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Ein Staat fürchtet sich vor seiner Vergangenheit

 

Haaretz-Editorial; 29.7.10

 

Vor etwa zwei Wochen unterzeichnete der Ministerpräsident Benyamin Netanyahu Verordnungen, die den Zugang zu Regierungsarchiven einschränken. Wie Barak Ravid gestern in Haaretz aufdeckte, wird 50 Jahre altes Material, dass für historische Studien für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollte,  zwei weitere Jahrzehnte verschlossen bleiben.

 

Der Entscheidung war ein intensiver Druck von Seiten des  Verteidigungsestablishments

 und der Geheimdienste auf den Staatsarchivar Prof. Yehoshua Freundlich vorausgegangen. Der Archivar akzeptierte ihre Position und sagte „ dieses Material ist nicht für die Öffentlichkeit geeignet.“

Die Information, die als Geheimsache unter Verschluss bleibt, befasst sich u.a. mit den Vertreibungen und  Massakern an Arabern während des Unabhängigkeitskrieges, mit den Mossad-Opertionen im Ausland,  mit der Überwachung der Oppositionspolitiker durch den Shin Bet-Sicherheitsdienst in den 50ern und mit dem Aufbau des biologischen Forschungsinstituts in Nes Tziona und dem Atomforschungszentrum in Dimona.

 

Das Material war  für die Öffentlichkeit nicht zugänglich; die neuen Verordnungen sollen nur rückwirkend einen Stempel der Legalität auf die Sperrung der Archive setzen, die bis jetzt illegal gesperrt waren. Der Staatsarchivar warnte davor, dass einiges des  als geheim eingestuften Materials Auswirkungen auf (Israels) Festhalten am Völkerrecht habe.

 

Seine Worte lassen vermuten, dass der Staat als ein Geächteter angesehen werden könnte, wenn die Taten der Sicherheits- und Geheimdienste öffentlich gemacht werden. Aber seine Erklärungen sind nicht berechtigt. Israel, das in diesem Jahr seinen 62.Geburtstag feiert, kann und muss sich auch mit den weniger heldenhaften Kapiteln seiner Vergangenheit auseinandersetzen und sie der Allgemeinheit und für historische  Studien zugänglich machen. Die Allgemeinheit hat ein Recht, über die Entscheidungen, die die Staatsgründer machten,

Bescheid zu wissen, auch dann, wenn es sich um Menschenrechtsverletzungen handelt, wenn Verbrechen gedeckt werden oder politische Gegner schikaniert wurden. Das Land ist reif und stark genug, aufkommende Kritik anzunehmen wie z.B.  die bis vor kurzem unveröffentlichten Zeugnisse über die Vorfälle in Deir Yassin.

Die Rolle des Sicherheitsestablishments und der Geheimdienste ist es , den Staat in der Gegenwart zu schützen und nicht die Vergangenheit zu verbergen. Die neuen Verordnungen, die eine Antwort auf Petitionen von Journalisten an den  Staatsgerichtshof waren, kehren den Trend der Offenheit – im „Gesetz für die Freiheit der Information“  um. Israelis sollten die Geschichte studieren können, wie sie wirklich geschah und wie sie dokumentiert wurde und nicht eine zensierte und verschönerte  Version.

 

(dt. Ellen Rohlfs)