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Die Zukunft des (de-) stabilisierenden israelisch-ägyptischen Friedensvertrages
von Patrick Seale, 15.2.11
Israel ist
durch die ägyptische Revolution aus der Ruhe gebracht worden. Der Grund ist
einfach: es fürchtet, dass der Friedensvertrag von 1979 nicht lange überlebt,
ein Vertrag, der Ägypten neutralisierte und somit
Israels militärische Vorherrschaft in der Region während der folgenden
drei Jahrzehnte garantierte.
Durch die
Absonderung Ägyptens, dem stärksten und bevölkerungsreichsten arabischen Land,
von den anderen arabischen Staaten, schloss der Vertrag jede Möglichkeit einer
arabischen Koalition aus, die Israel hätte zurückhalten oder seine
Handlungsfreiheit einschränken können. Wie der israelische Außenminister Moshe
Dayan damals bemerkte: „Wenn ein Rad entfernt wird, dann kann der Wagen nicht
mehr fahren.“
Westliche
Kommentatoren beschreiben routinemäßig den Vertrag als „eine Säule der
regionalen Stabilität“, „einen Grundpfeiler nahöstlicher Diplomatie“, „ein
Kernstück amerikanischer Diplomatie“ in der arabischen und muslimischen Welt. So
haben ihn sicher Israel und seine amerikanischen Freunde auch gesehen.
Aber für
die meisten Araber war er eine Katastrophe. Weit davon entfernt Stabilität zu
geben, lieferte er sie dem mächtigen Israel aus. Weit davon entfernt Frieden zu
bringen, sorgte der Vertrag für die Abwesenheit von Frieden, da ein dominantes
Israel keine Notwendigkeit sah, mit Syrien oder den Palästinensern Kompromisse
zu schließen.
Vielmehr
eröffnete der Vertrag den Weg für israelische Invasionen, Besatzungen und
Massaker im Libanon und in den palästinensischen Gebieten, für Luftschläge gegen
irakische und syrische Nuklearanlagen, für unverhohlene Drohungen gegen Iran,
für 44 Jahre anhaltende Besatzung der Westbank, für die grausame Blockade des
Gazastreifens und für die Fortsetzung einer Groß-Israel-Agenda durch fanatische
jüdische Siedler und Nationalreligiöse.
Die
arabischen Diktatoren wiederum beriefen sich auf die Herausforderung, der sie
sich durch das aggressive und expansionistische Israel gegenübersahen, und
konnten somit die Aufrechterhaltung einer straffen Kontrolle ihrer Bevölkerung
mit brutalen Sicherheitsmaßnahmen rechtfertigen.
Auf die
eine oder andere Weise, hat der israelisch-ägyptische Vertrag jedenfalls ganz
wesentlich zur gefährlichen Instabilität, dem wunden Punkt des Nahen Ostens
beigetragen, ebenso wie zur Eskalierung des Unmuts unter den Bevölkerungen und
den unvermeidlichen Explosionen, die folgten.
Es genügt
daran zu erinnern: durch den Vertrag ermutigt, hat Israel Iraks Osiraks Reaktor
1981 zerstört, im folgenden Jahr den Libanon überfallen, um die PLO zu
vernichten, den syrischen Einfluss zu dämmen und den Libanon in Israels
Machtbereich zu bringen. Israels Invasion 1982 und der Belagerung von Beirut
fielen etwa 17 000 Libanesen und Palästinenser zum Opfer. Gegen jede Moral und
Ethik, gab Israel seinen maronitischen Verbündeten Deckung (und Scheinwerfer),
als diese in einem zweitägigen Massaker die hilflosen Palästinenser in den
Flüchtlingslagern Sabra und Shatila abschlachteten. Der Südlibanon blieb in den
folgenden 18 Jahren von den Israelis besetzt, bis diese im Jahr 2000 von der
Hisbollah vertrieben wurden. So weit zum Beitrag dieses Friedensvertrages für
Frieden und Stabilität in Nahen Osten!
Die
Ursprünge des Friedensvertrages reichen zurück bis zur Diplomatie von Henry
Kissinger, Präsident Nixons Berater für nationale Sicherheit während des
Oktoberkrieges. Dem Schutz Israels und dem Herauslösen Ägyptens aus dem
sowjetrussischen Einflussbereich
verpflichtet (auch nicht davor zurückschreckend, die israelische Seite zu
rüffeln, wenn ihre Sturheit das Ausbalancieren dieser beiden Ziele untergrub),
manövrierte Kissinger Ägyptens Anwar al-Sadat aus seinem Bündnis mit Syrien und
der Sowjetunion hin zu einer behaglichen Beziehung mit Israel und den USA.
Mit der
Vereinbarung über den Rückzug aus dem Sinai 1975, löste Kissinger Ägypten aus
dem Schlachtfeld – eine schicksalhafte Entscheidung, die direkt zu den
Camp-David-Abkommen 1978 führten und zum Friedensvertrag von 1979. Sadat mochte
auf einen umfassenden Frieden gehofft haben, der die Palästinenser und Syrer mit
einschließt. Aber er wurde von Israels Ministerpräsident Menachem Begin, einem
Zionisten aus der Schule Jabotinskys, ausgetrickst. Dieser war entschlossen, den
palästinensischen Nationalismus auszulöschen und die Rückgabe der Westbank an
die Araber zu verhindern. Begin war glücklich, den Sinai an Ägypten
zurückzugeben, um die Westbank zu behalten.
Präsident
Carter, durch die pro-Israel-Kräfte zu Hause geschwächt, sah unglücklich zu, wie
seine ursprünglichen multilateralen Friedensbemühungen bilateral endeten – in
einem separaten israelisch-ägyptischen Frieden. Am Ende schluckte Washington
Israels Argument, dass der Vertrag die Bedrohung eines regionalen Krieges
ausschließen würde und dies doch in Amerikas Interesse läge. Ägyptens Armee
erhielt jährlich $ 1,3 Milliarden aus den USA – nicht um es kriegsfähiger zu
machen, sondern im Gegenteil, um mit Israel Frieden zu halten.
Die
Weisheit Washingtons beschränkt sich immer noch auf die Verteidigung des
Friedensvertrages. Die Obama-Regierung soll Ägyptens Militärchefs gesagt haben,
dass sie den Vertrag einhalten müssen. Ägyptens oberster Militärrat erwiderte,
dass Ägypten die bestehenden Verträge einhalten wolle. Also wird es
offensichtlich keine Aufhebung des Vertrages geben. Niemand in Ägypten oder in
der arabischen Welt möchte oder ist bereit auf militärische Aktionen
zurückzugreifen. Der Vertrag wird also möglicherweise auf Eis gelegt werden.
Wir kennen
noch nicht die Zusammensetzung der nächsten ägyptischen Regierung. Auf jeden
Fall wird sie in der nahen Zukunft genug mit den dringenden internen Problemen
beschäftigt sein. Aber wenn die Regierung, wie weithin erwartet wird, eine
starke zivile Komponente aus den verschiedenen Teilen der Protestbewegung
bekommt, dann werden wir wohl Veränderungen in Ägyptens Außenpolitik erwarten
müssen.
Es ist
höchst unwahrscheinlich, dass Ägypten die, in den Augen der Ägypter, äußerst
beschämende Politik Mubaraks fortführen wird, z.B. seine Kooperation mit Israel
in der Blockade des Gazastreifens. Das neue Ägypten wird wahrscheinlich auch
nicht Mubaraks Feindseligkeit gegenüber der islamischen Republik Iran und den
beiden Widerstandsbewegungen Hamas und Hisbollah fortsetzen. Ob der Vertrag
überlebt oder nicht, auf jeden Fall wird das Bündnis Ägyptens mit Israel nicht
mehr so eng sein wie bisher.
Die
ägyptische Revolution ist nur das letzte Anzeichen dafür, wie sich das
strategische Umfeld Israels verändert. Israel „verlor“ den Iran, als der Schah
1979 gestürzt wurde. Diesem folgte die Teheran-Damaskus-Hisbollah-Achse, um
Israels regionale Vorherrschaft herauszufordern. Während der letzten paar Jahre
„verlor“ Israel auch die Türkei, ein früherer Verbündeter von erheblichem
Gewicht. Nun ist es dabei, Ägypten zu „verlieren“. Es lauert die Gefahr seiner
regionalen Isolierung.
Mit seinem
ununterbrochenen Landraub auf der Westbank und seiner Weigerung, auf der Basis
„Land für Frieden, in ernsthafte Verhandlungen mit den Palästinensern und den
Syrern zu treten, hat Israel viele seiner früheren Unterstützer in Europa und
den USA verloren. Es ist sich sehr wohl bewusst, dass die Gefahr seiner
Delegitimierung droht.
Wie wird
Israel auf die ägyptische Revolution reagieren? Wird es Truppen an die
ägyptische Grenze schicken, seine Verteidigung verstärken, verzweifelt nach
Verbündeten in der ägyptischen Militärjunta suchen, die jetzt vorübergehend die
Verantwortung trägt, und um noch mehr amerikanische Unterstützung bitten? Oder
wird es endlich den entschlossenen Versuch unternehmen, seine territorialen
Konflikte mit Syrien und Libanon zu lösen und die Entstehung eines unabhängigen
palästinensischen Staates mit seiner Hauptstadt Ost-Jerusalem erlauben?
Israel muss
dringend seine Sicherheitsdoktrin neu überdenken. Dies ist die eindeutige Lehre,
die aus den dramatischen Ereignissen in Ägypten gezogen werden muss. Die Region
mit Waffengewalt zu beherrschen –
Israels Doktrin seit der Schaffung des Staates – ist kaum noch eine lebensfähige
Option. Sie verstärkt nur den Widerstand, der irgendwann in Gewalt umschlagen
muss. Israel braucht eine Revolution in seinem Sicherheitsdenken – doch davon
gibt es bis jetzt keine Anzeichen.
Nur
Frieden, nicht Waffen können auf Dauer Israels Sicherheit garantieren.
Patrick Seale ist britischer Schriftsteller, der sich auf den Nahen Osten spezialisiert hat. Sein letztes Buch ist „Der Kampf für Arabische Unabhängigkeit: Riad el-Solh und die Macher des modernen Nahen Ostens.“
(dt. Ellen
Rohlfs/ Doris Pumphry)