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Bibi oder Tibi ?

 Oder  Israel eine Demokratie?

 

Gideon Levy, Haaretz, 27.5.10         

 

 

 

Bibi oder Tibi? Barak oder Barakeh? Dov Khenin oder Hanin Zuabi? Praktisch jeder jüdische Israeli würde auf diese Frage mit einem Pawlowschen Reflex reagieren – ohne einen Moment zu zögern. Natürlich Bibi, sicher Barak. Und selbst Khenin wäre besser als sein Kollege das Knessetmitglied Zuabi. Warum? Weil sie Juden sind.

Ihre Weltsicht, Meinungen oder gar ihre Qualifikationen und ihre Darstellung sind überhaupt nicht relevant. Der Gedanke, dass ein arabischer Bürger an der Spitze des Staates stünde, liegt jenseits der Grenzen irgend eines öffentlichen Diskurses in Israel. Dies ist natürlich in einem Staat verständlich, der verzweifelt wünscht, ein vollkommen jüdischer Staat zu sein und der die große arabische Minderheit ignoriert. Aber es ist unmöglich, den schrillen, beunruhigenden Ton dieses Grundsatzes zu überhören. Falls dies stimmt, wenn es den Ministerpräsidenten betrifft, so stimmt es in noch größerem Ausmaß, wenn es sich um andere Aspekte unseres Lebens handelt.

Irgendwo anders könnte und sollte man dies Rassismus  nennen. Aber nicht hier. Hier ist es einfach selbstverständlich – zum Teufel  mit den Definitionen und Bedeutungen. Ein Schwarzer kann  wohl Präsident der USA sein; Vertreter von Minderheiten können in vielen Ländern auf irgendeinen Posten gewählt werden, in einigen sogar als Präsident.  Nur hier ist es unvorstellbar, selbst in einer imaginären Friedensituation.

 

Allein der Gedanke, dass das Knessetmitglied Ahmed Tibi oder einer  wie er je Ministerpräsident wäre, ist die größte, schrecklichste Bedrohung, die über unsern Köpfen schwebt – schlimmer noch als die iranische Bombe. Dies  wäre die letzte Einschüchterungswaffe gegen alle israelischen Juden.

 

Eldad Yaniv machte dies an einem ausgezeichneten Beispiel  in seinem Artikel  in Haaretz am Dienstag deutlich. Unter einer Schlagzeile, die  nur als ironisch angesehen werden kann : „Zionisten sind keine Rassisten“ bewies der Gründer der „nationalen Linken“ genau das Gegenteil. Zionisten sind tatsächlich Rassisten. In seinem Artikel drohte Yaniv, dass „wenn wir die (besetzten) Gebiete nicht verlassen … dann wird Ahmed Tibi  Ministerpräsident.“ Einer, der zu recht und mutig, die komatöse Linke  mit allen Mitteln aufrütteln will, hat die zweifelhafte Seite aller israelischen Juden – der linken und der rechten – aufgedeckt.

 

Vielleicht  hat Yaniv versehentlich bewiesen, dass selbst unter  den zionistischen Linken es genügt, ein bisschen an der Oberfläche des schönen Geredes über Gerechtigkeit und Gleichheit zu kratzen, um den Rassismus und Nationalismus aufzudecken. Diese Einstellung herrscht dort genau so vor wie bei den Rechten.

 

Tibi wird  hier natürlich nie Ministerpräsident und es ist zweifelhaft, ob er es überhaupt will. Sein Herz ist mit seinem Volk, den Palästinensern. Aber der linke Flügel, ja, die Linken  disqualifizieren ihn im voraus. Diese Disqualifizierung hängt nicht nur mit seiner Meinung zusammen. Das hängt zu aller erst mit seiner Herkunft zusammen. Denn selbst wenn Tibi Großisrael unterstützen würde und glauben würde, dass die IDF die moralischste Armee der Welt wäre, selbst wenn er  wunderbar begabt wäre, ist er nicht wählbar, unpassend, disqualifiziert für immer und im voraus. Die Rassisten vom rechten Flügel verstecken ihre rassistischen Ansichten nicht. Doch ist die (nationale) Linke auch mit Nationalismus befleckt.

 

Ist es erlaubt, hier zu fragen, ob Tibi besser qualifiziert ist als Bibi? Vielleicht wäre er als Ministerpräsident weniger aktiv als Benjamin Netanyahu? Vielleicht hätte er Israel weniger geschadet? Vielleicht hätte er uns weniger Kriege gebracht und weniger Besatzung? Vielleicht hätte er für mehr soziale Gerechtigkeit für die Bürger des Landes gesorgt? Vielleicht wäre er liberaler als ein nationalistischer Jude?  Vielleicht würde die Wahl eines Vertreters einer Minderheit eines Tages die Gesellschaft fortschrittlicher machen? Vielleicht würde er eine erstaunliche Botschaft für die Welt und für uns verkündigen?

 

Aber all diese Fragen sind ganz und gar irrelevant. Tibi ist ein Araber und ein Araber – ob talentiert, moderat und selbst einer, der Israel liebt – würde nie unser Vertrauen gewinnen.

 

Warum? Weil er ein Araber ist. Punkt. Dies stimmt hinsichtlich der Position des Ministerpräsidenten und es stimmt in bezug auf die Autowerkstatt, wo wir unsern Wagen zur Reparatur hinbringen.

Also nehmen wir doch die Maske ab. Wenn wir von einem „jüdischen Staat“ reden, meinen wir einen nationalistischen Staat. Wie könnte er sonst noch beschrieben werden? Außerdem, wenn wir „jüdischer Staat“ sagen, geben wir ihm keine Chance, dass er auch wirklich demokratisch wird.

Demokratie? Nur für die Juden in diesem Staat. Die Möglichkeit, dass ein arabischer Bürger mit „gleichen Rechten“ eines Tages an der Spitze Israels stehen würde, erschreckt uns alle, einschließlich Yaniv, mehr als alles andere.

 

(dt. Ellen Rohlfs)