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Anderweitig besetzt

 

Amira Hass, Haaretz 8.8.11

 

 

Der Yesha-Rat der Siedlungen hat eine Mail ausgesandt mit einem Link zu den Bemerkungen der Journalistin Ilana Dayan im Armee-Radio-Programm. Dayan lobt die neue Zeltprotestbewegung als „die Entdeckung dieses Sommers:  dass es ok sei, aufzustehen und zu schreien und die Regeln völlig auf den Kopf zu stellen“ und dass es ok sei, die Meinung zu ändern, einen Fehler zu machen und dann ihn zuzugeben.

 

Aus genau diesem Grund sagte Dayan in ihrem Programm, dass sie sich wünschte, etwas  zu jemanden zu sagen, der per Anhalter gefahren ist und für euch – die Demonstranten – den größten Feind gefunden hat – der zufällig die Siedler sind.“

 

Sie fuhr fort: „ Sie ( die Anhalter) behaupten: ‚die Siedler haben keine Ahnung von den hohen Mietkosten. Sie werden mit einer Menge Vergünstigungen verwöhnt.’ Und es scheint mir, dass wer immer es auch geschrieben hat, ist schon lange nicht mehr in Gush Etzion oder Eli oder Har Bracha gewesen und hat junge Paare wie die jungen Leute auf der Rothschild-Boulevard gesehen, ohne eine Bar und Imbissstube, indem sie an einem Pfad  und Gefahr und einer Opferbereitschaft festhalten, ja, wie die, die jetzt Tel Aviv überfluten. Es ist möglich, mit den Siedlern zu argumentieren; es ist ok anders als sie zu denken und  sogar mit ihnen über Prioritäten sich zu streiten. Aber jeder der eine wert-orientierte Gesellschaft hier wünscht mit Solidarität, kann auch etwas von ihnen lernen oder wenigstens versuchen, mit ihnen bekannt zu werden.“

 

Diese Bemerkungen von Dayan  sind eine gute Lektion für jene, die soziale Gerechtigkeit suchen: Seht nicht auf individuelle Angelegenheiten wie die Größe eines Wohnwagens oder der Villen oder ihr hübsches Aussehen. Man konzentriere sich auf die Politik, die es möglich macht, Wohnwagen aufzustellen und einstöckige Häuser und jüdische Stadtteile und Wohnungen für Juden zu bauen und individuelle Farmen zu genehmigen und zwei Meter davon entfernt werden palästinensische Zelte und Hütten dem Erdboden gleich gemacht. Auf beiden Seiten der Grünen Linie – aber Platzmangel verpflichtet uns, uns auf die östliche Seite zu konzentrieren.

 

In den ersten sechs Monaten von 2011 führte diese Politik zur Zerstörung von 656 Wohnungen von Palästinensern in Zone C der Westbank, 351 von ihnen sind Kinder. Diese Zahl tauchte unter den Zahlen des UN-Büros von OCHA auf ( Coordinator of Humanitarian Affairs) . Ja, dieselbe Zone C, die der Yesha-Rat den Zelt-Demonstranten  zu empfehlen wünscht und wo dieser glaubt,  dass hier die Lösung von Israels Wohnungsproblem  liege.

 

Die Zahl spricht von 342 palästinensischen Strukturen, einschließlich 125 Häusern ( die Mehrheit sind Zelte und Wellblechhütten) OCHA fand, dass dies fast fünfmal mehr an Zerstörungen und betroffenen Menschen sind als in der selben Periode des letzten Jahres. Im Juli wurden weitere 100 Palästinenser obdachlos.

Selbst ohne Zerstörungen gibt es - nach dem Bericht - unter den Palästinensern in Zone C ein Phänomen der unfreiwilligen Umsiedlung. Der allgemeine Grund dafür ist, dass Israel  ihnen verbietet, in den Gebieten unter seiner vollen Kontrolle (zwei Drittel der Westbank) zu bauen. In der beschönigten Sprache der Zivilen Verwaltung: es gibt keinen Gesamtplan. In der Sprache normaler Menschen: es gibt keinen Gesamtplan für Palästinenser. Nur für Juden. Und Gesamtpläne kommen – wie bekannt ist -  weder von Gott noch von Allah.

 

Für die besonders Interessierten: diese Ergebnisse werden in OCHAs neuem Bericht (über unfreiwillige Umsiedlung) gebracht, der letzte Woche veröffentlich wurde. Es gibt nicht viel Neues darin. Im Wesentlichen bringt der Bericht eine Routinechronologie, aus der gelegentlich Kleinigkeiten in den israelischen Medien zu finden sind. Für die mit kurzem Gedächtnis wird auch an die Diskriminierung von Palästinensern bei den öffentlichen Diensten erinnert z.B. dem Zugang zu Wasserquellen. Andrerseits erspart dieser Bericht dem Leser umfassende Details über die Geschichte von Israels Herrschaft über  privates oder öffentliches Land und ihren Transfer an jene, denen wir versprochen haben ….

 

OCHAs Feldforscher machten Stichproben in 13 palästinensischen Gemeinden in Zone C und versuchten, die Wahrheit über die Gerüchte und Spekulationen eines angeblichen Trends der Bewohner herauszufinden, nämlich wegzugehen. Die Berichte sind  anscheinend zuverlässig. Und die, die gehen, sind vor allem junge Paare. Zehn Gemeinden berichteten, dass die Leute wegen des Bauverbots gehen; elf Gemeinden berichteten, dass die Quellen ihres Lebensunterhaltes weniger werden (Schafhaltung und Landwirtschaft) als direkte Folge von

israelischen Beschränkungen, was Land und Wasser betreffen und die Bewegungsfreiheit. Zehn Gemeinden wiesen auf Siedlungsaktivitäten hin, die tägliche Probleme verursachen; und sechs berichteten von physischen Schikanen von Seiten der Siedler (die andere Seite von „Gefahr und Opferbereitschaft“) In den meisten Gemeinden betonten die Interviewten, dass sich ihr tägliches Leben im Vergleich zur vorherigen Generation verschlechtert hat, was persönliche Sicherheit, Bewegungsfreiheit und Zugang zu Lebensunterhalt und öffentlichen Diensten, einschließlich Schulen betreffen.

Vielleicht war es eine Generation früher weniger schwierig. Aber in Zone C, in der einzigen, ausgedehnten Landreserve palästinensischer Dörfer und Städte – oder eher eines palästinensischen Staates – in der Westbank gibt es (in Zone C) nur etwa 150 000 Palästinenser. Warum so wenige? Weil es israelische Beschränkungen der palästinensischen Entwicklung in jenen Gebieten schon seit den frühen 70er-Jahren gibt, also lange vor Oslo. Auf diese Weise wurde das Bevölkerungswachstum blockiert. Hier wird das „Festhalten an einem Pfad“ der israelischen Politikmacher deutlich.

Es ist möglich, die Warnung von OCHA zu ignorieren, dass eine Fortsetzung der israelischen Politik zum „Zusammenbruch und totalen Verschwinden mehrerer palästinensischen Gemeinden in Zone C in der nächsten Generation, oder gar noch früher“ führt. Der Bericht von OCHA hat in sehr vorsichtiger Sprache, die auch ignoriert werden kann, seine Sorge über demographische Veränderungen in der Westbank zum Ausdruck gebracht.

Es ist also möglich, die UN-Hilfsagentur für Flüchtlinge (UNRWA) zu ignorieren, die anscheinend von OCHAs vorsichtiger Ausdruckweise angetrieben war, eine Presseerklärung abzugeben. Dass die israelische Politik in Zone C schon das ganze Gefüge dieser Gemeinschaften zerstört  und letztlich dazu beiträgt, die Demographie der Westbank zu verändern. Man kann nicht näher an einen Protest herangehen ( so zahnlos er sein mag) wegen ethnischer Säuberung.

Höhere/ältere israelische Rechtsexperten als Ilana Dayan sprechen sich gegen die Interpretation der UN und der Association for Civil Rights in Israel  aus, dass die ganze Westbank, auch Zone C, besetztes Gebiet sei, wohin die Besatzungsmacht ihre Bevölkerung nicht umsiedeln sollte. Aber haben wir zusammen mit der Immobilienübertragung des ganzen Landes direkt vom Heilig Einen – gepriesen sei ER – auch einen Befehl bekommen, zwischen dem Blut der einen Person und dem einer anderen Person zu unterscheiden, zwischen einem Volk und einem anderen oder zwischen einem Kind und einem anderen?

 

(dt. Ellen Rohlfs)