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Meinung B‘Tselem-Chef: Warum ich mich vor der UNO gegen die Okkupation aussprach
16.10. 2016
Es gibt keine Chance, dass die israelische Gesellschaft diesen Albtraum aus
eigener Kraft und ohne jede Hilfe beenden wird. Zu viele Mechanismus schirmen
die Gewalt ab, die wir ausüben, um die Palästinenser zu kontrollieren.
Ich sprach mich vor den Vereinten Nationen gegen die Okkupation aus, weil ich
danach strebe, ein Mensch zu sein. Und Menschen, wenn sie Verantwortung für eine
Ungerechtigkeit gegenüber anderen Menschen übernehmen, haben die moralische
Verpflichtung, tätig zu werden.
Ich sprach mich vor den Vereinten Nationen gegen die Okkupation aus, weil ich
ein Israeli bin. Ich habe kein anderes Land. Ich habe keine andere
Staatsbürgerschaft und keine andere Zukunft. Ich wuchs hier auf und werde hier
begraben werden. Ich sorge mich um das Schicksal dieses Ortes, das Schicksal
seiner Menschen und sein politisches Schicksal, welches auch mein Schicksal
ist. Und im Lichte all dieser Bindungen ist die Okkupation ein Desaster.
Ich sprach mich vor den Vereinten Nationen gegen die Okkupation aus, weil meine
Kollegen bei B‘Tselem und ich, nach so vielen Jahren der Arbeit, zu mehreren
Schlussfolgerungen gelangt sind. Dies ist eine: Die Realität wird sich nicht
ändern, wenn die Welt nicht eingreift. Ich vermute, dass unsere arrogante
Regierung das auch weiß, also ist sie damit beschäftigt, Angstmache gegen eine
solche Intervention zu betreiben.
Das Eingreifen der Welt gegen die Okkupation ist genauso legitim wie jede andere
Frage der Menschenrechte. Und es ist es erst recht, wenn eine Frage damit
verbunden ist wie die unserer Herrschaft über ein anderes Volk. Es ist
offenkundig eine internationale Angelegenheit.
Dies ist die zweite Schlussfolgerung: Es gibt keine Chance, dass die israelische
Gesellschaft diesen Albtraum aus eigener Kraft und ohne jede Hilfe beenden wird.
Zu viele Mechanismen schirmen die Gewalt ab, die wir ausüben, um Kontrolle über
sie auszuüben. Zu viele Ausreden haben sich angehäuft. Es hat in den letzten 50
Jahren zu viele Ängste und zuvielÄrger – auf beiden Seiten – gegeben. Letzten
Ende, da bin ich mir sicher, werden Israelis und Palästinenser die Okkupation
beenden, aber wir werden es nicht ohne die Hilfe der Welt tun.
Die Vereinten Nationen ist vielerlei. Viel ist problematisch, einiges wirklich
töricht. Diesen Dingen stimme ich nicht zu. Aber die Vereinten Nationen sind
auch die Organisation, die uns 1947 einen Staat gab, und diese Entscheidung ist
die Grundlage der internationalen Legitimität unseres Landes, des Landes, in dem
ich Staatsbürger bin. Und mit jedem Tag der Okkupation nagen wir nicht nur
freudig an Palästina, wir zerstören auch die Legitimität unserer Landes.
Ich verstehe nicht, was die Regierung von den Palästinensern verlangt. Wir
herrschen seit fast 50 Jahren über ihr Leben, wir haben ihr Land in kleine
Stücke zerteilt. Wir wenden militärische und bürokratische Macht mit enormem
Erfolg an und verstehen uns prima mit uns und der Welt.
Was sollen die Palästinenser tun? Wenn sie es wagen zu demonstrieren, ist es
öffentlicher Terror. Wenn sie nach Sanktionen rufen, ist es wirtschaftlicher
Terror. Wenn sie den Rechtsweg bestreiten, ist es juristischer Terror. Wenn sie
sich an die Vereinten Nationen wenden, ist es diplomatischer Terror.
Es stellt sich heraus, dass alles, was ein Palästinenser tut, abgesehen vom
Aufstehen am Morgen und „Danke, Rais“ – „Danke, Herr“ – Terror ist. Was will die
Regierung, ein Kapitulationsschreiben oder dass die Palästinenser verschwinden?
Das werden sie nicht tun.
Wir werden ebenfalls nicht verschwinden, und wir werden nicht schweigen. Wir
müssen es überall wiederholen: Die Okkupation ist nicht das Ergebnis einer
demokratischen Wahl. Unsere Entscheidung, ihr Leben zu kontrollieren, wie es uns
gefällt, ist ein Ausdruck der Gewalt, nicht der Demokratie. Israel hat keine
rechtmäßige Möglichkeit, auf diesem Weg weiterzumachen. Und die Welt hat nicht
mehr die Möglichkeit, uns weiterhin so zu behandeln wie bisher – immer nur
reden und nicht handeln.
Ich sprach mich vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegen die
Okkupation aus, weil ich optimistisch bin, weil ich Israeli bin, weil ich wurde
in Haifa geboren wurde und in Jerusalem lebe und weil ich kein junger Mann mehr
bin und jeder Tag meines Lebens von der Kontrolle ihres Lebens begleitet wurde.
Und weil es unmöglich ist, so weiterzumachen.
Wir dürfen so nicht weitermachen. Ich sprach mich vor den Vereinten Nationen
gegen die Okkupation aus, weil ich danach strebe, ein Mensch zu sein.
Hagai El-Ad ist der Director der Menschenrechtsgruppe B’Tselem.