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Aufschrei über Gewalt in Israel ignoriert die Besatzung

 

Amira Hass, Haaretz, 2.9.09

Das Erstaunlichste über die Mordwelle der letzten Wochen ist die kollektive israelische Verblüffung, als man die Gewalt mitten unter uns entdeckte. Noch einmal bewiesen wir unser (besonderes) Talent, uns aus dem Diskurs täglicher Gewalt auszuschließen,  die mit unserer andauernden Herrschaft über die Palästinenser und ihres Landes zusammenhängt.

Selbst wenn es keine palästinensischen Opfer und Todesfälle  durch die IDF gibt, gibt es keine Pause bei den täglichen Schikanen durch das Besetzungsregime. Viele Israelis beteiligen sich daran und jede Reisebeschränkung und Enteignungsorder,  von den verantwortlichen Ministern, bis zu den Juristen, die legitimieren und kodifizieren, zu den Offizieren, die (den Befehl) ausführen und den Sekretären und Übersetzern. Jeder Soldat, der eine jüdische Siedlung bewacht, jeder Rabbiner, der ihr dient und jede Kindergärtnerin ist ein Partner des ursprünglichen Aktes der bestehenden Gewalt, die (Siedlungen) auf palästinensischem Land  bauen ( egal ob auf  privaten  oder öffentlichen – da gibt es keinen Unterschied). Dies ist Gewalt, die sich wiederholt und jeden Augenblick vermehrt, weil der ursprüngliche Diebstahl  (des Landes) weiter Schaden anrichtet. Das militärische Justizsystems, das nur Palästinenser der Westbank verurteilt, spielt eine wichtige Rolle bei der Vervielfältigung der Gewalt.

Nicht dominante soziale Gruppen versuchen Wege, damit  Israels ziviles Rechtssystem nicht nur die Interessen der Machtzentren vertritt und begünstigt. Doch im Rechtssystem des Militärs üben die Herrschenden ihre Macht ungehindert aus, um ihre Kontrolle und exzessiven Rechte abzusichern.  Der Besatzer produziert Gesetze, deren einziges Ziel es ist, die Unterdrückten und die Widerstand wagen, zu strafen und abzuschrecken.

 

In einer normalen Gesellschaft wird Gewalt gegen Kinder als besonders abscheulich angesehen. Doch hier haben   israelische Soldaten – wer weiß wie viele -  seit Jahrzehnten palästinensische Kinder oft mitten in der Nacht auf Grund von Aussagen anderer Kinder verhaftet. Ihnen wurde, nachdem sie ein „Schwerverbrechen“ begingen, Monate oder Jahre an Gefängnisstrafe gegeben. Die Kinder wurden mitten in der Nacht verhört und verhaftet und bis zum Ende des Verfahrens festgehalten, auch wenn sie erst 13 oder 14 Jahre alt waren. Die Militärrichter finden nichts Unrechtes daran. Gewöhnlich ist es am besten, wenn die Kinder schnell bekennen, z.B. dass sie zwischen 2001 und 2004 (ohne Nennung eines speziellen Datums und Ortes ) Steine geworfen haben und eine Anklage unterschreiben. Ein wirkliches Gerichtsverfahren ( mit Zeugen und Kreuzverhör) würde länger als die erwartete Gefängnisstrafe dauern.

 

Ende Juli wurde eine Militärorder für die Errichtung eines Militär-Jugendgerichts  veröffentlicht. Nach 42 Jahren Besatzung hat anscheinend auch die Armee begriffen, dass da etwas nicht ganz ok ist, wenn die selben Militärrichter 35 Jährige und 13 Jährige verurteilen. Nach israelisch militärischem Gesetz ist ein Palästinenser  mit 16 kein Minderjähriger mehr – zwei Jahre vor israelischen Jugendlichen. Nach dem neuen Gesetz wird die Strafe eines Minderjährigen in Übereinstimmung mit  dem Datum seiner Anklage erfolgen. Dies ist ein  klägliches Eingeständnis  der brutalen Praxis, die seit Jahren dauert, wobei die Strafe am Tag der Verurteilung ausgeführt wurde. Warum kläglich? Weil die Festnahmen und die Untersuchungshaft von Kindern weiter so ausgeführt werden wie in der Vergangenheit. Weil das entscheidende Datum nicht der Tag ist, an dem das Verbrechen gegen die Besatzung begangen wurde.

Wenn zwei Jahre  seit dem  begangenen Verbrechen  von jemandem, der damals noch minderjährig war, vergangen sind, muss die Person laut Order nicht vor Gericht, wenn der militärische Chefankläger nicht anders entscheidet. Aber welche Militäranklage ist nicht eifrig dabei anzuklagen – es ist als würde man eine Katze beauftragen, eine Schüssel Milch zu bewachen.

Vom ranghöchsten Militärrichter bis hinunter zum letzten Privatmann an einem Kontrollpunkt sind Hunderttausende vollkommen normaler Israelis, die zu Hause nicht gewalttätig sind,  Partner in einem Einsatz, der die andere Gesellschaft  verwaltet, abgrenzt, begrenzt  und insgesamt unter Kontrolle bringt und so ihre Rechte und ihr Wohlbefinden schädigt. Dies ist die Norm, die hier nicht berücksichtigt wird und nicht in der Statistik über Gewalt und den Gewalttätigen vorkommt.

(dt. Ellen Rohlfs)