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An Gaza denken?

 

Gideon Levy, Haaretz, 19.4.09

 

Alyan Abu-Aun liegt  in seinem Zelt, die Krücken liegen neben ihm. Er raucht Zigaretten und starrt im winzigen Zelt ins Leere. Sein kleiner Sohn sitzt auf ihm. Zehn Leute drängen sich im Zelt zusammen, das die Größe eines kleinen Zimmers hat. Seit drei Monaten ist dies ihr Zuhause. Nichts blieb von ihrem früheren Heim, das die IDF während der Operation „Cast Lead“ bombardierten. Sie sind nun zum zweiten Mal Flüchtlinge: Abu-Auns Mutter erinnert sich noch an ihr Zuhause in Simsim, einem Ort in der Nähe von Ashkalon.

 

Abu-Aun wurde verwundet, als er zu fliehen versuchte, als sein Haus in Beit Lahia bombardiert wurde. Seitdem muss er mit Krücken gehen. Während  der Krieg in vollem Gange war, gebar sie ein Kind, das nun mit im kalten Zelt liegt. Während eines Sturmes flog das Zelt weg. Die Familie musste es neu aufrichten. Wasser erhalten sie nur gelegentlich in einem Behälter und ein winziger Blechschuppen dient als WC für 100 Familien in diesem neuen Flüchtlingslager, Gaza-Lager in Beit Lahias Al-Atatra-Ortsteil.

Abu-Aun ist dieses  Wochenende besonders bitter; das Rote Kreuz verweigerte der Familie ein größeres Zelt. Er hat auch genug vom Bohnen essen.

 

Seit drei Monaten leben die Abu Aun-Familie und Tausende andere in fünf Zeltlagern, die nach dem Krieg gebaut wurden. Sie haben noch nicht damit angefangen, die Ruinen ihrer Häuser  wegzuräumen, geschweige denn neue aufzubauen. Tausende leben neben den Ruinen ihrer Häuser, Tausende in Zelten, Tausende zusammengedrängt bei Verwandten, Zehntausende, die neu obdachlos geworden sind und  an denen die Welt ihr Interesse verloren hat. Nach der Konferenz der Geberstaaten, die mit großem Getöse  vor anderthalb Monaten zusammengerufen wurde und die 75 Länder einschloss,  beschlossen sie eine Milliarde Dollar zum Wiederaufbau zu geben. Seitdem geschah nichts.

 

Gaza wird belagert. Es gibt kein Baumaterial. Israel und die Welt stellen Bedingungen. Die Palästinenser sind nicht in der Lage eine Einheitsregierung zu bilden, die notwendig wäre. Von  Geld und Beton ist nirgendwo etwas  zu sehen. Und die Abu-Aun Familie muss weiter im Zelt wohnen. Selbst die von den US versprochenen $900 Millionen stecken irgendwo in der Registrierkasse. Es ist zweifelhaft, ob es je herausgenommen wird. Amerikas Versprechen  !!

Es ist genau drei Monate  seit dem Krieg, über den man viel gesprochen hat – und nun ist Gaza wieder vergessen. Israel hat nie Interesse an seinen Opfern. Nun hat  auch die Welt sie vergessen. Zwei Wochen mit kaum einer Qassam-Rakete hat Gaza von der Agenda genommen. Wenn die Gazaer sich nicht beeilen und das Abfeuern wieder aufnehmen, wird sich keiner für ihr Wohlergehen interessieren. Obwohl dies nicht neu ist, ist dies eine besonders schwer wiegende und betrübliche Botschaft, die  die nächste Gewaltspirale veranlassen könnte. Und dann wird es sicher sein, dass sie keine Hilfe bekommen, weil sie erschossen werden.

Irgendjemand muss die Verantwortung für das Schicksal der Abu-Aun-Familie und die anderen Opfer wie sie übernehmen. Wenn sie bei einem Erdbeben verletzt worden wären, dann hätte die Welt wahrscheinlich längst geholfen. Selbst Israel hätte schnell Hilfskonvois  von ZAKA, dem Roten Davidstern oder  sogar die IDF entsandt. Aber die Abu-Aun-Familie wurde nicht durch eine Naturkatastrophe verletzt, sondern durch die Hände, Fleisch und Blut - ‚Israel –made’ – und das nicht zum ersten Mal. Die Antwort: keine Wiedergutmachung, keine Hilfe, keine Rehabilitierung. Israel und die Welt sind zu sehr damit beschäftigt, Gaza wieder aufzubauen. Sie sind sprachlos geworden. An Gaza denken?

Aus den Ruinen der Abu-Aun-Familie wächst neue Verzweiflung. Sie ist noch bitterer als die vorherige. Eine anständige  achtköpfige Familie ist zerstört worden – physisch und psychisch und die Welt steht abseits. Wir sollten von Israel nicht erwarten, dass es seine Opfer entschädigt oder die Ruinen, die es verursacht hat, wieder aufbaut, obwohl genau dies in seinem Interesse wäre, geschweige denn in seiner moralischen Verpflichtung – doch über diese Thema wird nicht gesprochen.

 

Wieder muss die Welt Israels Schweinerei in Ordnung bringen. Israel stellt aber immer mehr Bedingungen, um humanitäre Nothilfe zu leisten. Es sind leere Entschuldigungen, um Gaza in Ruinen zu lassen und keine Hilfe anzubieten, die Gaza  verzweifelt benötigt. Gaza ist wieder sich selbst überlassen und  die Abu-Aun Familie in ihrem Zelt. Und wenn die Feindseligkeiten wieder beginnen, dann wird uns noch einmal von der Grausamkeit und der Brutalität  .. der Palästinenser erzählt werden,

 

(dt. Ellen Rohlfs)