Gush Shalom, 10.9.09
Es
hätte keinen besseren Platz für den Protest geben können als den großen Platz
vor dem Jaffator, genau auf der Grünen Linie zwischen
Ost- und West-Jerusalem.
Dort
versammelten sich am Donnerstag, den 10. September 2009 Hunderte von israelischen und
palästinensischen Demonstranten, um gegen die Pläne der Regierung und der Stadtverwaltung
zu protestieren: gegen die ethnische Säuberung durch die Vertreibung
palästinensischer Familien und das Einsetzen
jüdischer Siedler mitten in das Herz der arabischen Stadtteile.
Der
Protest, zu dem von den Rabbinern für Gerechtigkeit, von Gush
Shalom und anderen Friedensgruppen (
s.u.) aufgerufen worden war, fand am Abend statt, als der Platz voller
Menschen war. Die Demonstranten hielten Poster auf Hebräisch in die Höhe: „Gebt
dem Frieden eine Chance, keine Siedlungen in Ostjerusalem!“ „Jerusalem – eine Stadt aller seiner Bürger“,
„Jerusalem von Gold und der Rechte aller seiner Bürger“ – erinnerte an ein
berühmtes patriotisches Lied.
Das Gush Shalom-Emblem mit den zwei Flaggen von Israel und Palästina
waren auch vielfach zu sehen. Der Protest
wurde von Liedern der Liebe für Jerusalem und einer Gruppe Trommler begleitet.
Zwischendurch hörte man den Ruf singen: „Eine Stadt für alle! Eine Stadt für
alle!“ und Reden wurden gehalten.
Der
erste Redner war Rabbiner Arik Ashermann und eröffnete
mit den Worten: „Du sollst in deiner Stadt keine verschiedenen Maße haben!“ –
die Paraphrase eines biblischen Zitats: „Du
sollst in deinem Haus nicht zweierlei Maß haben, ein großes und ein
kleines“ (5.Mos. 25,14)
Im
Hebräischen bedeutet dies Diskriminierung oder Doppelmoral. Asherman
wies darauf hin, dass es eine eklatante Ungerechtigkeit sei, Araber aus ihren
Häusern in Ost-Jerusalem zu vertreiben, weil diese Häuser vor 1967 (angeblich)
Juden gehörten, während Hunderte von Häusern in Westjerusalem den Arabern nicht
zurückgegeben werden, obwohl sie ihnen vor 1967 ( bzw. 1948) gehörten.
Vertreter
der beiden großen Familien, die vor kurzem aus ihren Häusern im Stadtteil Sheik Jarrah vertrieben wurden und nun in Zelten auf der Straße
leben, riefen der jüdischen Öffentlichkeit zu , sich um Gerechtigkeit und
Versöhnung zwischen den beiden Gemeinschaften zu bemühen. „ Vom Trottoir, wo
wir gezwungen sind, das Ramadanfasten zu begehen,
bringen wir die Grüße von fünfzig
vertriebenen Palästinensern euch Juden,
die ihr hierher gekommen seid, um an unserm Kampf teilzunehmen . Wir wünschen
euch ein fröhliches Rosh Hashana (
Neues Jahr)“, sagte Nasser Gawi auf
Hebräisch. „Ich wünsche uns allen ein
Leben in Frieden in Jerusalem, wo die Besatzung enden soll. Die Trennungslinie
zwischen dem palästinensischen und dem
israelischen Jerusalem wird nicht ein Ort der Spannungen und der Gewalt werden.
Es wird keinen Grund dafür geben. Es wird ein Treffpunkt für Nachbarn sein, die in Frieden und
Freundschaftlichkeit leben wollen.“
Eine
opponierende große Gruppe von religiösen jüdischen Jugendlichen, die die
Siedler unterstützen, versuchten, das Geschehen durch Singen und Tanzen zu
stören, aber Ängste vor Gewalt erwiesen sich als unbegründet. Während der ganzen Demonstration gingen
zwischen Demonstranten Orthodoxe auf dem
Weg zur Klagemauer mitten durch.
Prof.
Alice Shalvi – eine religiöse Feministin, frühere
Direktorin der Pelech-Mädchenschule und Preisträgerin
des Israelpreises – erinnerte an „den Tag als 1967 die Mauer zwischen Ost- und
West-Jerusalem fiel. Da gab es einen einzigen Augenblick, als Israelis und
Palästinenser bereit waren, einander als Gleiche in einer wirklich vereinigten
Stadt zu akzeptieren. Aber dies wurde völlig verfehlt. Die israelische
Herrschaft über die Palästinenser wurde
zu einer Herrschaft der Ungerechtigkeit, der Unterdrückung und Enteignung,
die bis heute anhält und eskaliert. Wenn
dies nicht aufhört, wird die Stadt auf eine Katastrophe zugehen.“
„
Manchmal bringen die Medien etwas von den Siedleraktivitäten in Ost-Jerusalem.
Man hat dann den Eindruck von randalierenden nationalistisch-religiösen
Fanatikern, die die Behörden irgendwie
nicht kontrollieren können. Die Realität sieht ganz anders aus“, sagt Orly Noy von der „Ir Amin“- Gesellschaft („Stadt aller Völker“). „Der Staat und die
Stadtbehörden, die Regierungsministerien, die Offiziellen, die Juristen, die
Polizei sind alle direkt oder indirekt an einer
unaufhörlichen Kampagne beteiligt: so viel wie möglich an Häusern und Land den Palästinenser wegzunehmen und Siedlern
mit Hilfe von allerlei zweifelhaften legalen Tricks zu helfen, Besitz von
palästinensischen Häusern zu ergreifen. Dabei werden sie von der Polizei und
einer privaten Armee von Sicherheitsleuten, die vom Staat bezahlt werden,
beschützt. Es wird ihnen enorm großer
öffentlicher Besitz in die Hände gegeben wie
der sog. „Stadt-David-Park in Silwan. Dies ist
kein privates Unternehmen – es ist ein staatliches Unternehmen, das von der
Regierung Israels verantwortet wird.“
„Ich
danke allen für euer Kommen zu meinem 86. Geburtstag“, sagte Uri Avnery unter Gelächter. „Tatsächlich kann ich mir kein
besseres Ereignis als Geburtstagspartie vorstellen.“ Er bemerkte noch, dass Nir
Barkat der „Bürgermeister von West-Jerusalem und der
Militärgouverneur von Ost-Jerusalem ein
grausamer Tyrann für die arabische Bevölkerung ist“.
Avnery erinnerte die Demonstranten daran, dass
vor 14 Jahren genau an derselben Stelle eine Demo stattgefunden hat, wo der
verstorbene Faisal Husseini, Verantwortlicher der arabischen Gemeinde in
Jerusalem, gesagt hat, dass ein Tag kommen wird, an dem ein Jude über „Unser
Jerusalem“ sprechen wird, und Israelis und Palästinenser meint und ein Araber
über „unser Jerusalem“ sprechen wird und dabei Palästinenser und Israelis
meint.“
„Von
dieser Rede angeregt, stellten wir ein
Manifest zusammen, das 1995 von fast Tausend israelischen Persönlichkeiten aus
der Öffentlichkeit, Schriftstellern und Künstlern unterschrieben wurde,“
erinnerte sich Avnery und las den Text:
UNSER JERUSALEM
Jerusalem
gehört uns, den Israelis und Palästinensern –
Muslimen,
Christen und Juden.
Unser
Jerusalem ist ein Mosaik all dieser
Kulturen,
aller
Religionen und aller Zeiten,
Sie
bereicherten die Stadt aus der frühesten
Antike bis zum heutigen Tag
Kanaaniter
und Jebusiter und Israeliten,
Juden und Griechen, Römer und Byzantiner,
Christen
und Muslime, Araber und Mamelukken,
Osmanen
und Briten, Palästinenser und Israelis.
Sie
und alle anderen, die ihren Teil an dieser Stadt beigetragen haben,
sie
haben einen Platz in der spirituellen und physischen Landschaft Jerusalems.
Unser
Jerusalem muss vereinigt bleiben.
Offen
für alle und allen seinen Bewohnern gehören,
ohne
Grenzen und Stacheldraht in seiner Mitte.
Unser
Jerusalem muss die Hauptstadt von beiden Staaten sein,
die
neben einander in diesem Lande leben werden –
West-Jerusalem
die Hauptstadt Israels
und
Ost-Jerusalem die Hauptstadt Palästinas.
Unser
Jerusalem muss die Hauptstadt des Friedens sein.“
(Teilnehmer
und Organisatoren dieser Demo waren: die Rabbiner für Menschenrechte, Gush Shalom, Ta’ayush,
Bat Shalom, Coalition of Women for Peace,
Combattants for Peace, Yesh Gvul,
das Israelische Komitee gegen Hauszerstörungen)
(dt.
Ellen Rohlfs)