Israel Palästina Nahost Konflikt
Infos
Amira Hass, 17.
August 2009
Vierzig
Palästinenser vom Gazastreifen wurden während der Operation Cast Lead zu Beginn
dieses Jahres verhaftet, und 21 sind noch immer im Gefängnis. Das ist eine sehr
kleine Zahl verglichen mit den vielen Hunderten, die die IDF verhaftet hat und
verglichen mit den Hunderten, die zum Verhör in die verschiedenen Haftzentren
in Israel gebracht wurden, bevor sie entlassen wurden.
Samir
al-Attar, 38, ist einer der 40; sein ältester Sohn 13, verbrachte mit ihm
zusammen drei Tage im provisorischen
Gefängnis. Der Vater wurde dann auf einen Anhänger gepackt und der Sohn
entlassen. „Ist der Junge noch immer von der Verhaftung traumatisiert?“ Wurde
der Vater in dieser Woche telefonisch angefragt. „Es geht“, antwortete er, „Was
Hussein danach sah, als er entlassen
wurde, ließ ihn die Tortur der Verhaftung vergessen.“
Getrennt
von seinem Vater, versuchte der Junge, nach Hause zu gehen. Ihr Stadtteil war
leer, viele Häuser waren zerstört worden oder von Kugeln durchlöchert und die
Felder, Haine und Gewächshäuser dem Erdboden gleich gemacht. Der Lärm des
Beschusses begleitete Hussein die ganze Zeit, ein israelischer Scharfschütze
konnte hinter jedem Fenster lauern.
„Der
Junge erreichte unser Haus. Alle Fensterscheiben waren geborsten. Er fand
niemanden und er dachte schon, sie seien alle getötet worden – seine Mutter,
seine Großmutter und seine fünf Geschwister,“ erzählt
Samir.
Voller
Angst und tatsächlich allein wanderte der Junge ziellos durch eine Geisterstadt
bis er am nächsten Tag zufällig einen Verwandten traf, der ihn vier Kilometer
zu Fuß zu einer Schule führte, in der seine Familie Unterschlupf gefunden
hatte. „Diese Angst lässt ihn noch immer nicht los,“
sagt sein Vater.
Die
Massenverhaftungen wurden nicht zum Hauptthema bei den Gesprächen im
Gazastreifen: Ungewissheit über das Schicksal von Angehörigen und das
Ausmaß des Mordens und der Zerstörung
überschattet die Erfahrung, verhaftet gewesen zu sein.
Samir
selbst wurde erst nach zwei und einen
halben Monat Haft entlassen. Ein Bauer, der, bevor er verhaftet wurde, sein
Einkommen als Fahrer für Kamal Shrafi, den
Menschenrechtsberater (und früheres Mitglied des palästinensischen
Legislativrates) von Präsident Abbas, aufgebessert hatte.
Am
Montag, den 5.Januar hatten israelische Soldaten schon damit begonnen, direkt
auf Samirs Haus zu schießen und nicht nur rund herum. Er und seine Familie
flohen. Seine Frau winkte mit einem weißen Tuch. Er hielt die beiden Söhne, 5
und 7 in den Armen. Er entdeckte etwa 50 Soldaten vor dem Hause
. Die Soldaten befahlen uns, die Hände hochzuhalten. Sie schossen dann zwischen unsere Beine, sagte
Al-Attar am Telephon, dann durchsuchte ihn einer und
legte ihm und Hussein Handschellen um. Beiden wurden die Augen verbunden und
beide wurden zu einem benachbarten Haus gebracht mit 10 anderen Verhafteten.
Die Soldaten behandelten uns in diesem Haus gut, gaben uns aber nichts zu essen
und kein Wasser zum Trinken und ließen uns nur einmal zur Toilette gehen,“ legte er in einer eidesstattlichen Erklärung
nieder, die er am 14. Januar in Ketziot dem Anwalt
Maher Talhami vom Public Committee
gegen Folter in Israel (PCAT) vorlegte.
Um
5 Uhr nachmittags wurden die beiden zu Fuß mit verbundenen Augen und aneinander
gebunden zu einem Gebiet geführt, wo die IDF Panzer und Bulldozer zusammengezogen hatte. Dies
wird im Militärjargon als „Verteidigungszone“
– und als Grube von den Bewohnern
und ein „dugout“ von der PCAT bezeichnet. Es war ein
von Menschen gegrabener Krater von etwa 2 Dunum, 2-3
Meter tief und von Sandhügeln umgeben, die 3 Meter hoch sind und die beim
Ausheben der Grube entstanden. Sie sind höher als die Bulldozer,“ sagte Attar am Mittwoch. Bis vor kurzem war dieses Stück
Land ein Gemüsegarten.
Es
begann, dunkel zu werden, aber es gab
ein kleines Licht von den Panzerscheinwerfern. „Die Panzer schossen Granaten
nach Beit Lahiya,“ schrieb Al-Attar in seiner eidesstattlichen Erklärung.
Auf Befehl der Soldaten stiegen die Gefangenen vorsichtig hinunter und hielten
dabei einander fest, denn die Augen waren noch immer verbunden. In der Grube
wurden er und sein Sohn getrennt und jeder erhielt eine eigene Handschelle. Es
waren schon andere Verhaftete in der Grube und während der nächsten Tage kamen
noch mehr dazu. Als seine Gruppe ankam, umgaben die Soldaten sie mit einem ausziehbaren Drahtzaun.
„Erst
am Dienstagmorgen gaben sie je zwei eine einzige Decke gegen die bittere
Kälte,“ erzählte Al-Attar Talhami, „wir waren
während der ganzen Periodegefesselt und saßen
im Sand (…) Die Soldaten gaben uns ein
oder zwei mal am Tag etwas zu essen – Pitabrot und Mortadellawurst. Wir baten um Wasser und manchmal brachten
sie nach langer Zeit etwas. („In fünf Minuten, sagten sie, und brachten nach
zwei-drei Stunden etwas Wasser“) Es gab keine Toiletten und auch kein
Toilettenpapier) Wenn jemand es nicht länger halten konnte, ging er etwas
abseits und erleichterte sich. Und wenn Leute beten wollten, so gingen sie auch
etwas zur Seite, aber - so sagte
Al-Attar – keiner wagte, sich vor den Soldaten hinzuknien. Die Angst war zu
groß. Die Soldaten auf der anderen Seite des Zaunes, wo auch Hunde waren,
schrieen die Verhafteten an, sie sollten den Mund halten, wenn sie sie reden
hörten.
Al-Attar:
„Die Panzer waren nur 10m von uns entfernt und sie schossen Tag und Nacht.
Selbst wenn wir gewollt hätten, so hätten wir wegen des Lärms, der Kälte und
aus Angst nicht schlafen können. Ich
nahm Hussein in die Arme und sagte ihm, er solle keine Angst haben. Dies
wird in ein bis zwei Tagen vorbei sein. Aber innerlich war ich schrecklich in
Sorge. Es waren sogar vier Frauen und zehn Kinder unter 14 unter uns. Auch sie
waren in Handschellen und ihre Augen verbunden.
Etwa
30 Verhaftete, die mit einer anderen Gruppe am selben Montagnachmittag kamen, wurden auf einen LKW gepackt. H.A.,
26, hat gegenüber Talhami in einereidesstattlichen
Erklärung angegeben: „ es war sehr kalt und wir wurden gezwungen, auf dem LKW
zu schlafen. Meine Hände waren in einer Handschelle und meine Augen verbunden.
Die Soldaten verteilten ein paar Decken aber nicht genug … wir wurden bis zum
nächsten Nachmittag auf dem LKW festgehalten, Wer sich erleichtern musste, tat
es über den Rand des LKW …
H.E.
23 und F.R. berichteten Ähnliches …
Die
Verhöre wurden in anderen Haftzentren außerhalb Gazas unter gleich schwierigen
Bedingungen durchgeführt. Am 8. Januar, noch bevor sie im Besitz aller
Unterlagen über die Einzelheiten der
Haftbedingungen waren, haben Vertreter von Menschenrechtsorganisationen in
Israel an den Militärischen Hauptanwalt Avichai Mandelblit geschrieben und ihn daran erinnert, dass es die
Verpflichtung der IDF sei, die Rechte der Verhafteten einzuhalten. Er
antwortete am 18. Januar: „Diese Verhaftungen werden in Übereinstimmung
mit klaren Vorschriften gemacht, an die sich unsere
Militärkräfte halten, um so die Ehre und Gesundheit der Verhafteten zu bewahren
und um sie in ordnungsgemäßen Zustand zu
halten. Diese Vorschriften wurden in einer Art
ausgearbeitet, die mit Israels Verpflichtungen
gegenüber den Gesetzen der Kriegsführung übereinstimmen“ ….
Die
IDF antwortete nicht auf die Frage, wie viele Palästinenser im Gazastreifen
verhaftet wurden und wie viele nach Israel transferiert wurden.
(dt.
und gekürzt: Ellen Rohlfs)