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Kommentar vom Hochblauen
Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wann?
Von Evelyn Hecht-Galinski

März 2012

 Als Bibi mit Sarah an der Hand und dem "Buch Esther" als Gastgeschenk dabei, dem El-Al Flieger mit dem Davidstern-Emblem entstiegen - das Symbol das auch die vielen israelischen Panzer schmückt - konnte man erahnen, was Sinn und Zweck dieser Reise war. Siedlungen, Besatzung, Unterdrückung der Palästinenser, Menschenrechte, Gaza? Alles kein Thema!

Dafür arbeitete Netanjahu wieder einmal mit der geschmacklosesten Instrumentalisierung des Holocaust, indem er das nicht erfolgte Bombardement der Alliierten auf Auschwitz von 1944 mit 2012 verglich: "Heute haben wir unseren eigenen jüdischen Staat und die Aufgabe des jüdischen Staates ist es, jüdisches Leben zu verteidigen und die jüdische Zukunft zu sichern." (1) Der Holocaust ist immer dabei, wenn er über den Iran spricht. Netanjahu hatte ein Heimspiel vor den 13.000 Teilnehmern der Jahreskonferenz der jüdischen Lobbyorganisation, "American Israel Public Affairs Committee" (AIPAC). Dort treffen sich die wichtigsten und einflussreichsten Politiker beider Kammern des Kongresses. Es werden immer mehr und besonders in diesem Wahljahr, kann es sich kaum ein Politiker leisten, dort nicht zu erscheinen. Netanjahu zeigte sich in Höchstform und ließ Obama, selbst ein guter Rhetoriker, blass aussehen. Netanjahu zeigte Obama "die Kante", indem er ihm nur in einem Punkt beipflichtete: "Wir sind Sie und Sie sind wir. Wir sind zusammen." Und weiter bekräftigte er, dass Israel das Recht und die Pflicht haben müsse, sich zu verteidigen. "Denn das ist schließlich der Sinn und Zweck des Juden-Staates: dass das jüdische Volk die Kontrolle über sein eigenes Schicksal wiedererlangt."

Ich frage ich mich dagegen, warum es dann der Sinn und Zweck des jüdischen Staates ist und war, die palästinensische Urbevölkerung zu vertreiben und Landraub zu begehen?

Netanjahus Propagandarede gipfelte dann unter "standing Ovations" in dem Satz: "Ihren Beifall und Ihre Rufe hört man bis nach Jerusalem, die ewige und ungeteilte Hauptstadt Israels."

Also ganz klar: Friedensgespräche, Verhandlungen, dass war einmal. Endlich ist die Katze aus dem Sack, Israel und die USA haben den sogenannten jüdischen Staat anerkannt. Was das für die nichtjüdischen Israelis bedeutet, sehen wir täglich. Netanjahu ist "ermächtigt" worden, den Iran anzugreifen; die Frage ist nicht mehr ob, sondern wann? Sicherlich wäre es Obama lieber, wenn das nach seiner erhofften Wiederwahl geschehen würde. Netanjahu kann sich allerdings ziemlich sicher sein, dass im Falle eines Alleinganges, der Zorn der USA schnell wieder verfliegen würde. Notfalls würden die USA auch zu Hilfe eilen. Dann gäbe es laut US-Verteidigungsminister Leon Panetta: "Eine höllisch größere Wirkung."

Sollte allerdings ein Republikaner die Wahl gewinnen, dürfte die Rhetorik noch eindeutiger werden. Versicherte nicht Präsidentschaftskandidat Mitt Romney, per Satellit aus Ohio vom Wahlkampf an die AIPAC-Konferenz zugeschaltet, seine volle Unterstützung für Israel? Forderte er doch die Entsendung zweier Flugzeugträgergruppen ins östliche Mittelmeer und in den Persischen Golf, gegen "Schurken und Tyrannen", die nur eine Sprache verstehen, die der Entschlossenheit und Einsatz von Gewalt. Hatte nicht unlängst Newt Gingrich, der andere Kandidat, die Palästinenser als "erfundenes" Volk bezeichnet. Klar - mit einem erfundenen Volk muss man auch keine Verhandlungen, oder Gespräche führen.

Kommen wir noch mal zum Gastgeschenk von Netanjahu an Obama. Das Buch Esther schildert eine grausame Geschichte, die darin gipfelt, dass der persische König Ahasveros (griechisch Xerxes I., um 519-465v. Chr.) den Juden nach einem vereitelten Pogrom an ihnen, erlaubt, dass diese ihre Feinde umbringen dürfen. Das wurde auch sehr gern ausgeführt, es wurden 75.000 Menschen samt Kindern und Frauen ermordet. Mir kommen fatale Erinnerungen, wenn im heutigen jüdischen Staat Rabbiner dazu aufrufen, Palästinenser zu ermorden, auch ihre Frauen, Kinder, Babys und ihr Vieh. Dieses "vergiftete" Geschenk von Netanjahu an Obama hatte nur ein Ziel: Er wollte auf das "bedrängte, hilflose" Israel hinweisen, das sich "nur" selbst verteidigen will. Dieser geplante Angriffskrieg verstößt allerdings eindeutig gegen das Völkerrecht. Fazit: Netanjahu hatte, so schien es, das Oval Office "besetzt."

Hatte er auch noch "neue" Geheimdienstdokumente im Gepäck, die auf das weiter fortgeschrittene Nuklearprogramm hinweisen sollten. Erinnert das nicht in fataler Weise an die vor dem Irak-Krieg nachweisbar falschen Unterlagen, die auf die chemischen und biologischen Waffen Saddam Husseins hinweisen sollten.

Auch aus diesem Grund braucht das hoch aufgerüstete und hoch mit Atomwaffen bestückte arme kleine Israel, noch als "Zückerchen," bunkerbrechende Bomben vom Typ GBU-28 und moderne Tankflugzeuge. Verfügt Israel momentan doch "nur" über 125 Kampfflugzeuge vom Typ F-15I und F-16I und "nur" über 8 Auftankflugzeuge, und "nur" über sechs U-Boote, die mit Atomsprengköpfen bestückt werden können. Nicht zu vergessen, das von den USA gelieferte und bediente Abfangraketen-System, im Negev.

Diese "Eiserne Kuppel" (Iron Dome) wird jetzt auf ihre Abwehrtauglichkeit geprüft. Dafür muss das "Laboratorium" Gaza wieder einmal herhalten. Israel hat sein bekanntes Vorgehen des gezielten Mordens erneut in die Tat umgesetzt. Zuhir al Qaisi, Generalsekretär des Volkswiderstandskomitees und ein Aktivist, der erst beim Gilad Schalit-Deal aus israelischer Haft freikam, waren am Freitag dem 9. März sofort tot, als zwei lasergesteuerte israelische Raketen das Auto trafen, in dem sich beide befanden. Beide sollten für angeblich begangene Taten bestraft werden. Laut Oberstem Gericht in Jerusalem sind gezielte Tötungen nur erlaubt, um eine akute Gefahr zu bannen, nicht aber um geschehene Taten zu vergelten.

Eigentlich verstößt schon dieses Urteil gegen jedes Recht, über das sich der jüdische Staat auch noch hinweggesetzt hat. (Die Amerikaner haben das gezielte Töten auch in ihre Politik übernommen und für rechtens erklärt.) Es starben viele Zivilisten und ein vierzehnjähriger Junge aus dem Flüchtlingslager Dschabalja. Herzzerreißend, wenn man am Rande des Trauerzuges für den unschuldigen Jungen ein kleines weinendes Mädchen sitzen sieht. Mir kamen dabei die Bilder nach dem Gaza Angriff 2008/09 mit den vielen verstümmelten Kinderleichen wieder ins Gedächtnis, Bis heute (12. März) sind schon 20 Menschen durch 23 israelische Angriffe gegen den Gazastreifen ermordet worden. Unbegreiflich, wie die Welt diese Massaker wieder einmal hinnimmt und "beide Seiten" zur Deeskalation auffordert. Hier wird erneut mit zweierlei Maß gemessen, denn die Gefahr aus dem Gazastreifen besteht aus ein paar Raketen als Antwort auf diese aktuellen israelischen Massaker.

Nach dieser hilflosen "Antwort" inszenierte die israelische Regierung öffentlichkeitswirksam die Evakuierung von nahezu einer Million Israelis aus Askelon, Ashdod, Beer Sheva und diversen Negev-Ortschaften in Bunker und Schutzräume und ließ Schulen im Süden Israels schließen. Und Netanjahu hatte auch noch die Chuzpe, dieses Massaker mit der "iranischen Bedrohung", die die Raketenschüsse aus Gaza ermöglicht habe, zu begründen. Und außerdem verlangte er eine UN-Sondersitzung wegen der "Raketenangriffe" aus Gaza. Ein wahrer Hohn, dass das Land, das die UNO seit Jahren verteufelt und deren Beschlüsse nicht anerkennt, die es selbst betreffen, diese nun selbst anruft.

Wie irrsinnig muss die Wut von Netanjahu sein, die sich jetzt im schutzlosen Gaza ein Ventil sucht, weil ihm der geplante Angriff gegen Iran wegen der anstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA noch nicht "erlaubt" wird. Dort will ja der Friedensnobelpreisträger Obama über das "Wann" und nicht das "Ob" selbst bestimmen. Doch dieser hat ja zurzeit die Planspiele für einen Angriff gegen Syrien auf dem Tisch.


Israels Regierung nimmt als Reaktion auf einen Militärschlag gegen Iran auch Raketenangriffe in Kauf und hält israelische Opfer und Schäden durch konventionelle Vergeltungsschläge Teherans, im Vergleich zu den nicht vorhandenen iranischen Atomwaffen für das "kleinere Übel".


Ganz anders sieht das der "Star-Korrespondent" der ARD, Richard Chaim Schneider, der seinen live-Bericht aus Tel Aviv vor der Hochhauskulisse spricht und davor warnt, dass nach einem israelischen Militärschlag aufgrund der Reaktionen von Teheran Hochhäuser einstürzen würden. Er versteht es meisterhaft, Nachrichten zu manipulieren, anstatt zu informieren. So wie schon während des Gaza Angriffs 2008/2009, wo er - ausgestattet mit Schutzweste - ein Szenario der Angst vor Raketen aus Gaza schürte, um in Wirklichkeit das Gemetzel und Massaker, das die IDF im überfallenen Gazastreifen anrichtete, zu verharmlosen.
Auch im DLF sagte damals ein Moderator der Spätsendung: "Das war der Tag" von "Schiitischer Bombe", "Mullah Bombe", und das "Mullah-Regime" wurde inzwischen zur "Mullah-Diktatur" gesteigert. Diese Ausdrucksweise soll eine Gehirnwäsche in der Zuhörer/Zuschauer/innen Gemeinde bewirken. Das klingt fast schon wie das "The Israel Projekt" der israelischen Propaganda und ist eindeutig eine Beteiligung des öffentlich rechtlichen Fernsehens und Rundfunks an dieser verbalen Aufrüstung. Damit wird in gefährlicher Weise den Kriegsdrohungen des Menschen- und Völkerrecht verletzenden jüdischen Staates wieder einmal ein Freibrief gegeben - im Namen des Holocaust. Gehört das nun auch schon zur deutschen Staatsräson für Israels Sicherheit?


Dazu passen sehr gut die "Wünsche" von Dieter Graumann, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, der von der deutschen Fußball-Nationalmannschaft während der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine gern einen Besuch in Auschwitz hätte. Sein "Wunsch", dass man nun öffentlich zum Gedenken aufrufen solle, kommt in DFB-Kreisen dem Vernehmen nach allerdings nicht besonders gut an. Gerade die Nationalmannschaft, die sich immer gegen Rassismus, gegen Gewalt und für Toleranz eingesetzt habe, wolle sich das Gedenken nicht vorschreiben lassen.

Ich kann das sehr gut verstehen. Graumann, der dem neuen DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach wünschte, "neue Sensibilität zu zeigen, dass wäre eine wunderbare Gelegenheit." Gerade Graumann, einer der "sensibelsten" Zentralratsvorsitzenden aller Zeiten, besonders wenn es um Israels Politik geht, sollte den Bogen nicht überspannen. Herr Präsident Graumann, wäre es nicht überfällig, wenn die deutsche Nationalmannschaft als Vorbild für die Jugend, auch einmal die Nakba-Ausstellung besuchen würde, oder während einer Israel-Reise auch einmal das besetzte Gaza? War doch Alt-Präsident Theo Zwanziger nicht schon voll integriert in die Israel-Lobby-Arbeit? War er nicht auf dem Israel-Kongress (mit kleinen Davidsternen als Trostpreise) ein glühender Redner? Haben wir nicht den 27. Januar als Auschwitz/Holocaustgedenktag?

Schlimmer noch: Im Rahmen der jetzt stattfindenden 60. Woche der Brüderlichkeit haben wir einen erschreckenden Zusammenhang von Veranstaltungen mit der israelischen Politik: Dort werden Konzerte zu Gunsten des KKL, des Jüdischen Nationalfonds gegeben, einer Organisation, die sich durch Landkäufe und Enteignungen im Jüdischen Staat einen unrühmlichen Namen gemacht hat. Hier verkauft sich dieser e.V. als israelische Umweltorganisation, die nur "Bäumchen" pflanzt und behauptet, dass jeder, der für sie auch "Bäumchen" pflanzt, nur Gutes tut. Auch das ist wieder eine erschreckende Desinformation der deutschen Öffentlichkeit.(2)


Diesmal lässt sich Nikolaus Schneider, Präses der evangelischen Kirche in Deutschland, mit der Buber-Rosenzweig-Medaille auszeichnen, im Rahmen der Woche der Brüderlichkeit für seine deutsch-jüdischen Verdienste. Nach meiner Kenntnis bestehen diese aber vor allen Dingen in seiner unkritischen Sicht auf die Politik des jüdischen Staates und im "Abkanzeln" von Kritikern, auch aus den eigenen Reihen. Alles sehr brüderlich!!!


Dazu passt auch der entsetzliche Fehlgriff der Partei Die Linke, die es sich nicht nehmen ließ, die besondere Israel-Freundin und "Stop the Bomb"Vertreterin Beate Klarsfeld, die einzige aufrechte Deutsche, deren Sohn zum Judentum konvertierte, um in der israelischen Armee zu dienen, nun zur Kandidatin für das Bundespräsidentenamt auszurufen. Die engagierte Selbstdarstellerin und christliche zionistische Philosemitin darf der Partei der Linken nun als Aushängeschild für deren Verfassungstreue und Koalitionsfähigkeit dienen. Passt gut zu Gysis Sprüchen und Bak Schalom. Nur weiter so, mal sehen, wie die normalen Wähler das sehen und honorieren werden, hoffentlich richtig!

Einen Grund zur Freude gibt es aber auch: den Artikel von Jeff Halper, den ich sehr schätze und der nun seinen dankenswerter Weise von Ulrike Vestring übersetzten Artikel über das notwendige Ende der eigentlich nie wirklich bestehenden "Zweistaatenlösung" in dieser NRhZ-Ausgabe veröffentlicht. Dazu macht er im Bezug auf das "Vichy-Ramallah System" der Palästinensischen Autonomiebehörde gute Vorschläge, die ich voll und ganz unterstütze!


Jeff Halper, der ja auch die "Stuttgarter Erklärung" unterschrieben hat, bestätigt damit die wegweisende Konferenz in Stuttgart vom November 2010, für die wir von sogenannten Nahost Experten verurteilt wurden, die heute allerdings völlig isoliert da stehen und sich jetzt vielleicht überlegen, wie sie ihre Fehlurteile revidieren können.

Noch einmal möchte ich auf den bevorstehenden "Global Marsch" nach Jerusalem erinnern und an den "Tag des Bodens" am 30. März. Das erscheint mir aufgrund der gefährlichen und sich über alles hinwegsetzenden Politik dieses kleinen aber so mächtigen Staates wichtiger denn je.(3)
Nein zu Ermächtigungs- und Rasse-Gesetzen, egal wo und von wem benutzt und erlassen. Nicht in unserem Namen! (PK)


(1) Siehe FAZ vom Mittwoch ,7. März 2012:"Es gilt die Agenda des Gastes“ von Matthias Rüb: "Mehrfach rief Netanjahu den Holocaust in Erinnerung. Niemand von uns kann es sich leisten, länger zu warten. 1944 habe die amerikanische Regierung Bitten jüdischer Interessenvertreter zurückgewiesen, die Eisenbahnverbindungen nach Auschwitz und die Tötungsmaschinerie des Vernichtungslagers zu bombardieren… Aber 2012 ist nicht 1944. Heute haben wir unseren eigenen Staat. Netanjahu", Zitat Ende.

(2) Link JNF

(3) Link Global March

Evelyn Hecht-Galinski, geboren 1949 in Berlin, ist Publizistin und Tochter des 1992 verstorbenen ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski. Unsere LeserInnen kennen sie schon länger als Autorin der Serie, die sie "vom Hochblauen", ihrem 1186 m hohen "Hausberg" im Badischen, schreibt.

Ihr Buch "Das elfte Gebot: Israel darf alles" - Klartexte über Antisemitismus und Israel-Kritik - wird am Samstag, 17. 3. 2012, 15:00 Uhr in einer Veranstaltung des Palmyra Verlags auf der Buchmesse in Leipzig, Gemeinschafts-Leseinsel DIE BÜHNE, Halle 5 Stand C 404 vorgestellt.


http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=17572