Israel Palästina Nahost Konflikt Infos

Israel straft die Palästinenser nun schamlos

 

Amira Hass, Haaretz, 6.10.10

 

 

Hinter einem bescheidenen Pult mit einem Blick auf Beit Jala sitzt ein namenloser Shin Bet-Sicherheitsoffizier, der mit sich selbst sehr zufrieden ist. Er hat gerade  das jüdische Volk in Israel vor einem weiteren ernsten Sicherheitsrisiko bewahrt, indem er eine 47jährige Frau für die nächsten fünf Wochen daran gehindert hat, zu einem dringenden medizinischen Test  ins Ausland zu gehen.

Vielleicht ist dies aber gar keine Geschichte von nur einem Offizier, sondern eher von einem Komitee von drei. Es geht darum, dass Khalida Jarar, eine Bewohnerin von Al-Bireh  nicht nach Amman zu einem  diagnostischen Gehirntest  hat gehen können, der  in der Westbank nicht gemacht werden kann, weil hier die nötigen Apparate fehlen.

 

Ich schrieb schon vor einem Monat über den Fall Jarrar. Am 19. Juli informierte sie eine Arzt aus Ramallah, dass sie die nötigen Tests entweder in Israel oder in Amman machen lassen könne. Die Palästinensische Behörde teilte ihr aber mit, dass sie die Tests in Israel nicht zahlen würden.

Jarrar, ein Mitglied des Palästinensischen Legislativrats für die PFLP, war 2008 keine Genehmigung gegeben worden, als sie angeblich an  inner-palästinensischen Versöhnungsgesprächen in Kairo teil nehmen wollte. Aber bis sie diese Nachricht von ihrem Doktor erhielt, hatte sie nie um ihr Recht der Bewegungsfreiheit gekämpft.

Dieses Mal versprachen  Offizielle der palästinensischen Behörde,  ihr mit Hilfe von Bekannten in Israel  einen Passierschein für den medizinischen Test zu beschaffen. Sie versprachen und dann verschwanden sie.

 

Nach über drei Wochen wandten sich befreundete Juristen direkt an die Zivilverwaltung und versuchten, heraus zu bekommen, wie man einen Passierschein bekommen kann. Zwei Wochen später kam die Antwort: Jarrar hat keine Bemerkung neben ihrem Namen, der ihren Grenzübertritt  hindert.

Der Zivilverwaltungsoffizier hatte sich auf den Computer  des Shin Bet verlassen. Am 30. August fährt sie zur Allenby-Brücke. Aber dort hat der israelische Grenzkontroll-PC andere Daten. Sie durfte nicht ausreisen. Was einige Stunden vorher wahr war, war nicht mehr wahr, als sie an die Grenze kam.

Zu dieser Zeit sagte der Shin Bet zu Haaretz, dass Jarrar sich wegen eines Ausreisedokumentes an den Gesundheits-koordinator der zivilen Verwaltung wenden müsse. Also haben die Anwälte alle Dokumente an den Koordinator geschickt.

Zunächst gab es einige Verzögerung: die Zivile Verwaltung sagte, die Dokumente und der Antrag seien nicht angekommen. Dann begann die Arbeit mit dem Antragsformular. Aber unser anonymer Mann vom Shin Bet hat keine große Eile.

 

Dies ist nur eine Fußnote in der Chronik des palästinensischen Lebens unter ausländischer Herrschaft. Aber diese Fußnote ist ein typisches Beispiel  in der Geschichte  der israelischen Gesellschaft. : eine demokratische Gesellschaft, die jenen wunderbaren Burschen vom Shin Bet ein Blanco-Check gibt, um so zu handeln wie die großen Diktatoren, die mit dem Leben ihrer Untertanen spielen – ohne Wahlen, ohne Übersicht, ohne Überwachung. Ihr Wort ist sakrosankt. Und wenn sie sagen, wie sie es bei ihrer Antwort gegenüber Haaretz taten „relevante Information besteht und gibt an, dass Jarrars Ausreise aus dem Gebiet ein Risiko für unsere Sicherheit ist,“  dann verneigen wir uns vor ihnen.

 

Wenn sie hier gefährlich wäre, dann wäre sie schon längst verhaftet worden. Ihre Adresse ist bekannt. Der Shin Bet, der über „relevante Informationen“ großes Geschrei macht, will anscheinend zeigen, dass die Gefahr, die von ihr ausgeht, sich nur im Ausland realisiert. Beweise? Erklärungen? Gesunder Menschenverstand? Nicht nötig. Sie werden schließlich vom israelischen Steuerzahler bezahlt, um neue Arten von Strafen und Folter zu erfinden.

Denn was ist eine endlose Verschiebung eines dringend medizinischen Testes anderes als Folter für eine kranke Person und ihre Familie? Und was ist Verzögerung einer Behandlung, wenn nicht Strafe für einen, der gegen die fremden Herrscher ist.

 

Bis vor sechs oder acht Jahren hätte der Bericht eines Journalisten über eine ähnliche Situation jemanden auf der Sicherheitsleiter peinlich berührt, und ein Ausreisevisum wäre aus medizinischen Gründen  erteilt worden trotz der „Sicherheitsbedenken“. Aber heute ist das Schamgefühl verschwunden. Man weiß, die Gesellschaft steht hinter einem.

 

(dt. Ellen Rohlfs)