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Israel: verheiratet mit dem Krieg ?

  Guardian.com uk   9.10.08 

 

Das Militär des Landes  scheint weit davon entfernt zu sein, die Lektionen aus dem letzten Konflikt zu lernen, ja, es scheint  sogar noch bereiter zu sein, Gewalt anzuwenden. Nach dem Libanonkrieg 2006  ging es in Israel nur um diese Fragen: Welche Fehler wurden gemacht und wer machte sie? Was kann  gemacht werden, um  nach einer allgemein empfundenen Niederlage die militärische „Abschreckung“ Israels wieder herzustellen? Welche Lektionen  könnten generell aus der Konfrontation mit der Hisbollah gelernt werden, um beim nächsten Mal nicht wieder einen Fehlschlag zu erleben?

Leider scheinen völlig falsche Schlüsse gezogen worden zu sein, wenigstens in der militärischen Hierarchie und von denen, die für die Politik verantwortlich sind. Am Freitag  (3.10) wurden in der Yedioth Ahronoth-Tageszeitung Kommentare des israelischen Generals Gadi Eisenkot, Chef des Armeekommandos Nord, veröffentlicht. Eisenkot nützte die Gelegenheit, Grundsätze über Pläne mitzuteilen, wie zukünftige Kriege geführt werden.

Der General versprach „unverhältnismäßige“ Gewalt anzuwenden, um ganze Dörfer zu zerstören, wenn sie als  die Orte identifiziert werden, aus denen die Hisbollah Raketen abfeuert. Sie sind dann „keine zivilen Dörfer“ mehr , sondern „Militärbasen“  - die Art der Begründung, die einen vor das Kriegsverbrechertribunal bringt. Eisenkot wies  daraufhin, wie Israel 2006  den Beiruter Stadtteil Dahiya  dem Erdboden gleich gemacht hat, und sagte, dies würde das Schicksal eines  „jeden Dorfes sein, von dem aus auf Israel geschossen wird“.  Damit es keinen Zweifel gibt, setzte er hinzu: „Das ist keine Empfehlung. Dies ist ein Plan. Und er ist anerkannt worden.“  Dieses offene Versprechen über Anwendung „unverhältnismäßiger“ Gewalt wird für die Libanesen  sehr beunruhigend sein, die schon bei der letzten Runde  willkürlichen Angriffen ausgesetzt waren,: der gezielten Zerstörung der zivilen Infrastruktur, der Bombardierung mit Streubomben . Aber was Haaretz  die „Dahiya Doktrin“ nannte, erhielt  von einigen  wie dem altgedienten israelischen TV /Zeitungs-journalisten  Yaron London begeisterte Unterstützung.

 

London schien mit Eisenkots Entscheidung, „den Libanon zu zerstören“ hoch erfreut  und  von den Protesten der Welt keineswegs abgeschreckt zu sein. Während  London  sich darauf freut, wie Israel etwa  160 schiitische Dörfer „pulverisiert“ und  die Auswirkungen von Eisenkots Denken deutlich macht, sagt er: „In der Praxis sind die Palästinenser im Gazastreifen alle Khaled Mashaal, die Libanesen alle Nasrallah, und die Iraner sind alle Ahmadinejad.“  Was mit„in der Praxis“ gemeint ist, muss nicht wiederholt werden.

 

Der Haaretz-Bericht beschrieb auch, wie ähnlich die Schlussfolgerungen sind, die in Berichten von militärisch-akademischen Institutionen gezogen wurden. In einem dieser  vom Institut für nationale Sicherheitsstudien (INSS) an der Tel Aviver Universität veröffentlichten Papier, das den  eindeutigen Titel  „Unverhältnismäßige Gewalt“ trägt, beschreibt der Autor (Reserveoffizier) Gabriel Siboni im  Detail, wie die Lektionen von 2006 verstanden werden sollen: Mit dem Ausbruch von Feindseligkeiten wird die IDF sofort und entschieden reagieren und mit Gewalt, die in keinem Verhältnis zu den Aktionen des Feindes  und der Bedrohung stehen. Solch eine Reaktion zielt dahin, soviel Schaden anzurichten und  in einem Ausmaß zu bestrafen, dass ein sehr langer und teurer  Wiederaufbauprozess nötig sein wird.

 

Siboni drängt das israelische Militär, „die Schwachstellen des Feindes“ unverhältnismäßig zu treffen und erst danach  sich die Raketenwerfer selbst vorzunehmen. Die Vernichtung  der „wirtschaftlichen Interessen“, „der Zentren der zivilen Macht“ und  der „staatlichen Infrastruktur“ wird  den syrischen und libanesischen Entscheidungsträgern lange im Gedächtnis bleiben und so die „israelische Abschreckung“ verstärken und die feindlichen Ressourcen beim Wiederaufbau binden.

 

Eine andere neue INSS-Publikation von einem früheren Chef des nationalen Sicherheitsrates drängt Israel zu garantieren, dass beim nächsten Mal die libanesische Armee und die zivile Infrastruktur „zerstört werden wird“. Oder wie der Autor es prägnant ausdrückt: „Solange die Bewohner von Haifa sich in Luftschutzkellern aufhalten müssen, werden die Bewohner von Beirut nicht an den Strand gehen können.“

 

Diese Entschlossenheit, einen „ lang anhaltenden Denkzettel“ in den Köpfen der Syrer und Libanesen zu schaffen, erinnert an vorausgegangene israelische Absichtserklärungen. 2003 sagte der IDF-Generalstabschef Moshe Ya’alon, dass der Krieg, der in den besetzten Gebieten tobt, sich „tief ins Bewusstsein der Palästinenser einprägt, sie seien ein besiegtes Volk.“

 

2006 empfahl tatsächlich auch  Dr. Reuven Erlich, Chef des Nachrichten- und Terrorismus-Zentrums beim Zentrum für Sonderstudien in Tel Aviv, den hohen Preis ins „libanesische Bewusstsein einzubrennen, den sie zahlen müssen, wenn sie uns provozieren.“

Brutale Gewalt anzuwenden, um gewisse Wahrheiten unterschiedlicher Beschreibungen ins Bewusstsein der Araber einzubrennen,  gehört zum  israelisch zionistischen Gedankengut und geht auf Jabotinskys Theorie der  „Eisernen Mauer“ zurück. In den 20er-Jahren schrieb er offen, dass jedes (einheimische) Volk sich fremden Siedlern widersetzen wird, solange es die Hoffnung hat, die Gefahr durch fremde Besiedlung abwenden zu können“. Die Notwendigkeit war dann für eine „eiserne Mauer“ der Gewalt gegeben, um die Palästinenser an den Punkt zu bringen, „alle Hoffnung“ aufzugeben.

Da die brutale Logik der Siedler-Herrschaft seit Jahrzehnten ein  führendes Prinzip für israelische Militärstrategen ist, wurde dieses noch mit dem rassistischen „anthropologischen“ Klischee ergänzt,  die „Araber verstünden nur die Sprache der Gewalt“. Interessanterweise ist solche Redeweise  im US-Militär-Diskurs nun etwas Alltägliches, da das Pentagon sich jetzt auch in der Position befindet, ein Land im Nahen Osten zu besetzen und dort Widerstand erfährt.

Deshalb scheint es, als habe Israel ganz und gar die falschen Lektionen aus dem 2006-Konflikt gelernt. Falsch natürlich von einem moralischen Gesichtspunkt aus ( obwohl dies ins Bild einer erwarteten Gegenreaktion passt).  Die Schlussfolgerung kann auch aus der Perspektive der Art der Antwort als fehlerhaft angesehen werden. Grundsätzlich jedoch zeigen diese Versprechen über unverhältnismäßige Zerstörung, dass die israelische militärische Führung an einer Politik des beschränkten Horizontes  leidet d.h. mit der Idee liiert ist,  Israel werde nur  durch Waffengewalt im Nahen Osten anerkannt.

 

(dt. Ellen Rohlfs)