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Von Jenins Freedom-Theater ins Gefängnis

Warum ist der Verantwortliche  verhaftet worden, obwohl er nichts mit dem Mord an Juliano Mer-Khamis, dem Theatergründer zu tun hat?

 

Amira Hass (August 2011)

 

Die Produktion von Samuel Beckets „Warten auf Godot“ durch das Freedom Theater in Jenin hat neue Besetzungsleiter: den Shin Bet-Sicherheitsdienst und die israelische Armee. Sie entscheiden im Augenblick, ob Pozzo, Herr des Sklaven Lucky, vom 20Jährigen Rami Hwayel aus dem Flüchtlingslager Jenin gespielt werden wird.

Die Rolle des Pozzo wurde für ihn gemacht. Höre nur Rami zu, und du wirst  mit Pozzo darin übereinstimmen, dass „Die Tränen der Welt  eine konstante Menge bleiben. Für jeden, der zu weinen beginnt, wird ein anderer zu weinen aufhören. Dasselbe stimmt fürs Lachen.“

Die Besetzungsagenten sind der Militärrichter Maj. Gil Elharar, Maj. Shachar Greenberg und Lt. Col. Asher Schor, Militäranwalt 1.Lt. Yitzhak Unger, Shin Bet und polizeiliche Untersucher Y. und Z. und der ehrenwerte Militärrichter X.

 

Hwayel wurde am 6.August verhaftet unter dem Verdacht. am Mord  seines geliebten Lehrers am Theater, Juliano Mer-Khanis beteiligt gewesen zu sein.  Doch nach nur wenigen Stunden Befragung entwich alle Luft aus dem Verdachtsballon. Elharar gab während Beratungen am 10. August zu , dass es keinen Grund gibt.

 

Handschellen, Formulare und Unterschriften

Eine Geheimdienstoperation wurde durchgeführt, um Hwayel am 6.August ausfindig zu machen. Soldaten wurden an einem dunstigen Samstag ausgeschickt, um auf ihn an einem Überraschungs-Checkpoint westlich von Nablus mit einem Armeefahrzeug, einem Flanelltuch – um seine Augen zu verbinden  - auf ihn zu warten. Sie hatten auch Handschellen, Formulare und Unterschriften dabei. Eine Befragung wurde durchgeführt. Es wurde ein Verbot für fünf Tage ausgesprochen, dass er keinen Anwalt treffen dürfe. Und ein Maulkorberlass und drei Haftverlängerungen.

All dies für nichts? Das Montageband des militärischen Gerichtssystems musste einen anderen überführten Palästinenser in die Statistiken ausspucken. Anstelle des Mer-Kamis-Mörders klammerten sich die Untersuchungsbeamten und der Ankläger an Hwayels Statement während der Befragung, dass er sich zweimal ohne Erlaubnis in Israel aufgehalten habe irgendwann während der letzten zwei Jahre.

Am 10. August forderte die Polizei eine Untersuchungshaft von neun Tagen, um dieses schreckliche Verbrechen zu untersuchen. Der Richter Elharar gewährte fünf. Am 14. August wurde klar, dass diese komplizierte und schwierige Untersuchung noch immer nicht fertig war. Die Polizei forderte eine Haftverlängerung von fünf Tagen. Der Militärrichter Greenberg gewährte drei und sagte:„Nach einer Entscheidung des Militärgerichtshofes in Judäa und Samaria seien die Gründe für Untersuchungshaft das Risiko einer Flucht vor dem Urteil.

Am 16. August war es der Militäranwalt selbst 1.Lt.Unger, der eine weitere Verlängerung der Untersuchungshaft forderte, weil die Akte dieses Falles erst an diesem Tag die Staatsanwaltschaft erreicht hat. Hwayels Anwalt Smadar Ben-Nathan argumentierte: „Das Delikt rechtfertigt nicht solch eine verlängerte Haft. Der Verdächtigte sollte nicht für das Versäumnis der Untersuchungsbeamten mit seiner Freiheit zahlen müssen.“

….

Hwayels Haft wurde bis zum 18. August verlängert und Ben Natan wurde informiert, dass eine öffentliche Anklage gestern zugestellt wurde. Lt. Col Schor wollte dem Theaterdirektor Ufi Aloni nicht erlauben, im Namen des „gefährlichen“ Angeklagten zu sprechen oder ihm die Unterlagen für das Theaterstück geben, damit er sich wenigstens im Gefängnis für die Theaterprobe vorbereiten kann. Soldaten im Gericht erlaubten Hwayel nicht, seine Mutter zu küssen.

„Es wird eine Farce voller Hohn sein, wenn die Untersuchung versucht, den Mörder zu finden, der dieses abscheuliche Verbrechen begangen hat“ schrieb Omri Nitzan, Direktor des Cameri Theater in Tel Aviv in einem Brief.

 

Vorstellungen werden abgesagt

„Warten auf Godot“ wurde als letztes Projekt für die sieben Studenten im 6. Semester der Schauspielschule ausgesucht, die Mer Khamis gegründet hatte. Hwayel gehörte zu ihnen. Aloni nahm es auf sich, das Spiel vorzubereiten, sagte er „als eine Botschaft, dass der Mord das Theater und die Karrieren der Studenten nicht zerstören wird.

 

Auf Grund von Hwayels langer Haft mussten die ersten Vorstellungen in Jenin und Haifa  gestrichen werden. Ohne Verbindung zur gestrigen Anklage hat der oben erwähnte Besetzungsleiter schon riskiert, dass Hwayel Chancen hat, mit seinen Kollegen an einem Workshop in New Yorks Public Theater im September teilzunehmen. In dieser Woche waren die Schauspielschüler eifrig darum bemüht Visas zu bekommen. (Die Jungen müssen  dazu nach Amman reisen, da sie nicht nach Ost-Jerusalem reisen dürfen, wo das amerikanische Konsulat ist.). Im Oktober wird eine Vorstellung an der Columbia Universität sein.

 

Nach der Verhaftung von Hwayel wurden die Proben gestoppt. Seine Freunde standen unter Schock. Nun haben trotz der Schwierigkeit und ohne den führenden Mann und die Sorge um ihn, die Proben wieder begonnen. Die Lektion ist gelernt worden: Ab jetzt wird im Freedom Theater jede Rollen von zwei Schauspielern übernommen.

 

„Warten auf Godot“ ist ein minimalistisches Stück, sagt Aloni, und erfordert Arbeit  an den Nuancen. „Während dieser Arbeit entdeckten wir Ramis Fähigkeit, in den Grauzonen zu arbeiten,“ sagt Aloni. „Zunächst dachte er während der Proben, er als Meister müsse Schläge verteilen. Dann verstand er nach und nach, dass seine Autorität als Lehrmeister mit einem Flüstern erreicht werden kann. Plötzlich sah er ein, dass dominierendes Verhalten keine Gewalt erforderlich macht. 

Gestern sprach ihn der Militärrichter Yaakov Koren für schuldig: ein einmaliger illegaler Aufenthalt in Israel im letzten Jahr. Hwayel wurde für einen Monat und einen Tag Gefängnis verurteilt. Die 14 Tage Untersuchungshaft wurden ihm angerechnet.

 

(dt. etwas gekürzt und zuweilen etwas freier übersetzt: Ellen Rohlfs)