Jeff
Halper, Middle East News Service 6. April 2009
Die
Empörung in der organisierten jüdischen Gemeinde über die Aussicht, dass ich in
Australien sprechen würde, ist für einen
Israeli wie mich wahrlich erstaunlich. Man muss zugeben, dass ich gegenüber
Israels Besatzungspolitik sehr kritisch bin und meine Zweifel habe, ob eine
Zwei-Staatenlösung noch immer möglich ist, nachdem sich die israelischen
Siedlungen so ausgedehnt haben, aber
dies berechtigt kaum die Art von
Dämonisierung, die ich von Seiten der
The Australische Jüdische Nachrichten (AJN) erhalten habe. Ähnliche Meinungen
wie die meinige finden sich in den israelischen Mainstream-Medien. Ja, ich
schreibe häufig für die israelische Presse und erscheine regelmäßig im
israelischen Fernsehen, und man hört mich im Radio.
Warum
also die Hysterie? Warum wurde ich aus dem Tempel Emmanuel in Sidney, einer selbst
ernannten progressiven Synagoge, verbannt? Warum muss ich mich als Israeli aus
einer Kirche an die jüdische Gemeinde wenden? Warum wurde ich in jede Universität im östlichen Australien
eingeladen, in der Monash Universität war ich aber
gezwungen, ein geheimes Treffen mit der
jüdischen Fakultät in einem verdunkelten Raum abzuhalten, weit weg von den
Hallen des intellektuellen Diskurses ? Wenn die
„Führer“ der jüdischen Gemeinschaft mich
und meine Position verurteilen, warum haben dann Israelis, die auf meine
Rede warteten, solch eine Anerkennung
zum Ausdruck gebracht, dass endlich
„reale“ israelische Ansichten in
Australien ausgestrahlt werden, auch wenn sie nicht mit allem einverstanden
sind? Mein Recht zu sprechen, wurde offensichtlich in den meisten in den AJN
veröffentlichen Leserbriefen unterstützt. Dies weckt beunruhigende Fragen über
das Recht australischer Juden, unterschiedliche Ansichten über Israels Konflikt
mit den Palästinensern von Israelis selbst
zu hören.
Es wirft sogar noch tiefgreifendere
Fragen auf. Wie sollten die Beziehungen der Diasporajuden zu Israel sein? Ganz
gleich, welche Gefahr ich für die
organisierte jüdische Gemeinschaft Australiens auch darstelle, so hat das weniger mit Israel zu tun, als dass ich
womöglich das von Leon Uris ( sein bekanntestes Buch: „Exodus“) idealisierte Image Israels, das für euch so
kostbar ist, beschädigen könnte. Das mag recht seltsam klingen: aber ich glaube
nicht, dass euch in der Diaspora klar geworden ist, dass Israel ein fremdes
Land ist, alles andere als eure idealisierte Version, so wie Australien weit
davon entfernt ist, ein Känguruland zu sein. Länder ändern sich, sie entwickeln
sich. Was würden Australiens europäische Gründer denken – selbst die, die bis
vor kurzem eine „weiße australische“ Politik verfolgten – wenn sie das
multi-kulturelle Land von heute sehen würden ? Nun
fast 30% der israelischen Bürger sind keine Juden, wir könnten sehr wohl weitere 4 Millionen Palästinenser – die
Bewohner der besetzten Gebiete – in unserm Land einbürgern .
Und
um dies abzurunden: es ist inzwischen
deutlich geworden, dass der größte Teil der Diaspora-Juden nicht vorhat, nach Israel zu emigrieren.
Diese Tatsache - plus der dringenden Notwendigkeit für Israel, mit
seinen Nachbarn Frieden zu machen – bedeutet sehr viel. Das heißt, dass Israel sich derart verändern
muss, wie es sich Ben Gurion, Leon Uris und Mark Leibler
nie hätten vorstellen können, auch wenn das für euch schwer zu akzeptieren ist.
Doch
sehe ich dies als etwas Positives an, als ein Zeichen für ein gesundes Land,
das endlich die Realität, die es teilweise selbst geschaffen hat, in den Griff bekommt, selbst wenn dies
bedeutet, dass Israel sich von einem ‚jüdischen Staat’ in einen ‚Staat all
seiner Bürger’ entwickelt – in einen bi-nationalen oder demokratischen Staat.
Diese Herausforderung ist in der Tat eine natürliche und wahrscheinlich
unvermeidbare Entwicklung und sicher besser als Israel zu „eliminieren“. Es
wird nicht einfach sein – aber so wie
ihr hier multikulturell geworden seid,
so können wir dies auch.
Aber
genau das ist unser Problem als Israelis. Welches ist euer Problem? Warum
sollten Diskussionen über solch wichtige Probleme Israels euch Kummer bereiten? Weil ihr – so wage ich zu sagen –
einen Anteil daran habt, Israels idealisiertes Image zu bewahren, was die
Beschäftigung mit dem wirklichen Israel übertrumpft. Meiner Ansicht nach wird
Israel als das Wichtigste eurer ethnischen Identität in Australien benützt; um
eure Kinder jüdisch zu erhalten, braucht ihr ein belagertes Israels. Ich möchte
sogar so weit gehen und euch anklagen, weil ihr ein Israel mit einem Konflikt
braucht. Ihr fühlt euch anscheinend von
einem Israel mit Frieden bedroht, weshalb ihr abstreitet, dass ein Frieden
möglich ist. Ein friedliches Israel, das weder bedroht noch „jüdisch“ ist, kann die Rolle, die ihr ihm gebt, nicht
erfüllen. Aus diesem Grund nennt ihr meine Botschaft „ gemeine Lügen“.
Dies
ist – offen gesagt – die Bedrohung, die ich für euch darstelle. Allein dies
erklärt, warum Rabbiner, Gemeinde-“führer“ und
jüdische Professoren sich lieber heimlich mit mir treffen, als mich, einen
kritischen Israeli, in ihren Synagogen oder Klassenräumen zu haben. Das ist
sehr verständlich. Ihr benötigt so ein Kernstück, wenn ihr eure Identität als
florierende Gemeinde in einer toleranten multikulturellen Gesellschaft bewahren wollt. Ich frage mich
nur, ob das wirkliche Israel diese Rolle spielen kann oder ob es fair ist, dies
von Israel zu erwarten.
Wir
sind verschiedene Völker. Israel kann genau so wenig das jüdische Leben
in der Diaspora bestimmen, wie ihr über das Leben in Israel bestimmen
könnt. Statt einen imaginären Platz zu verteidigen, müsst ihr Respekt für Israel
und israelische Stimmen entwickeln, ein Respekt, der sich nur einstellt, wenn
ihr anfangt, Israel als reales Land anzusehen. Und ihr müsst euer Leben leben. Ihr müsst alternative jüdische
Diaspora-Kulturen und Identitäten
entwickeln. Ironischerweise wird die israelische
Regierung - nach allem, was ich sagte –
dagegen Widerstand leisten, denn sie benutzt euch als Agenten
, die ihre Politik unterstützen, oft eine extrem rechte und
militaristische Politik, die euren Werten von kulturellem Pluralismus und von Menschenrechten wiederspricht. Denkt
daran: Israel tut alles auch in eurem Namen. Wenn ihr nicht eine unabhängige
Position einnehmt, seid ihr Mittäter.
Was
mir in Australien begegnet ist, ist nur ein winziger Teil einer traurigen
Geschichte der gegenseitigen Ausbeutung:
ihr nützt Israel aus, um eure Gemeinde zusammen zu halten; Israel benützt euch,
um seine nicht zu rechtfertigende
Politik zu verteidigen. Vielleicht kann aus all dem etwas Gutes kommen: eine
kräftige Diskussion über das Wesen der Beziehungen zwischen Israel und der Diaspora.
Ich werde nach Jerusalem zurückkehren. Ihr müsst Israel loslassen und ein
jüdisches Leben führen.
Jeff Halper
ist Direktor des israelischen Komitees gegen Hauszerstörungen, ( ICAHD) eine Friedens – und Menschenrechtsorganisation, die
sich um einen gerechten Frieden zwischen
Israelis und Palästinensern bemüht.
(dt.
Ellen Rohlfs)