Gideon Levy, Haaretz,
21.11.08
Das israelische
Friedenslager wurde in Sünde geboren und starb wegen einer Lüge: Es wurde als
legitimer Sohn der Sünde der Besatzung geboren und starb als illegitimer Sohn
der Lüge: „es gibt keinen Partner“, mit dem wir
auf der andern Seite verhandeln können. Zwischen September 1967 und
Oktober 2000 verbrachte es 33 Jahre mit
einem tapferen und entschlossenen Kampf einer Minderheit gegen eine Mehrheit,
„Verräter“ gegen „Patrioten“, „Schänder Israels“ gegen „Lovers of Israel“ ,
David gegen Goliath. Heute müssen wir schmerzlich zugeben, dass es ein Kampf
war, der nicht viel erreicht hat.
Das Friedenslager
wurde durch ein kleines Inserat geboren – einem Statement mit den
Unterschriften von einem Dutzend kaum bekannter Leute. Es richtete sich an die
allgemeine Öffentlichkeit und dann begann es langsam dahin zu siechen und
keiner betrauerte es. Seit dem liegen
seine traurigen Überbleibsel auf öffentlichen Plätzen, auf denen es keine
Demonstranten gibt, auf Straßen, in denen nicht gekämpft wird und im
öffentliche Diskurs, der keine neue Ideen hat
Gelegentlich hört
man einen verzweifelten und sterbenden Seufzer aus der Richtung einer Gruppe,
einer entschlossenen, aber an den Rand gedrängten Gruppe z.B. in der Nähe des
Trennungszaunes in Na’alin oder in den wöchentlichen Inseraten von Gush Shalom in der
Freitagsausgabe dieser Zeitung.
Gelegentlich taucht
es in der Gestalt einer Massendemonstration auf , meist bei den irreführenden
Gedenkdemonstrationen für Yitzhak Rabin – auch mit dem Popstar Aviv Geven und Ninet – oder bei
allgemeinen Meinungsumfragen, bei der die Mehrheit behauptet, seine Position
einzunehmen. Aber die vorläufige Bilanz der Geschichte ist klar und scharf wie
eine Rasierklinge: die Besatzung, die Siedlungen, die Schlägertypen der Polizei
und die Brutalität haben über alles andere gesiegt. Nie haben so viele Menschen
gesagt, wir müssen dem ein Ende setzen, und nie haben
so wenig etwas dagegen getan.
Das israelische
Besatzungsunternehmen war nie so florierend, das die ganze israelische
Gesellschaft wie in einem Strudel hochreißt, dazu eine riesige Armee von
Siedlern, Geheimagenten, Soldaten, Juristen, Journalisten, Politiker, Richter,
Ärzte, Ingenieure, Bauherren, Architekten, Industrieleute, Künstler,
Archäologen und durchschnittliche apathische Bürger. Jeder, absolut jeder, ist
mit darin verwickelt. Sie reden über Frieden und machen Krieg; sie sind gegen die
Siedlungen, doch beteiligen sich an
ihrem Bau; reden von „Zwei-Staaten“, stimmen aber für Likud; schließen ihre
Augen, verbergen ihre Gesichter und wickeln sich selbst in die gefährlichste
Decke ein: in die Decke der Apathie.
Ich überfliege die
vergilbten Seiten von Haaretz vom September 1967. Das
Inserat, in dem es um die Gründung des Friedenslagers geht, steckt zwischen
Inseraten für ein Auto, das 10849 Lira kostet und einer garantierten „Orginal-Schlüsselkette“
für jeden, der ein Paket Diplomat-Rasierklingen
kauft, neben der Todesanzeige einer neuro-psychatrischen
Gesellschaft, die um ein Mitglied trauert. Ein Dutzend Mitglieder der Matzpen-Bewegung, die
Außenseiter, exkommuniziert und verfolgt waren, setzten das Inserat drei
Monate nach Ende des 6-Tage-Kriegs in
die Zeitung. Auf der Höhe der nationalistischen Orgie und den religiösen
Feiern, die uns damals beherrschten, kam der erste Ruf: „Verlasst die besetzen
Gebiete sofort!“
Alles, was die
Anzeige vorausgesagt hat, über messianische Besatzung, den Terror und
Unterdrückung, die daraus hervorgehen und die Tatsache, dass wir eine Nation
werden, die „aus Mördern und Ermordeten“ besteht, ist eine allgemeine Wahrheit, die von der Masse, dem Mainstream geteilt wird, und allgemeiner, unklarer Konsens
ist. Selbst Ehud Olmert und
Ariel Sharon würden darin
übereinstimmen. Aber nun sind wir überraschender und katastrophaler Weise heute
an dem Punkt, wie es das berühmte Gedicht von
Chaim Nahman Bialik sagt: die Sonne scheint, die Akazien blühen und der Schlächter
schlachtet weiter.
Am Ende von Camp
David, als uns gesagt wurde „es gibt keinen Partner“, verbreitete Ehud Barak eine noch größere
Lüge: dass wir ein Friedenslager haben. Wie angenehm ist es doch, so zu tun, als hätten wir eines und wie
deprimierend ist es, zu wissen, dass wir keines haben. Da gibt es keine Linke –
es sind nur leere Worte. Wenn es sich in
der einzigen Demonstration der Stadt nur
um Stipendien für Studenten dreht, wenn
sich das einzige Gespräch in Stadt und Dorf nur um „Big Brother“, eine TV-Show, dreht und
die lautesten Protestschreie gegen „Korruption“ gerichtet sind und gegen Olmerts
häufige Flüge (in die USA), statt gegen verhaftete, blutende und geschlagene
Palästinenser, die keinen einzigen normalen Tag in ihrem Leben haben – dann
sind wir sicher, dass es im Jahr 2008 in Israel
kein Friedenslager gibt.
Vielleicht gab es
nie eines? Vielleicht ein Lager, das allein dadurch mit unglaublicher
Leichtigkeit beseitigt wurde,
indem ihm gesagt wurde, es gebe keinen Partner. In dem Augenblick, als dieses
Lager Zeuge von Terrorismus wurde – was Kampf für all jede bedeutet, die
Freiheit suchen - schloss es sich zu
Hause ein, um die nächste Pauschalreise zu planen und eine TV-Show anzusehen,
aus Angst, Stillschweigen, Enttäuschung und kranker Apathie – während nur eine
halbe Stunde entfernt die grausame Besatzung weitergeht. Sie ist heute viel
grausamer, als sie damals war, als ein Dutzend Matzpen-Mitglieder
den öffentlichen Aufruf druckten, eine Stimme, die in der Wüste schreit, in der
unproduktiven Wüste der israelischen Linken und in der israelischen
Gesellschaft als Ganzes.
Der Terminus „Linke“
und der Ausdruck „Friedenslager“ müssen aus dem
hebräischen Wörterbuch gestrichen werden. Wir haben nicht mehr das
Recht, sie zu benützen. Ganz gleich in welchem Zusammenhang.
(dt. Ellen Rohlfs)