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Apartheidstaat: Boykott Israel

 

Neve Gordon, Counterpunch, 23.8.09

 

Die israelischen Zeitungen sind dieses Jahr voll zorniger Artikel über eine Aktion  eines internationalen Israel-Boykotts. Vom israelischen Filmfestival wurden Filme zurückgezogen. Leonard Cohen kam  unter Beschuss wegen seiner Entscheidung, in  Tel Aviv  aufzutreten, und Oxfam hat seine Verbindungen zu einer  berühmten britischen Schauspielerin abgebrochen, die auch die in den Siedlungen hergestellte Kosmetikartikel  unterstützt. Klar, die Kampagne, die geholfen hat, das Apartheidregime in Südafrika zu beenden, gewinnt rund um die Welt immer mehr Nachfolger. Es ist nicht überraschend, viele Israelis – auch Peaceniks – unterschreiben dies nicht. Ein globaler Boykott bringt unvermeidlich Schuldzuweisungen  mit sich – besonders die des Antisemitismus. Es kommen auch Fragen auf wegen doppelter Moral (warum nicht China boykottieren wegen seiner ungeheuerlichen Menschenrechtsverletzungen?) und die scheinbar widersprüchliche Position, einen Boykott gegen die eigene Nation gut zu heißen.

Es ist tatsächlich keine einfache Sache für mich als israelischer Bürger, ausländische Regierungen, regionale Behörden, internationale soziale Bewegungen, kirchliche Organisationen,  Vereine und Bürger aufzurufen, die Zusammenarbeit mit Israel zu suspendieren. Aber heute, als ich meine beiden Jungen im Hof spielen sah, bin ich davon überzeugt worden, dass es der einzige Weg ist, der Israel vor sich selbst retten kann.

 

Ich sage dies, weil Israel einen historischen Scheideweg erreicht hat, und Krisenzeiten rufen nach dramatischen Maßnahmen. Ich sage das als Jude, der sich entschieden hat, seine Kinder in Israel groß zu ziehen, der  seit fast  30 Jahren ein Mitglied des israelischen Friedenslager gewesen ist und der tief beunruhigt ist über die Zukunft des Landes.

 

Die genaueste Beschreibung des Israel von heute ist die eines Apartheidstaates. Seit mehr als 42 Jahren kontrolliert Israel  das Land zwischen dem Jordantal und dem Mittelmeer. Innerhalb dieser Region leben über 6 Millionen Juden und nahezu 5 Millionen Palästinenser. Von diesen leben 3,5 Millionen Palästinenser und fast eine halbe Million Juden in dem Gebiet, das Israel seit 1967 besetzt hält. Und obwohl diese beiden Gruppen im selben Gebiet leben, unterliegen sie zwei verschiedenen Rechtssystemen . Die Palästinenser sind staatenlos und es fehlt ihnen an vielen grundsätzlichen Menschenrechten. Im starken Gegensatz dazu sind alle Juden – egal, wo sie leben – Bürger des Staates Israel.

 

Die Frage, die mich heute nacht als Vater und als Bürger nicht schlafen ließ, ist die, was kann ich tun, dass weder meine beiden Kinder noch die meiner palästinensischen Nachbarn in einem Apartheidstaat aufwachsen?

 

Da gibt es nur  zwei moralische Wege, um dieses Ziel zu erreichen.

 

Der erste wäre  die  ein-Staat-Lösung: den Palästinensern die volle Staatsbürgerschaft anbieten und  so eine bi-nationale Demokratie im ganzen von Israel kontrollierten Gebiet errichten. Was die Demographie betrifft, so würde dies zum Ende Israels als einem jüdischen Staat führen. Für die meisten israelischen Juden wäre dies unmöglich.

 

Der zweite bedeutet das Ende unserer Apartheid: die Zwei-Staaten-Lösung. Das würde Israels Rückzug zu den Grenzen von vor 1967 bedeuten ( mit möglichem 1:1 Landtausch), die Teilung von Jerusalem und eine Anerkennung  des Rückkehrrechts der palästinensischen Flüchtlinge mit der Auflage, dass es nur einer begrenzten Zahl der 4,5 Millionen palästinensischen Flüchtlinge erlaubt sei, nach Israel zurück zu kehren, während der Rest in den neuen palästinensischen Staat zurückkehren kann.

Geographisch erscheint die bi-nationale Staaten-Lösung leichter zu verwirklichen, weil Juden und Palästinenser schon total vermischt sind; vor Ort ist  die Einstaatenlösung – in Apartheid-Manifestation – schon Realität.

Ideologisch ist die Zwei-Staatenlösung realistischer, weil weniger als 1% der Juden  und nur  eine Minderheit der Palästinenser  den Bi-nationalismus unterstützen.

Für den Augenblick macht es trotz konkreter Schwierigkeiten eher Sinn, die geographischen Realitäten zu verändern als die ideologischen. Falls in der Zukunft die beiden Völker entscheiden, sich einen Staat zu teilen, dann können sie das tun, aber im Augenblick wollen sie dies nicht.

 

Wenn also die Zwei-Staaten-Lösung der Weg ist, um den Apartheidstaat zu stoppen, wie kann man dann dieses Ziel erreichen?

Ich bin davon überzeugt, dass nur Druck von außen die einzige Antwort ist. Während der letzten drei Jahrzehnte hat die Zahl der jüdischen Siedler in den besetzten Gebieten dramatisch zugenommen. Der Mythos eines vereinigten Jerusalem hat zur Schaffung einer Apartheid-Stadt geführt, wo Palästinenser keine Bürger sind und es ihnen an den grundlegenden Dienstleistungen fehlt. Das israelische Friedenslager ist immer kleiner geworden, sodass es jetzt fast nicht-existent ist, und die israelische Politik bewegt sich immer weiter zur extremen Rechten.

Deshalb ist es für mich klar, dass es nur einen Weg gibt, diesem Apartheids-Trend in Israel entgegen zu treten: es muss durch massiven Druck von außen geschehen. Die Worte und Verurteilungen von der Obama-Regierung und der EU haben zu keinem Ergebnis geführt, nicht einmal zum Einfrieren des Siedlungsbaus, geschweige denn zur Entscheidung, sich aus den besetzten Gebieten zurück zu ziehen.

 

Folglich habe ich mich entschlossen, die Boykott-Divestment-und-Sanktionen-Bewegung (BDS) zu unterstützen, die von palästinensischen Aktivisten im Juli 2005 ins Leben gerufen wurde und seitdem weit verbreitete Unterstützung rund um den Globus erhalten hat. Das Ziel ist, dafür zu sorgen, dass Israel seinen Verpflichtungen nach dem Völkerrecht nachkommt und dass Palästinensern das Recht der Selbstbestimmung gewährt wird.

In Bilbao, Spanien, formulierte 2008 eine Koalition von Organisationen aus aller Welt die 10-Punkte-Boykott-Divestment- und-Sanktionen-Kampagne, die dafür gedacht ist, Israel in einer „ allmählichen, kontinuierlichen Weise unter Druck zu setzen, der empfindlich im Kontext und in der  Kapazität ist“.  Zum Beispiel beginnt der Versuch mit Sanktionen  gegenüber Israel und Divestment aus israelischen Firmen, die in den besetzten Gebieten  arbeiten. Dann folgen Aktionen gegen jene Firmen die  die Besatzung  sichtlich unterstützen. Entsprechend dieser Linien sind Künstler, die nach Israel kommen, um die Aufmerksamkeit auf die Besatzung ziehen. willkommen, während  jene, die nur eine Veranstaltung geben, nicht willkommen sind.

Nichts anderes hat gewirkt. Aber massiven internationalen Druck auf Israel auszuüben ist der einzige Weg, der nächsten Generation von Israelis und Palästinensern zu garantieren – meine beiden Jungs eingeschlossen – dass sie nicht in einem Apartheidsystem aufwachsen müssen.

 

Neve Gordon ist Dekan der Fakultät für Politik und Regierung an der Ben Gurion-Universität im Negev und Autor von  „Israels Besatzung“ (Universität von CaliforniaPress, 2008)

 

( Neve Gordon ist in Israel, bes. von seiner Universität scharf wegen dieses Artikels angegriffen worden)

 

(dt. Ellen Rohlfs)