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Wie palästinensische Kollaborateure umgarnt werden: Israel und die dunklen Künste

 

Jonathan Cook, 12.9.08        

 

Israels beständige Ausnützung  palästinensischer Kollaborateure, um die Besatzung zu vertiefen und den palästinensischen Widerstand zu brechen, war einmal das große Unaussprechbare im Nahost-Konflikt.

Als das Thema von internationalen und lokalen Medien aufgegriffen wurde, dann nur  im Kontext des Versagens des palästinensischen Rechtssystems, das die Hinrichtung im Schnellverfahren durch Lynchmob und inoffiziellen Gerichten erlaubte.

Das ändert sich gerade mit einigen Berichten, die das Ausmaß von Israels Gebrauch von Kollaborateuren anzeigen und die schmutzigen Techniken, mit denen sie rekrutiert werden. „Zusammen-Arbeit“ - so wurde nun deutlicher – ist das Rückgrat von Israels Erfolg, die Besatzung der Westbank und des Gazastreifens aufrecht zu erhalten.

 

Kollaboration erscheint in verschiedenen Formen, einschließlich Landverkäufern, die privates palästinensisches Land  aufkaufen und dies den Siedlern oder der israelischen Regierung  weiter verkaufen; bewaffnete Agenten, die israelischen Soldaten bei Überfällen helfen;  Unterwanderer in nationalen Organisationen und ihren bewaffneten Flügeln, die Widerstandsoperationen vereiteln.

Aber die Grundlage des Kollaborationssystems ist der Informant auf der untersten Ebene, der Informationen über Nachbarn und Gemeindeleiter weitergibt, worauf sich das Kontrollsystem aufbaut.

Die Berichte in den Medien z.B. aus der letzten Zeit unterstellen, dass der Rückzug 2005 aus dem Gazastreifen die Gelegenheiten der Kollaboration nicht  verringert, sondern tatsächlich vermehrt hat. Die augenblickliche Belagerung des Gazastreifens, bei dem Israel alle Bewegungen in und aus dem Gazastreifen beherrscht, hat  eine ideale Einflussstelle geschaffen, wo zur Zusammenarbeit ermutigt wird.

 

Wer diese Strategie anführt, ist die israelische Geheimdienstpolizei, der Shin Bet, der vor kurzem seine Aufmerksamkeit auf die Kranken des Gazastreifens und ihre Verwandten gelenkt hat, die den Streifen verlassen wollen. Da die Krankenhäuser zu wenig Medikamente haben, haben viele Patienten wenig Hoffnung auf Genesung, wenn sie keine Behandlung im Ausland oder in Israel erhalten.

Nach dem israelischen Zweig der Ärzte für Menschenrechte nützt der Shin Bet die Not dieser Familien aus und setzt sie unter Druck, um für einen Passierschein mit ihnen zusammenzuarbeiten.

Im letzten Monat veröffentlichte die Gruppe  Einzelheiten von 32 Fällen, die zugaben, dass man ihnen Passierscheine verweigerte, nachdem sie sich geweigert hatten, Informanten zu werden.

Einer von diesen ist Shaban Abu Obeid, 38, dessen Herzschrittmacher in einem israelischen Krankenhaus eingesetzt worden war. Er benötigte periodisch eine Wartung durch israelische Ärzte. Ein anderer, Bassam Waheidi, 28, war auf einem Auge blind geworden, nachdem er sich geweigert hatte, mit ihnen zusammen zu arbeiten. Er hatte auch keinen Passierschein bekommen.

Aber diese Fälle sind nur die Spitze eines riesigen Eisberges. Diese Palästinenser , die sich weigerten, zu kollaborieren, haben jedes Interesse, ihre Probleme bekannt zu machen. Im Gegensatz zu jenen, die einverstanden waren, mit ihnen zusammen zu arbeiten. Diese hatte kein Interesse daran.

Wie andere Besatzungsregime hat sich Israel  lange auf die traditionelle Art und Weise verlassen, Kollaborateure zu rekrutieren: durch Folter. Während  eine Entscheidung des Obersten Gerichthofes 1999 die Folter verboten hat, hat der Shin Bet diese offizielle Entscheidung schlicht  ignoriert.

Zwei israelische Menschenrechtsgruppen, B’Tselem und Hamoked, fanden im letzten Jahr, dass sieben „spezielle“ Verhörmethoden, die Folter gleichkommen, noch immer regelmäßig angewendet werden, einschließlich Schlägen,  schmerzhaftes Fesseln, Biegen des Rückens, Körperstreckung und  langer Schlafentzug.

Verhaftung ermöglicht andere Möglichkeiten zur Rekrutierung. Allein in den vergangenen 17 Jahren sind 150 000 Palästinenser vom Militärregime strafrechtlich verfolgt worden. Nach der israelischen Gruppe Yesh Din enden 95  dieser Gerichtsverfahren mit einer milderen Strafe, weil sich der Angeklagte für schuldig erklärt und ihm so noch eine Chance angeboten wird, für eine reduzierte Strafe  ein Informant zu werden.

Das israelische Gefängnissystem, dem Zelle-teilen (Gefangene zusammen mit Informanten) ist eine perfekte Umgebung, in der der Shin Bet Daten nicht nur über die Verhafteten, sondern auch über deren weitere Gesellschaft  sammeln kann, wie Salah Abdel Jawwad, ein in Ramallah lebender Politikwissenschaftler, beobachtet hat.

Mit hundert Tausenden Palästinensern, die seit 1967 durch Israels Gefängnisse gingen, war Israel in der Lage, „von einem sehr frühen Stadium an die Bevölkerung zu kontrollieren“, sagte H. Jawwad, „besonders weil sie so in der Lage waren, jene zu identifizieren, die die potentiellen zukünftigen Führer der Gesellschaft sein könnten“.

Ein Beispiel für die Anwendung von Druck während der Verhaftung kam jetzt ans Licht, als ein Maulkorberlass im Falle Hamed Keshta, 33, aus Gaza aufgehoben worden war. Der Übersetzer für Nachrichtenagenturen und die EU wurde im Juli  verhaftet, als er versuchte, einen Passierschein für den Grenzübertritt nach Israel  zu benützen, um sich mit seinem EU-Arbeitgeber zu treffen.

H. Keshta sagte, er sei in Haft genommen und ihm sei die Chance   angeboten worden, Kollaborateur zu werden. Als er dies ablehnte, begannen die Verhörenden  im Ernst, berichtet der Haaretz- Reporter. Er wurde einen Monat festgehalten, schwerer Beschuldigungen angeklagt, einschließlich „Verletzungen der Sicherheit“ und heimlich  ein ‚Verbrechen gegen die Sicherheit des Staates geplant’ zu haben.

Ich vermute, dass dies das übliche Routineverhör war, das Tausende andere Palästinenser durchlaufen mussten,“ bemerkte er nach seiner Entlassung. „Sie schlugen mich nicht, aber ich wurde gezwungen, auf einem Stuhl in der berüchtigten „Shabah“-Stressposition zu sitzen, die nach kurzer Zeit unerträglich schmerzhaft ist. Keshta wurden auch Medikamente verweigert.

Jahrzehntelang hat die Besatzung ein System absoluter Kontrolle des Lebens der Palästinenser auferlegt. Es forderte von ihnen Anträge für Passierscheine  bei der  über sie herrschenden Militärregierung zu beantragen, das den irreführenden Namen  Zivilverwaltung trägt,  oder beim Geheimdienst.

Die meisten Palästinenser benötigen eine Genehmigung, um ganz wesentliche tägliche Dinge erledigen zu können, um ein Haus zu bauen, eine Bauveränderung vorzunehmen, einen Checkpoint zu passieren, um Verwandte zu besuchen oder ein Krankenhaus zu erreichen; durch ein Tor des Trennungszaunes zu gehen, um das eigene Land zu bearbeiten; mit einem Taxi zu fahren, um Export oder Import-Lizenzen zu erhalten, die besetzten Gebieten zu verlassen, auch  zu Geschäftszwecken; einen Verwandten im Gefängnis zu besuchen, die Wohnerlaubnis für ein Familienglied zu erwerben usw.

 

Es gibt nur wenige Palästinenser, die nicht irgendwann  solche Vergünstigungen von militärischen Behörden benötigten, entweder für sich selbst oder für irgend einen Bekannten. Genau an dieser Stelle kann Druck ausgeübt werden. In ihrem Buch „Sharon und meine Schwiegermutter“ beschreibt Suad Amira diesen Prozess mit beredten Worten. Als Dank für Hilfe oder einen Passierschein wird vom Besatzungsregime eine kleine Gunst gewährt. Wenn es erst einmal gewährt wurde, dann ist die Integrität des Empfängers zu Kompromissen bereit, und die Forderungen werden größer.

 

Es ist dieses sanfte Umgarnen von großen Teilen der palästinensischen Bevölkerung – zusammen mit offenen Drohungen physischer Gewalt gegenüber kleineren Teilen der Bevölkerung – diese sichergestellte Zusammenarbeit mit der Besatzung ist endemisch. Wie Israel sehr wohl versteht, schafft dies eine Umgebung, die erfolgreichen Widerstand zunichte macht, der Organisation erfordert, Zusammenarbeit auch bei Nachrichtenübermittlung zwischen den Fraktionen. Sobald sich der Kreis über ein paar Individuen vergrößert, wird es wahrscheinlicher, dass ein Informant dabei ist.

 

Das Ergebnis kann an den kläglichen Fehlschlägen der meist bewaffneten Widerstandsakte  gesehen werden und auch  daran, wie leicht es für Israel ist, palästinensische Führer für gezielte Exekutionen zu finden.

Abdel Jawwad nennt diese Methode „psychologische Kriegsführung“ gegen Palästinenser, die man glauben lässt, ihre Gesellschaft sei ‚schwach, krank und  aus unzuverlässigen Leuten zusammengesetzt’.

Kurz gesagt: dies unterstützt  den sozialen Zerfall , durch den  Palästinenser zu der Überzeugung kommen, es ist besser, dem Nachbarn ein Messer in den Rücken zu stechen bevor er zusticht.

 

Jonathan Cook ist Schriftsteller und Journalist in Nazareth, Israel. Seine letzten Bücher sind „Israel and the Clash of Civilisations: Iraq, Iran and the Plan to Remake the   Middle East” (Pluto Press)  und “Disappearing Palestine: Israel’s Experiments in Human Despair” (Zed Books)  Seine Website :  www.jcook.net.

Dieser Artikel  erschien ursprünglich in The National ( www.thenational.ae), veröffentlicht in Abu Dhabi.

(dt. Ellen Rohlfs ---  Ich erhielt diesen Artikel über  www.Kibush.co)