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Lehrer fürs Leben

 

Gideon Levy, Haaretz, 7.1.2010

 

In Tel Aviv gibt es ein pädagogisches Gedicht. Durch den Vorhang von Gleichgültigkeit und Dunkelheit fällt ein Lichtstrahl. In einem Bildungssystem, das nur Dienstgrade und sterile Umgebung liefert, ist die Ermunterung zum ( selbständigen) Denken verboten. Es ist ein Ort, an dem Lehrer taubstumm und Pädagogen für die Gehirnwäsche der Propaganda, des Ausweichens und der Ignoranz im Schulpensum blind sind. Aber eine mutige Stimme ist gehört worden. Der Schulleiter des Aleph –Gymnasiums, Ram Cohen rief letzte Woche  seine Elf-Klässler zusammen und gab ihnen eine wirkliche Stunde Bürgerkunde, eine Stunde über Werte. Anstelle des übrigen Blabla, billigen Zionismus und noch billigere Demokratie, Klischees innerhalb hohler und fadenscheiniger Klischees. Cohen sprach zu seinen Schülern die Wahrheit..

 

Cohen sprach mit ihnen über die Besatzung. Er sagte ihnen, Werte könne man nicht so brutal zerdrücken, wie es Israel während 42 Jahren getan hat und dann behaupten, wir erziehen zu Demokratie. Er fragte sie, ob sie bereit wären, unter Besatzung zu leben . Er sagte ihnen, er würde keinen Terror rechtfertigen, aber verstehen, was zu Angriffen führt. Er rief die Erzieher dazu auf, den Schülern zu sagen, die Besatzung  sei ein Fluch und rief die Soldaten dazu auf, in einer Armee zu dienen, die für Sicherheit sorgt, und nicht in einer Armee, die sich mit der Besatzung beschäftigt.

„Sprecht mit einander, redet mit euren Eltern, geht hinaus und demonstriert,“ sagte er ihnen  und tut, was ein Pädagoge tun sollte. Aber im Israel von 2010 haben Cohens Bemerkungen unter  Nationalisten und Militaristen einen Sturm ausgelöst. Knessetmitglieder haben seine Entlassung gefordert, man zitierte ihn ins Bildungsministeriums und  Tel Aviver Rathaus, um einiges „klar zu stellen. Interviews zu geben, war ihm nicht erlaubt, was unmöglich ist.

Der Generaldirektor des Bildungsministeriums Shimshon Shoshani war auch geschockt. Für einen Schulleiter, der meint, predigen zu können, ist kein Platz im Schulsystem, „ sagte der Pädagoge „Nr.1“,  indem er Cohens Staatsbürgerkunde mit  der Hetze verglich, die dem Tod des Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin vorausging. „ Ich bin nicht gegen Lektionen mit dem Klassenlehrer, wenn man über die Besatzung als ein Konzept redet,“ wand sich der Generaldirektor. „Sollen doch die Leute ihr Für oder Dagegen aussprechen. Schauen wir auf das, was in der Westbank als Besatzung geschieht?“

 

Das wahre Gesicht des Bildungssystems als  eines, das mit der Besatzung kollaboriert, war plötzlich aufgedeckt. Der Generaldirektor vergleicht mörderische Hetze mit Bemerkungen über menschliche Werte. Er wagt noch zu fragen, ob die Westbank unter Besatzung ist. Er denkt noch, dass es ein „für“ oder ein „gegen“ die Besatzung gibt. Ein Bildungssystem, das sich mit Yeshiva-Schulleitern versöhnt, die Nationalismus und Rassismus predigen, mit Rabbinern, die jeden Stein in einem Land für heilig erklären, das nicht uns gehört,  Lehrer, die für die Fortsetzung der Siedlungen sind, die dem internationalen Gesetz nach illegal sind – diese seien alle in Ordnung und  werden  nicht als „politisch“ angesehen.

 

Lehrerpropagandisten, die ihren Schülern nicht die  ganze Wahrheit über unsere Geschichte  sagen, die denken, Demokratie bedeutet, am Wahltag zur Wahl zu gehen, Staatsbürgerkunde bedeutet, für die Entlassung  des Soldaten Gilad Shalit zu demonstrieren, Zionismus bedeutet, nach Auschwitz zu reisen und  ‚Werte’ bedeutet, an einer Fernsehsendung für den IDF-Wohlfahrtsfond teilzunehmen – die werden vom schwerfälligen System akzeptiert. Ein Pädagoge, der versucht , seinen Job mit wirklichem Inhalt zu füllen, wird zu einem Klärungsgespräch zitiert.

Schuldirektor Cohen sprach einmal davon, wie er dazu kam, seine Einstellung zu verändern: Von seinem Haus in Modiin sah er jeden Tag eine lange Reihe palästinensischer Arbeiter nach einem harten Arbeitstag zu Fuß nach Hause gehen, weil sie nicht die Apartheidstraße benützen dürfen. Sollte er dies seinen Schülern nicht sagen dürfen? Dies ist doch nicht nur sein Recht, sondern seine Pflicht? Ist es  für seine Schüler nicht  wichtig, zu sehen, was um sie herum geschieht? Und nicht nur  sich am  Marsch der Lebenden ( in Auschwitz) - in eine Nationalflagge gewickelt - beteiligen, sondern auch wie und wo unsere Nachbarn gehen?

 

Cohens Gymnasium hat sich seit meiner Schulzeit dort verändert. Unter seiner Leitung ist es eine Schule denkender Kinder geworden. Im Gegensatz zu seinen Kollegen ist Cohen auch gegen die Militarisierung der Schulen aufgetreten und  gegen ihre Klassifizierung nach der Zahl  der Kampfsoldaten, die  sie für die IDF produzieren. Hier hat er auch einen guten Job getan.

 

Cohen ist wirklich ein Lehrer fürs Leben, „der beste Lehrer des Landes“  wie der billige gerade im Gange befindliche Wettkampf genannt wird, in dem aber sein Name sicher nicht genannt werden wird. Statt ihm einen Brief der Anerkennung  zu schicken, wird er verurteilt; statt ihn allen Pädagogen zum Vorbild hinzustellen, wird er vorgeladen, um Erklärungen abzugeben. Wenn wir doch  noch ein paar Dutzend mehr solcher Pädagogen in unserer Zeit hätten, dann hätte es wahrscheinlich keinen Goldstone-Bericht gegeben.

 

( dt. Ellen Rohlfs)