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Beseitigte Gerechtigkeit
Gideon
Levy, 2.4.09
Jeder, der sich sorgenvolle Gedanken um die
Rechtsstaatlichkeit und das moralische Image Israels macht und beunruhigt ist,
dass seine Soldaten im Gazakrieg Kriegsverbrechen
begangen haben, kann nun erleichtert aufatmen. Der militärische Generalanwalt
Brig. General Avichai Mendelblit
gab die Order, die Untersuchung der Aussagen der Soldaten über ihre Erfahrungen
in der Operation Cast Lead einzustellen. Eine Blitzoperation
unmittelbarer Justiz beerdigte eine Geschichte, die die Welt erschütterte. Es gibt Richter in
Jerusalem und einen militärischen Generalanwalt in Tel Aviv. Alles, was sie
benötigten, waren ein, zwei Tage –
palästinensische Zeugenaussagen wurden als unnötig erachtet. Es gab
keine wirkliche Untersuchung – der Fall wurde sofort ad acta gelegt.
Mendelblits
effektives und skandalös schnelles Verhalten
beweist zweifellos, was jeder schon wusste: sein Büro ist eine
Propagandamaschine, ein Teil der IDF-Informations-aktivitäten.
Es hat dasselbe Verhältnis zur Justiz wie Militärmärsche zur Musik – um mit einem Zitat des französischen
Staatsmannes Georges Clemenceau zu reden.
Man kann sich wirklich
nicht vorstellen, dass die IDF bei sich selbst Ermittlungen anstellen. Sie haben nicht die geringste Absicht, dies zu
tun. Genau wie auch die Polizei Verdächtigungen bei Polizisten nicht nachgeht, so wird auch die IDF
Beschuldigungen gegen ihre Soldaten nicht
untersuchen. Die IDF mag also eine Körperschaft sein, die der
Polizeiuntersuchungs-Abteilung des Justizministeriums ähnlich ist. Nur ein unabhängiges juristisches System kann
die schweren Vorwürfe untersuchen, die sich nach der verheerenden Verwüstung
und dem (vielfachen) Tod im Gazastreifen
erheben.
Während die halbe Welt noch Erkundungen über
Verdächtigungen von Kriegsverbrechen einzieht - die Anwendung von weißem
Phosphor gegenüber Zivilisten, die
unverhältnismäßige Zerstörung, die Angriffe auf Ambulanzwagen und
UNRWA-Einrichtungen - hat der militärische Generalanwalt sein
Urteil gesprochen: Die Aussagen der Soldaten würden auf ‚Gerüchten’ beruhen. In
andern Worten, sie haben gelogen. Unsere Armee ist tadellos, und unsere Waffen
sind ‚reine Waffen’. Mendelblit erfreute damit seine Vorgesetzen.
Der Ankläger wurde zum Advokaten, der
Untersuchungsbeamte deckte seine Verdächtigungen.
Es ist auch gar nichts
anderes erwartet worden. Von dem Tag an, als der militärische Generalanwalt
verkündete, dass nicht wie während der 1. Intifada jedes Töten untersucht
werden würde, war die Kampfethik verurteilt worden. Als dem Töten von 4747
Palästinensern während der 2. Intifada –
nach B’tselem
942 von ihnen Frauen und Kinder –
30 Anklagen folgten und nur 5 Verurteilungen und nur eine Gefängnisstrafe
von beträchtlicher Länge, senden die IDF eine klare Botschaft: das Töten von Palästinensern
ist kein Anliegen des militärischen
Justizsystems.
Die Botschaft an die
Soldaten ist genau so eindeutig: töte, so viel es dir Spaß macht, es geschieht
dir nichts. Die Armee interessiert sich nicht dafür. Jetzt nach 1300 (1435) Toten im Gazastreifen bestätigt
der militärische Generalanwalt diese Politik. Jeder, der von deer
Rechtsstaatlichkeit in Israel überzeugt ist, sollte von solch
einer überstürzten Entscheidung
geschockt sein - nur unsere Armee von Anwälten sind
mit anderen Dingen beschäftigt.
Wenn die IDF wirklich ein
unabhängiges Justizsystem hätte, dann würde es wohl das erste sein, das zu
untersuchen, was im Gazastreifen geschehen ist. Wenn die Armee sich wirklich
Sorgen um die Moral ihrer Soldaten machen würde, dann hätte die Geschichte
nicht auf Haaretz gewartet. Aber die IDF wollte keine
Untersuchung und der militärische Generalanwalt tat das, was er sagte. Mendelblits Entscheidung öffnete die Türe weit für den Rest
der Welt . Aus Mangel an wirklichen Untersuchungen in
Israel, müssen internationale Institutionen untersuchen, was im Gazastreifen
geschehen ist, und wem die Schuld zu geben ist. Was die israelischen
Unterstützer der Rechtsstaatlichkeit betrifft, die keine rechtliche Hilfe
bekommen, so haben sie das Recht und die Pflicht, zu einer internationalen Untersuchung aufzurufen.
Ja, auch in Israel gibt es
Leute, die über das beunruhigt sind, was im Gazastreifen vor sich ging. Aber
die Entscheidungen des militärischen Generalanwalt gehen weit über die „Killing fields“ hinaus. Jeder, der denkt, dass Israels Image
als Rechtsstaat sich nur auf den Obersten Gerichtshof in Jerusalem
gründet, irrt sich sehr. Mandelblit bestimmt unser Image nicht weniger als der
Präsident des Obersten Gerichtshofs, Dorit Beinisch.
Außerdem machen einige der Stipendiaten des mangelhaften und unredlichen
militärischen Justizsystems im zivilen Justizsystem weiter und kontaminieren es
mit denselben defekten Werten der IDF.
Israel kann nicht als Rechtsstaat angesehen werden, wenn sein
Hinterhof von dieser absurden Show
besetzt ist, die sich militärisches Rechtssystem nennt. Nur wenn dieses vom
Militär getrennt wird und ein ziviles Justizsystem die Armee untersucht, werden
wir wissen, dass wir eine Armee und einen
Staat haben, die sich nach Gesetzen
richtet. Bis dahin können wir nur nach Den Haag schauen.
(dt. Ellen Rohlfs)