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Israel, eine Demokratie aber nicht für seine Minderheit

(Jenny Rei Praktikanten bei Adalah/Baladna, Juli 2010)


Zu Hause redete ich, einige Tage vor meinem Abflug mit Freunden über Israel.

Eine Reise in ein Land mit einer wunderschönen und vielfältigen Natur, einer langen, kriegerischen Geschichte und einer zweifelhaften Politik.

 

Es ist das Land, dass seit Jahrzehnten fast ausschließlich im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt genannt wird.

Das Land in dem Jerusalem liegt, eine der wichtigsten Städte aller drei monotheistischen Religionen. 

Es ist das Land, was sich meine deutschen Freunde als kahle, trockene und heiße Wüste vorstellen, in der Krieg herrscht, Bomben fliegen, Mauern gebaut werden, sich Selbstmordattentäter in die Luft sprengen, Menschen verhungern und sterben.

Krieg zwischen den Juden in Israel und den Palästinensern in Gaza.

Es ist das Land aus dem meine muslimischen Freunde im- und exportierte Waren boykottieren und das Existenzrecht Israels bestreiten.

 

Die Diskussion um den Nahostkonflikt gibt es seitdem ich denken kann.

Ich bin im Juli 1990 geboren, es ist nun Juli 2010 und auch im Juli 1948 war in dem Land, was damals von der UNO, in einen jüdischen und einen arabischen Staat geteilt werden sollte, Krieg.

 

Ich wohne mit einer Freundin in Haifa, bei ihrer palästinensischen Familie. Es ist die zweitgrößte Stadt Israels und die liberalste Stadt, wie man mir sagte.

Ich mache hier ein Praktikum  bei „Baladna“, einer Organisation, die sich für die Gleichberechtigung der in Israel lebenden palästinensischen/arabischen Jugendlichen einsetzt. 

 

Und genau da beginnen schon die Probleme: Was sind sie? Wie nenne ich sie? Israelis, israelische Palästinenser, israelische Araber, Palästinenser oder Araber, die in Israel leben? Und weshalb Gleichberechtigung in Israel? - „Israel ist die Demokratie des nahen Ostens, dort gehört Gleichberechtigung zu den Grundgesetzen“, würde man sagen.


Israel hat ca. 7 Millionen Einwohner, davon sind ungefähr 76% Juden. Juden, die aus der ganzen Welt kamen, aus Russland, Amerika, Europa, Afrika, Australien und den umliegenden arabischen Ländern.

Sie bilden durch die jahrhundertelange Diaspora (Zerstreutheit) keine einheitliche Gruppe und haben unterschiedliche Traditionen und religiöse Ansichten, davon sehen sich 43% selbst als säkular religiös, 28% als Traditionalisten, die sich jedoch nicht strikt an die religiösen Gesetze halten. 6% als ultraorthodox, 9-10% als orthodox und 13% als traditionell-religiös.

 

20% der Bevölkerung besteht aus Arabern, von denen sind 80% Moslems, 10% Drusen und 10% arabische Christen.

 

1948 sind 750.000 Palästinenser in die angrenzenden Länder vertrieben worden oder sind aus Angst um ihr Leben geflohen.

Nur etwa 200.000 sind im Land und damit im neugegründeten „jüdischen Staat Israel“ geblieben. Sie besitzen die israelische Staatsbürgerschaft und sind in der parlamentarischen Demokratie, ohne geschriebene Verfassung, formal gleichberechtigt.


Im Vergleich zu den anderen Arabern haben sie zwar den höchsten Lebensstandard in Israel, sind aber trotzdem im realen Leben nicht nur gesellschaftlich und sozial, sondern auch politisch marginalisiert und gelten als Menschen zweiter Klasse.

 

Ein Großteil der Juden misstraut den Arabern, die seit ihrer Kindheit mit der ständigen Diskriminierung leben müssen. Arabische und jüdische Kinder besuchen separate Schule, wo sie unterschiedliche geschichtliche und sprachliche Kenntnisse erwerben und schon dort nichts miteinander zu tun haben und getrennt voneinander aufwachsen.

Den Palästinensern wird Land enteignet, sie haben Ansiedlungsverbot, schlechtere Ausbildungen, leben in engeren Wohnungen und verdienen weniger Geld als ihre jüdischen Mitbürger.


Aufgrund ihres israelischen Passes ist es ihnen verboten in andere arabische Staaten einzureisen, abgesehen von Ägypten und Jordanien.

Es ist schwieriger für sie an einer Universität angenommen zu werden und einige der Studenten werden von der Regierung überwacht, da sie politisch aktiv sind und an Demonstrationen teilnehmen.

 

Später sind ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt dann erheblich schlechter. 

Man fragt sich zum Beispiel, wofür man den Militärdienst braucht um nebenbei in einem zu Restaurants arbeiten?

Manche Arbeitgeber verlangen den vollen militärischen Dienst, was jedoch nur ein anderer Weg ist um zu sagen: „keine Araber“. Drei bzw. für Frauen, zwei jährige Ausbildung im Militär ist in Israel für Juden, Drusen und Tscherkessen Pflicht.

Araber sind davon nahezu ausgeschlossen, da sie für die Regierung ein Sicherheitsrisiko darstellen. Auf der einen Seite bleiben ihnen damit viele Chancen und auch eine politische Karriere verwehrt auf der anderen Seite wären sie gezwungen gegen ihre Verwandten und Glaubensbrüder in Gaza, Westjordanland, Libanon oder Syrien zu kämpfen.


Die jahrzehntelange Benachteiligung hat zwischen Arabern und Israelis eine große Kluft geschaffen, denn einerseits wollen sie Gleichberechtigung, andererseits identifizieren sie sich aber auch mit den Palästinensern in den besetzen Gebieten, Gaza und den Teilen im Westjordanland, die zum palästinensischen Autonomiegebiet gehören.


„Baladna“ ist eine, im Jahr 2001 gegründete Jugendorganisation, die von jungen Leuten geführt wird.

Die legale Organisation soll den jungen Menschen helfen ein produktives Mitglied der Gesellschaft zu werden. Sie bieten Ideen und praktische Konzepte für jugendlichen Aktivismus in der arabischen Gemeinde, organisieren kulturelle Veranstaltungen, Diskussionsrunden, musikalische und künstlerische Vorführungen.

In Kursen versuchen die Mitarbeiter die Jugendlichen in ihrem Verständnis und der Aufnahme von demokratischen Prinzipien, Gleichheit von Geschlechtern, Pluralismus, Toleranz, Menschenrechten, Würde und einer Balance zwischen Stolz und Selbstkritik zu bestärken und zu fördern.

Sie werden in Geschichte, ihrer eigenen Kultur unterrichtet und über die besetzen Gebiete informiert. 

 

Einer der wichtigsten Aspekte, mit dem „Baladna“ konfrontiert ist, ist der, der Identitätsfindung arabischer/palästinensischer Jugendlicher.

Es ist schwer für sie, sich in einem Land zu Hause zu fühlen, in dem sie namentlich nicht existieren. Sie fühlen sich wie Fremde im eigenen Land und sie selbst wissen nicht, ob sie Palästinenser, Israelis, Araber oder was auch immer sind.


Eine Demokratie, welche gleichzeitig „jüdischer Staat“ genannt wird und nicht für die demokratischen Prinzipien einsteht, darf nicht als eine solche gelten. Schon der Name schließt jegliche Christen, Muslime, Drusen und andere Religionsgemeinschaften aus, die in dem Staat leben.

Es ist schwer eine Demokratie Heimat zu nennen, wenn man sie nur so nennt, aber in Realität keine ist und die gleichen Rechte, Menschenrechte, nicht seiner Minderheit zugesteht.


Wir in der westlichen Welt sind verängstigt Israel und seine Handlungen gegen Gaza und die Palästinenser zu kritisieren, aufgrund unseres zu Recht schlechten Gewissens wegen dem zweiten Weltkrieg, dem Holocaust und der Vernichtung von Millionen von Juden.

Kritik kann aber nicht jedes Mal, wenn sie auftritt immer mit Antisemitismus abgewendet und durch Angst unterdrückt werden. Wir sind eine neue Generation und nichts rechtfertigt die politischen Handlungen eines Landes, in diesem Fall Israels gegen die Menschenrechte.

 

Der ganze Konflikt ist nicht nur ein religiöser, er ist auch kombiniert mit einem ethnischen.

Das Judentum ist im Gegensatz zu dem was Theodor Herzl sagte, eine Religion und kein Volk. Die Menschen die hier leben bekommen dies jedoch von klein auf an anders beigebracht. 

Viele Menschen leben in Israel, die einen friedlichen Weg gehen möchten und der der einzig richtige ist, ganz gleich welche Religion oder Ethnie sie haben. 

Aber wenn sich politisch nichts ändert und die Länder nicht aufhören mit Krieg und Waffen nur Geld zu verdienen, wird sich der Nahostkonflikt nie klären und ich werde im Juli 2050 noch immer sagen können: „Hier herrscht Krieg.“ 

Und auch die Kinder meiner Freunde werden sich Israel genauso vorstellen, wie meine Freunde es heute tun. Eine kahle, trockene Landschaft, mit Mauern, Bomben, Selbstmordattentätern, zerstörten Städten, verhungernden und sterbenden Menschen.

Und sie haben Recht, diese Realität ist ein Teil von Israel, aber nicht einzig und allein. 

Israel ist auch ein wunderschöner Fleck auf der Erde, der schönste im nahen Osten, wie der Vater einer mit mir befreundeten irakischen Familie sagte, der vor Jahrzehnten schon das Land gesehen hat.

 

In meinem Bericht geht es nicht darum einer Seite die Schuld zuzuschieben, keine ist unschuldig. Doch es leidet im Endeffekt immer die unschuldige Bevölkerung, die gerne vergessen wird und nicht im wahren Interesse der Politik und politischer Gruppen steht. Es geht auch nicht um eine Religion, und auch nicht darum, die Streitfrage zu klären, wem das Land „gehört“, wer hier leben darf. Die Erde gehört allen Menschen, jeder soll dort leben wo er sich zu Hause fühlt, wo er geboren ist oder gerne lebt.

Nadeem, der Direktor von „Baladna“ sagte bei unserem ersten Gespräch: „Wir möchten, dass die Welt weiß, dass wir Araber und Palästinenser hier in Israel existieren und auch wir hier zu Hause sind.“


Und wenn ich jetzt die Frage beantworten sollte „was sie sind“, würde ich sagen, sie sind Menschen, die hier leben, anerkannt und respektiert werden wollen. Die palästinensischen und jüdischen, arabischen, israelischen, muslimischen und christlichen Menschen die ich hier kennen gelernt habe sind gute Menschen, die sehr viel gemeinsam haben. Menschen, denen allen die gleichen Rechte zugestanden werden müssen.  (Jenny Rei., Juli 2010)