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Es reicht nicht, die
Besatzung zu beenden
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Progressive Israelis und
Palästinenser haben eine wichtige Aufgabe: eine politische Bewegung aufzubauen,
die uns eine wirksame Stimme gibt , um die Zukunft unseres Landes zu formen
Jeff
Halper
Da wir
den 50. Jahrestag von Israels Besatzung erreicht haben, ist es schwer, am
Horizont ein durchführbares politisches Programm oder eine konzentrierte
politische Bewegung jenseits des ungenauen Slogans: „beendet die Besatzung“ zu
finden. Die von der israelischen Friedensbewegung
der letzten 50 Jahre und
von der PLO/PA der letzten 30 Jahre unterstützte Lösung – zwei Staaten für zwei
Völker – ist ritualisiert und versteinert worden
und funktioniert nicht mehr.
Sie ist tief unter den israelischen
Siedlungen begraben worden, wie auch unter massiven Blocks in Ost-Jerusalem und
der Westbank, wo inzwischen 800 000 israelische Siedler wohnen.
Ganz
bewusst und systematisch und mit
unbegrenzten Ressourcen hat Israel
nahezu das große Projekt des
Zionismus vollendet: tatsächlich die Judaisierung des Landes und Palästina
in das Land von Israel verwandelt. „Ost“-Jerusalem 1967
annektiert, hat längst aufgehört, als eine kohärente, funktionierende
städtische Entität zu existieren. Die Westbank
ist zu Judäa und Samaria geworden. Mehr als 90% der Palästinenser
sind auf nur 12% des ganzen
Landes eingeschlossen, obwohl sie fast die Hälfte der Bevölkerung audmachen.
Groß-Israel ist eine Realität, eine unumkehrbare Realität, unleugbar ein
einziger Apartheid-Staat. Ein Blick auf die Karte genügt, um die „Matrix der
Kontrolle“ zu zeigen, die Israel
auf Dauer über die besetzten palästinensischen Gebiete gelegt hat.
Die
Karte zeigt, wie jede Regierung absichtlich jede Möglichkeit eines lebensfähigen
palästinensischen Staates während der letzten fünf Jahrzehnte eliminiert hat.
Zone A und B zeigen bis zu welchem Grad das palästinensische Gebiet in winzige
Enklaven zerteilt und durch Siedlungsblocks
voneinander getrennt wurden, die Trennungsmauer und ein Labyrinth von
israelischen Schnellstraßen. Israel kontrolliert alle vitalen Ressourcen der
OPT, seinen Luftraum und die Kommunikations-Sphäre. Indem es Mauern und
Genehmigungs-Regime aufrecht erhält, hat es Groß-Jerusalem von der
palästinensischen Gesellschaft und Wirtschaft getrennt und so den Palästinensern
ihr politisches, religiöses und kulturelles Zentrum geraubt, natürlich
auch ihr größtes Touristen-Zentrum, die Quelle von 40% ihrer Wirtschaft.
Die
Karte kann den Rest nicht zeigen: die Zerstörung der palästinensischen
Wirtschaft und die Verarmung seines
Volkes (70% leben unter der Armutsgrenze), Vertreibung (fast 50 000
palästinensische Häuser wurden seit 1967 in den OPT
zerstört , seit 1948 wurden mehr als 70 000
innerhalb Israel zerstört) eine
traumatisierte Bevölkerung, die Jahrzehnte lang eine unerbittliche,
unterdrückerische Militär-Besatzung
erduldet hat, 800 000 von ihnen
waren in Gefängnissen und wurden
gefoltert, Beschränkungen der Bewegung und sogar der Familienzusammenführung,
veranlasste Emigration und anderes mehr.
Geben
wir es zu : Keine israelische Regierung der letzten 50 Jahre hat ernsthaft die
Aussicht auf einen echten,
souveränen und lebensfähigen palästinensischen Staat
gestellt, auch nicht
während der glänzenden Tage des „Oslo-Frieden-Prozesses“.
Was heute besteht, ist eine Apartheid. Ein einziger
Staat – Israel – beherrscht das ganze Land und
ein ganzes Volk ohne zivile, humane oder nationale Rechte.
Eine
effektive Regierung, eine Armee, eine Wirtschaft, eine Infrastruktur und eine
unmittelbare territoriale Siedlungsnachbarschaft beherrscht das palästinensische
Leben politisch, wirtschaftlich, militärisch und physisch, während die
palästinensische Bevölkerung – die Hälfte des ganzen Landes – auf Dutzende von
winzigen Enklaven von nur 10 % des Landes
begrenzt sind.
Während
der Jahre haben progressive Israelis mit verschiedenen Lösungen gespielt,
verschiedene Variationen des Zwei-Staaten-Themas. Die meisten sind
„föderalistische Modelle der einen oder anderen Art, indem sie Lova Eliavs
Idee eines Staates wiederbelebten, in dem Nationalität vom Gebiet
getrennt ist. Eine vorgeschlagene
„Heiligland-Union“ sieht 3 Staaten
für zwei Völker in einem Land vor. „einen säkular föderalen Staat, der die
Herrschaft über das Gebiet
und über zwei nicht
territoriale Nation-Staaten.“
Eine
andere „israelisch-palästinensische Föderation“ bietet 15 föderalen Distrikten,
die nach der jüdisch-arabischen Bevölkerungsgrenze getrennt ist.
„die Zwei-Staaten/ Ein Homeland“
ist sogar noch mehr verschachtelt.
Hier teilen sich zwei nationale Gruppen dasselbe Land, halten aber
getrennte Staatsbürgerschaft,
politische Systeme und Parlamente, wobei
„beide Staaten damit einverstanden
sind, dass eine verhältnisgleiche Zahl von Bürgern
des andern Staates in ihrem Gebiet
leben und den Status
des
permanenten Bürgers erhalten.
Was all
diese Versionen der
Zwei-Staaten-Lösung verbindet, ist eine
felsenfeste Überzeugung, dass Palästinenser und Israelis so unvereinbar
sind, dass sie nicht dieselbe Politik teilen können – eine Idee, die ich nicht
akzeptieren kann. Ausnahmslos lassen sie die Sicherheit
für die voraussehbare Zukunft
in israelischen Händen .
Von der Apartheid
zu einer multikulturellen Demokratie
Die
absichtliche und systematische
Eliminierung der Zwei-Staaten-Lösung durch Israel und die Unzulässigkeit der
Apartheid lassen nur eine Option für ein gerechtes politisches Abkommen für
einen Konflikt, der eine ganze Region destabilisiert und für die Palästinenser
zerstörerisch ist: ein einziger demokratischer
Staat, der all seinen Bürgern die gleichen Rechte zusichert. Eine Person
– eine Stimme. Ein einziges parlamentarisches Regime, die Schaffung
einer robusten und
integrativen Bürger-Gesellschaft, die volle Integration der Armee und
Sicherheitskräften, die Rückkehr aller palästinensischen Flüchtlinge,
die wollen (begleitet von Landumverteilung, finanzieller
Wiedergutmachung, Wohnbau und
aktive Fördermaßnahmen in der Bildung
und Miete) und eine Wirtschaft, die
jedem dient.
Wie in
vielen anderen Ländern ist auch Palästina/Israel multikulturell. Wie die
beigefügte Skizze zeigt, besteht sie aus nationalen Gruppen (palästinensische
Araber und israelische Juden), religiösen Gemeinschaften ( Muslimen, Juden und
Christen in einer Unmenge von
Denominationen, wie z.B. die Hamas,
die säkulare Fatah oder religiöse Zionisten, als auch politische Gemeinschaften)
und ethnische Gruppen (Mizrahim,
Drusen und die asylsuchende
Gemeinschaft und andere )
Viele dieser Gruppen überschneiden sich.
Während
jeder an der größeren Bürgergesellschaft teilnehmen würde, könnten sich die
Bürger auch an ihren verschiedenen Identitäten festhalten, ja auch innerhalb
ihrer Gemeinschaften. Sicherlich hat eine Gesellschaft, die Jahrhundert lange
zivile und nationale Kriege, Siedlerkolonialismus und Besatzung erlebt
hat, kollektive Identitäten, die
zentral bleiben . Die Leute würden die Freiheit haben, von einem Sektor
angezogen zu sein, den sie wünschen. Es ist also ein Hin und Her zwischen den
Sektoren möglich.
Religiösere Juden und Muslime mögen
z.B.- mehr von ihren eigenen
nationalen/religiösen Gemeinschaften hingezogen fühlen. So würden es
zurückkehrende Flüchtlinge der ersten Generation und alte Leute
tun und vielleicht die Arbeitsklassen. Dieser Multikulturalismus wird vom
Staat anerkannt werden und in die
Verfassung aufgenommen, die
kollektive wie individuelle Rechte garantieren wird , wie auch die Rechte der
Sprache, des Erbes und kommunaler Institutionen
neben denen der zivilen Gesellschaft.
Verfassungsmäßig geschützter Multikulturalismus wird die Knesset daran hindern,
neue Gesetze zu verabschieden, die die Integrität irgendeiner nationalen,
religiösen oder kulturellen Gruppe verletzt oder eine Gemeinschaft einer anderen
bevorzugt. Diese würde eine zusätzliche Schutzschicht für israelische Juden
liefern, deren kollektive
Identität, Sprache und Erbe anerkannt werden wird, wie dies auch auf
palästinensischer Seite geschehen würde.
Da die
Jahre vergehen und Bürger wie Gemeinschaften ein Gefühl der Sicherheit,
des Vertrauens und der Verbundenheit empfinden und da jüngere
Generationen auftauchen, für die
das Leben in einer allgemeinen zivilen Gesellschaft normal ist, wird eine
allgemeine zivile Identität auftauchen und sich erweitern. Zuerst wird vor allem
die jüngere Generation angezogen, säkulare Leute und die Mittelklasse, eine
bürgerliche Gesellschaft würde allgemeines Leben werden, umgewandelt in die
allgemeine Staatsbürgerschaft, ein allgemeines Parlament, allgemeine kollektive
Erfahrungen, die sich aus dem täglichen Leben ergeben, wie zivile Heirat,
integrierte Gemeinden und Schulen, allgemeine Medien, das Lernen der Sprache des
anderen, allgemeine Feiertage und Symbole etc. Es wird nicht nur eine neue
politische Entität entstehen, sondern eine neue Gesellschaft, ein Beispiel für
andere, wie ethnische Konflikte
durch Gleichheit, Demokratie und Multikulturalismus
gelöst werden können.
Politische Akteure oder
Störenfriede ?
Abgesehen vom Formulieren gerechter praktikabler Lösungen haben progressive
Israelis und ihre palästinensischen Partner noch eine andere wichtige Aufgabe:
eine politische Bewegung innerhalb des Landes und international aufzubauen –
ganz unten –als Grassroot - als
auch in den Parlamenten, die uns
eine wirksame Stimme gibt, um die Zukunft unseres Landes
aufzubauen. Wir müssen uns entscheiden, ob wir politische Akteure sein
wollen oder nur Kommentatoren. Wenn das erstere, dann sind meiner Ansicht nach
vier Dinge notwendig.
1.
Müssen wir ein gerechtes und
durchführbares politisches Programm formulieren – meiner Meinung nach
entlang den oben genannten Linien . Wir müssen es tun, da es keiner tun
will: nicht die Regierungen, nicht die Parteien, nicht die NGOs, kein
akademisches Forum, keine Aktivisten, deren Widerstand vor Ort
- so wichtig er ist – nicht
auf ein aktuelles Programm gerichtet ist. In der Tat sind wir die
einzigen Akteure, die
(1)kritische politische Analysen mit (2)der „Vor-Ort“-Erfahrung verbinden und
(3). der Fähigkeit, die zivile Gesellschaft zu Hause und im Ausland
zu mobilisieren -- dies
alles ist nötig, um ein gerechtes
und durchführbares politisches Abkommen zu erreichen. Bewaffnet mit einem
politischen Plan haben sogar wenige Leute die Macht, dringend unsere
verzweifelten Kräfte in eine mächtige und konzentrierte Bewegung zu bündeln.
Dies war es, was unsere Feinde, die Siedler vor 50 Jahren taten.
Die Rechte in aller Welt sah sich selbst als Akteur und hat hart
gearbeitet, um aus der Verhöhnung
und der Finsternis in eine Position
der Dominanz von heute aufzutauchen. Die Linke, die einmal das politische
Sagen hatte, scheint ihren Glauben an die Fähigkeit zu führen,
verloren zu haben. Wir haben uns
marginalisiert. Es wird Zeit, an die Oberfläche zurück zu kehren – in
Palästina/Israel und anderswo.
2.
Die Palästinenser müssen
trotz all ihrer Einschränkungen die Führung übernehmen. Es gibt keinen anderen
Weg. Kein andere kann
die palästinensische Sache
so vertreten und
hat das Recht, ein politisches
Programm zu formulieren. Ohne ihre Führung, Regie und Leitung sitzen wir
fest, nichts wird geschehen. Der weltweiten BDS-Bewegung ist es gelungen, Massen
zu mobilisieren, um Palästina zu unterstützen. Sie lässt sie jedoch hängen. Die
Massen von Unterstützern für einen
gerechten Frieden in
Palästina/Israel können mobilisiert werden, sie müssen aber wissen zu welchem
Ende. Was verlangen wir von unsern
politischen Führern? „Das Ende der
Besatzung“ ist ein Anfang, und
wie geht es weiter? Die
vielen Israelis und Internationalen
mobilisierten sich, um Palästina zu
unterstützen - sie müssen
ermächtigt und von Palästinensern geleitet werden.
3.
Wir müssen die Dringlichkeit
des Augenblicks auf zwei Ebenen verstehen. Zunächst politisch Trump, Netanjahu,
Abu Mazan und der Rest kochen ein Regime permanenter, international
sanktionierter Apartheid und dies
geschieht jetzt. Wo sind wir? Was für
eine Alternative bieten wir?
Haaretz beschrieb kürzlich
(24. Mai) wie die US-Regierung als eine
mit „allgemeinen Prinzipien“ nach den Siedlungen schaut. Wir können fünf
anbieten:
·
Ein gerechter Friede muss
eine Balance zwischen kollektiven Rechten (Selbstbestimmung) und individuellen
Rechten (Demokratie) sein.
·
Ein gerechter Frieden und die
Verhandlungen, die dahin führen, müssen mit den Menschenrechten, dem
Internationalen Gesetz und den UN-Resolutionen
übereinstimmen.
·
Ein gerechter Friede fordert,
dass das Flüchtlingsproblem voll gelöst wird.
·
Ein gerechter Frieden
bedeutet, ein politisches System
und eine zivile Gesellschaft
errichten, die soziale,
wirtschaftliche, politische und kulturelle Gleichheit zusichert
und völlige Integration der Sicherheitskräfte.
·
Ein gerechter Friede muss
regional im Bereich sein.
Warum
werfen wir nicht unsere Prinzipien in die Diskussion? Wenn wir nicht sofort und
wirksam organisieren, was zunächst
und vor allem ein eigener
politischer Plan bedeutet, werden wir einfach verlieren. Wir haben keine Zeit
mehr. Man kann behaupten – wie viele Israelis und sogar Palästinenser tun, dass
jetzt nicht die Zeit für eine Lösung ist
-- lassen wir dies die nächste Generation tun.
Die
israelische Apartheid mag eines Tages fallen; aber ist es ein politischer Plan
zu warten, nur zu protestieren und unsere Hoffnung auf zukünftige Generationen
zu setzen? Oder machen wir einen
geheimnisvollen Schritt. Als die
Süd-Afrikanische Apartheid fiel,
hörten wir oft, so will es Israel. der Trugschluss ist natürlich, dass sie nicht
nur wegen des Gewichts seiner eigenen Ungerechtigkeit fiel.
Sie wurde von schwerer Arbeit des ANC besiegt.
Die
politische Richtung zu liefern,
ist auch für interne Bewegungsgründe dringend. Man beginnt sich, von der
palästinensischen Sache zu
entfernen. Der politische Kampf verschmäht aber ein Vakuum. Ohne eine empfohlene
Endphase, beginnen die Leute wegzulaufen. Wenn sich jahrelang nichts auf der
palästinensischen Seite (außer
einer immer größer werdenden
Besatzung) bewegt, wendet man seine Zeit und
Energie dringenderen Problemen zu: Syrische
und andere Flüchtlinge, Trump und
Theresa May bekämpfen, Klimawandel,
lokale Probleme etc.
Wir müssen eine Bewegung aufbauen – oder eher die existierende, aber
stecken gebliebene Bewegung
wachrütteln. Ein gemeinsames
politisches Programm ist äußerst
dringend.
Wir
sollten durch 50 Jahre Besatzung gekennzeichnet sein, aber für uns selbst
beschließen, dass dies das erste Jahr
effektiven Widerstands, Befürwortung und politischer Bewegung ist . Das
Fenster ist im Begriff, sich zu schließen.
Jeff
Halper ist Direktor
des israelischen Komitees gegen Hauszerstörung (ICAHD) ein Gründer und
ein Gründer von „The People yes-Netzwerkes)
(dt. und
geringfügig gekürzt: Ellen Rohlfs)