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Empathie gegenüber der palästinensischen Seite erzeugt nur Hass und Misstrauen

 

Gideon Levy, 10.7. 11

 

 

Der Marsch am 15. Juli von der Solidaritätsbewegung für palästinensische Unabhängigkeit geplant, wird sicherlich eine hässliche Welle von Drohungen gegen Juden bewegen, die es wagen, vom Konsens abzuweichen:  jene, die ihre Verbindung mit dem palästinensischen Wunsch ausdrücken, die Besatzung zu beenden und einen unabhängigen Staat  zu errichten. Im Israel von 2011 wird jede Bekundung elementarer menschlicher Empathie gegenüber der palästinensischen Seite, jedes Bekennen von Verständnis für ihre Hoffnungen und Prioritäten einen Schwall von Hass und Misstrauen entgegenschlagen und wachsende Belagerungsmentalität.

 

Wie wir so weit gekommen sind, ist eine (große) Frage, aber da wir schon mal hier sind, sollten wir uns an einen anderen Marsch erinnern – an einem anderen Ort und zu anderer Zeit und an die Leute, die trotz der Opposition des verkümmerten, rassistischen Konsenses daran teilnahmen.

 

Am 21. März 1965 verließen Aktivisten Selma, Alabama, und machten sich zur Bundeshauptstadt von Montgomery, um gegen die Weigerung zu protestieren, dass die Schwarzen im Süden Amerikas nicht wählen durften. Es war zum dritten Mal, dass Bürgerrechtsorganisationen versucht hatten, sich auf solch einen Marsch zu begeben.  ( mit Martin Luther King!!)

Beim ersten Mal waren es 600, die mit der lokalen Polizei in Konflikt gerieten. Ihr stand der Sherif James Clark, ein ungebremster Rassist vor, der sich entschied, mit seinem eigenen Körper die Bürgerrechtsbewegung zu blockieren. Seine Männer behandelten die Demonstranten mit außerordentlicher Brutalität, selbst nach den vorherrschenden Normen im Süden. Sie benützten Schlagstöcke und Tränengas; ihre Pferde trampelten auf den Demonstranten herum. Köpfe wurde zersplittert, Knochen wurden gebrochen und innere Organe zerdrückt. Die Demonstranten, vor der Polizeigewalt hilflos, verließen die vorderen Reihen und gingen nach Hause; aber die Bilder wurden überall im Lande über TV gesehen und hatten ihre Wirkung.

Beim dritten Versuch kamen 25 000 Menschen, begleitet von der Bundespolizei. Dieses Mal erreichten die Demonstranten Montgomery, und Amerika kam einen Schritt näher zur Rückkehr des Stimmrechtes für die schwarze Minderheit. Dies war ein Höhepunkt im Kampf  der Bürgerrechtsbewegung, einer Bewegung, die sich an die Ideologie der Gewaltfreiheit hält, und es fertig bringt, innerhalb weniger Jahre, das Apartheidregime zu stürzen, das Jahrzehnte auf dem Land lastete.

 

Sie verließen ihr bequemes Leben

 

Jeder der auf die Fotos dieser schicksalhaften Tage von 1965 schaut, sieht sofort, dass weiße Gesichter  - Frauen, Männer, Nonnen und Rabbiner, Junge und Alte  - aus einem Meer von schwarzen Gesichtern auftauchen. Das waren die  weißen Unterstützer der Bewegung, die ihr bequemes Leben in den Städten und Vororten hinter sich ließen und nach Selma kamen, um ihre Solidarität mit der am meisten unterdrückten und gehassten Minderheit Amerikas auszudrücken.

Es war keine einfache Aufgabe. Aus einem Abstand von nur wenigen Jahrzehnten  und einem schwarzen Präsidenten im Weißen Haus ist es für uns schwierig, sich vorzustellen, warum nicht Millionen für den gerechten Kampf  der Schwarzamerikaner im Süden marschierten, um  sich der grundlegenden Freiheit zu erfreuen, die Gleichheit zu realisieren, die sie als Bürger eines demokratischen Landes verdienen. Wir müssen uns aber erinnern, dass unter den Weißen im Süden eine tiefe Überzeugung herrschte, dass Schwarze  kein Recht auf Bürgerrechte haben, dass Weiße ihre soziale und politische Überlegenheit auf jeden Fall bewahren müssten und dass Mitglieder beider Rassen ewige Feinde wären.

Alle Weißen, die nicht mit dieser Überzeugung übereinstimmten, die offen gegen die Mehrheit waren, kamen in den Süden und erklärten, dass sie bereit seien, in ihrem Kampf gegen Unterdrückung  und Diskriminierung auf Seiten der schwarzen Bürger zu stehen und ihr Leben zu riskieren. Die Weißen, die also an den Märschen teilnahmen, litten genau unter der Gewalt und dem Hass, die ihren schwarzen Mitbürgern galt.

 

Viola Liuzzo, eine Hausfrau aus Detroit, wurde von Mitgliedern des Ku Klux Klan erschossen. Jeder Weiße, der es wagte, sich dem Kampf der Schwarzen anzuschließen, wurde in den Augen vieler als ein Feind der Rasse, als ein Verräter angesehen, dessen Leben billig war.

Noch marschierten sie. Sie marschierten, weil sie verstanden, dass es an der Zeit war, die Gleichgültigkeit der weißen Gemeinschaft in den USA zu durchbrechen; dass es an der Zeit war, aufzuhören, mit der Paranoia und dem Rassismus der Weißen im Süden zusammen zu arbeiten, und auf der Seite der Gerechtigkeit, der Ethik und auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Bis zum heutigen Tage erinnert man sich an diese Leute, die das Richtige taten, die über die Vorurteile und die hohlen politischen Konventionen ihrer Zeit hinausschauten – trotz der Gefahr und der Furcht.

 

Unser notwendiger Feind

 

Wir, die Juden, die in Israel leben, beteiligen uns täglich, ja, stündlich an der Verweigerung grundlegender Rechte der palästinensischen Bürger,  mit den auf Dauer eingerichteten Siedlungen und der Besatzung. Wie sind in einer ähnlichen Position wie die Weißen in den USA in den 60er-Jahren.

 

Die meisten von uns finden es schwierig, den palästinensischen Kampf für Unabhängigkeit zu unterstützen, entweder aus Faulheit, Gleichgültigkeit oder Abscheu gegen jene, von denen uns erzählt wurde, sie seien unser notwendiger Feind. Die meisten von uns, finden es schwierig, gegen die Geschichte aufzustehen, die uns von der Regierung  und den meisten Medien erzählt wird, dass die palästinensische Unabhängigkeitserklärung für Israel eine Katastrophe bedeutet, genau so wie  für die meisten Weißen im Süden das Gewähren der Stimmrechte für die Schwarzen das Ende der Zivilisation wäre.

 

Die meisten von uns finden es schwierig, zu glauben, dass es möglich ist, mit einander im Frieden zu leben, genau wie jene Weißen in Alabama es schwierig fanden, sich ein Leben in freier Gesellschaft zu leben, in der Mitglieder aller Rassen dieselben Rechte haben. Die meisten von uns haben noch dringendere Angelegenheiten zu erledigen, genau wie die Weißen in den USA es schwierig fanden, die Tatsache zu akzeptieren, wegen der Schwarzen im Süden, die nicht wählen könnten, die Nacht wach zu bleiben.

 

Der Marsch, der die palästinensische Unabhängigkeitserklärung unterstützen würde, wäre eine goldene Gelegenheit für einen Wandel. Es wäre der Moment – so könnten wir uns sagen – für unsere palästinensischen Nachbarn und die ganze Welt, dass auch wir von den Ketten des Hasses, der Angst und des Rassismus’ befreit würden, die den Staat Israel im Griff haben.

 

Dies wäre der Zeitpunkt zu zeigen, dass auch wir fähig sind, jenseits der Paranoia zu schauen, die uns lähmt,  und jede Möglichkeit eine Lösung zu finden, blockiert. In wie viel Jahren werden Leute auf uns, die Israelis, zurückblicken, als auf Leute, die die Realität nicht begreifen konnten, und die  einen unnötigen Krieg gegen die legitimen Hoffnungen anderer führten.

An einem Solidaritätsmarsch teilzunehmen, ist eine ähnliche Wahl wie die der Weißen ,die sich dem Marsch nach Selma anschlossen. Jetzt haben wir die Wahl, einen Standpunkt in Echtzeit auf der richtigen Seite der Geschichte zu nehmen.

 

(dt. Ellen Rohlfs)