das ist die Funktion internationaler Körperschaften:  solche hemmungslose Angriffe wie Cast Lead zu verhindern. Goldstone hat also seine Aufgabe erfüllt und sich als Zionist und als Freund Israels erwiesen. Ihm ist es zu verdanken, dass Israel seine kriegerischen Wege ändert und in Zukunft diese durch das Prisma des Völkerrechts ansieht und  auch die damit verbundenen persönlichen Kosten berücksichtigt. Bis jetzt dachten wir nur, wie man tötet , ohne selbst getötet zu werden – ab jetzt wird man an den Preis denken, der mit einem Massentöten auf der anderen Seite verbunden ist.

 

Es ist wirklich traurig, dass wir erst auf Goldstone warten mussten, dass wir erst auf ausländischen Druck  reagieren, um unser eigenes Image zu gestalten, und nur wenn persönlicher Schaden droht, sind wir bereit, einen genaueren Blick auf uns selbst zu werfen. Wenn es jemals einen Krieg gegeben hat, der auf unsere eigene Initiative hin und sofort hätte untersucht werden sollen, dann ist es Cast Lead. Während er uns wenig Verluste brachte, dachte niemand daran, ihn näher zu untersuchen; kann  aber das, was im Gazastreifen geschah, denn  im leeren Raum hängen bleiben; und diejenigen, die  dafür verantwortlich sind,  so tun, als wäre nichts geschehen?

 

Die Wunden von Gaza sind noch nicht verheilt, die Trümmer sind noch nicht weggeräumt; die Häuser noch nicht wieder aufgebaut. Israel ist auch noch nicht rehabilitiert. Es besteht zwar immer noch darauf, dass alles so ging, wie es gehen sollte. Aber jetzt werden Risse sichtbar.  Irgendwie ist es  zynisch und bedrückend, das dies erst passiert, nachdem Israels Führer es mit der Angst zu tun bekommen, es beträfe ihr persönliches Schicksal. Jetzt können wir nur noch hoffen, dass Goldstone, die UN und die Welt nicht nachgeben. Kein Israeli will sehen, dass Barak in London verhaftet wird, aber jeder anständige Israel sollte hoffen, dass wenn in seinem Namen  Kriegsverbrechen begangen worden sind, die Verantwortlichen auch den Preis bezahlen müssen - und dann besser in Israel.

Das hohle, demagogische Argument, das viele Israelis anwenden, dass Israel im Gazastreifen nicht anderes tat als andere, mag wahr sein, ist aber moralisch verzerrt. Kein Verkehrssünder oder ein anderer Krimineller kann seine Taten entschuldigen und sagen: „Das tun doch alle!“

 

Ist die Welt gegenüber Israel  hart? Vielleicht.  Aber Israel erfreut sich einer  unendlichen bevorzugten Behandlung. Die Welt behandelt uns anders: sie schaut an Dimona vorbei und schweigt über die Besatzung – aber  zu Gaza will sie  nicht länger ruhig bleiben. Warum?  Diesmal sind wir zu weit gegangen. Es ist nicht nur das Recht der Welt – es ist ihre Pflicht.

Goldstone begann die Arbeit, Israel sollte damit fortfahren. Schließlich ist das Bild, das aus Goldstones Spiegel schaut unser Ebenbild, nicht das seinige.

 

(dt. Ellen Rohlfs)