Auf dem Weg nach Gaza (II)- Edith Lutz
Fünf Wochen
sind seit meinem letzten Versuch, über Rafah nach Gaza zu gelangen, vergangen.
Eigentlich wollte ich schon eher wiederkommen. Ich wartete auf ein
Antwortschreiben aus dem Auswärtigen Amt. Hier bat ich um die Aushändigung
eines Empfehlungsschreibens. Ein solches Schreiben hat es Bürgern anderer
Staaten ermöglicht, nach Gaza einzureisen.
12.4.
Ostersonntag-Abend
Aufbruch
zum Flughafen Köln-Bonn. Es ist noch Pessach, die Grenzen vermutlich wie
gewöhnlich an Festtagen geschlossen, aber bis ich in Rafah eintreffe, ist die
Festzeit vorbei.
13.4.
Montag
Ankunft in
Kairo. Der Beamte an der Passkontrolle fragt nicht nach meinen Reisemotiven.
Einer jungen Mutter und ihren zwei kleinen Kindern wurde vor drei Tagen die
Einreise verweigert, weil sie angab, ihr Heimatland Gaza besuchen zu wollen.
Sie wurde zurück in die USA deportiert. Ich kenne jetzt den Weg nach Arish gut,
ohne für ein teures Taxi bezahlen zu müssen. Im Hotel werde ich freundlich
begrüßt. Hier stehen tatsächlich alle meine Sachen noch, die ich bei meiner
Abreise vor fünf Wochen zurück gelassen hatte, sorgfältig mit Namensschildchen
versehen.
14.4.
Dienstag
Vollgepackt
– es sind noch drei Taschen hinzugekommen – warte ich am Straßenrand auf ein
Taxi, das mich zum Busbahnhof bringt. Von hier aus geht es mit dem Servicetaxi
direkt zur Grenzstation von Rafah. Dieses Mal werden wir an den vielen
Kontrollposten nicht angehalten, die Stimmung ist entspannter als zur Zeit des
englischen Konvois. Ich stelle alle Sachen aus dem Kofferraum an den
Straßenrand und eile an das Eingangstor. Einen Polizisten höre ich hinter mir
dem Fahrer zurufen, „geschlossen“, und er beginnt auch schon, alle Sachen
wieder einzuladen. Aber ich habe mehrere Empfehlungsschreiben verschiedener
Organisationen bei mir, die müssen geprüft werden, ich bleibe also hier, der
Fahrer muss die Sachen wieder ausladen. Die sieben Mitreisenden im Taxi wollten eigentlich schon
an ihrem Bestimmungsort in Rafah sein, keine Beschwerde, kein Klagen über den
Umweg mit Verzögerung. Man bittet mich, in der Cafeteria zu warten, for
security check. Das bedeutet, schon eine Sprosse auf der Erfolgsleiter weiter
als beim letzten Versuch vor fünf Wochen. Vielleicht helfen die Empfehlungsschreiben
der IPPNW, der Generaldelegation Palästinas und die Bescheinigung des Roten
Kreuzes. Es ist relativ leer dieses Mal in der Cafeteria, ich sehe keine
Internationals trotz des Aufrufs von „International Movement to Open the Border
of Rafah“.
Eine
palästinensische Familie setzt sich zu mir an den Tisch. Fatima ist mit ihrer
Tochter Amal hier. Sie soll in Gaza verheiratet werden, dort lebt Fatimas
Großfamilie. Heute wohnt sie in
Ramallah, nur wenige Stunden von hier. Aber Fatima, Amal und der kleine
Marwan mussten, um hierher zu kommen,
zunächst einmal den Jordan überqueren, durch die jordanische Wüste reisen, auf
ein Schiff umsteigen, um durch das Rote Meer nach Ägypten zu gelangen. Dann
passierten sie den Sinai und warten jetzt hier seit drei Wochen mit Koffern und
Aussteuerpaketen auf Einlass. Das Geld für Übernachtungen im Hotel ist ihnen
schon längst ausgegangen. Abraham sprach zu seinem Knecht, „dass du ziehest in
mein Vaterland und zu meiner Verwandtschaft und nehmest meinem Sohn Isaac dort eine
Frau.“ Die männlichen Protagonisten in der biblischen Erzählung waren besser
begütert, auch störten keine politischen
Hindernisse ihre Absicht. Mir fällt Saed ein, der schon lange
sehnsüchtig wartet, dass seine Braut aus Amerika zu ihm nach Gaza reisen kann.
Die Behinderung der Partnersuche verursacht ein Leid, das von der
Leidensstatistik kaum erkannt wird.
Fatima
ist Lehrerin, hat an der Birzeit-Universität Arabisch und Englisch studiert.
Sie hilft mir, Mustafa besser zu verstehen, der nur arabisch spricht. Mustafa
arbeitet in der Cafeteria, und er kennt
mich noch gut von meinem letzten Besuch. Er möchte wissen, wie viel Geld er
bezahlen muss, um eine deutsche Frau zu heiraten. Ahmed scheint kein besseres
Leben in Deutschland zu suchen. Er fragt, wie alt ich bin, „sittun“, und zeige
auf meine silbergrauen Haare. Mustafa hat vier Frauen, erklärt Fatima, er
fragt, ob du seine fünfte werden möchtest. Mustafa nickt erwartungsvoll, er hat viele Kinder für
mich. Danke, danke, die eigenen großzuziehen, ist völlig ausreichend gewesen.
Ein
junger Palästinenser, der ebenfalls nach Gaza will, verkündet eine Neuigkeit:
zwischen drei und vier soll die Grenze geöffnet werden. ‚In-sha’l-lah,
kommentiert Fatima. Sie weiß, wie viel Verlass auf solche Prognosen zu geben
ist. Der kleine Marwan wird hörbar
ungeduldig, die Milchpulverflasche kann ihn nicht mehr beruhigen. Es wird
ungemütlich hier auf der Terrasse. Ein rettender Einfall: die Seifenblasen in
meinem Koffer für Kinder in Gaza.
Eine
junge Dame am Officefenster zum Grenzeingang zieht meine Aufmerksamkeit an. Sie
redet lange mit dem Beamten hinter der Glasscheibe, hat ihm auch schlauerweise
ein Erfrischungsgetränk mitgebracht Ob sie reinkommt? Ich sollte mich
vielleicht auch noch mal bemerkbar machen. Ich frage am Eingangstor nach. Ten
minutes, ( wenn kein Konvoi erwartet wird, kann man sogar ein paar Brocken
Englisch) sit down. „Sit down“ heißt übersetzt in Ägypten so viel wie ‚lass
mich in Ruhe’. Ich gehe einmal im Kreis und geselle mich zu der neuen Antragstellerin.
Sie ist aus Kalifornien. Sie hat ein Empfehlungsschreiben ihrer Regierung. Ja,
man habe ihr gesagt, nach Überprüfung durch den Sicherheitscheck könne sie
passieren. Und was ist mit mir, wann kann ich nach Gaza? „Morgen vielleicht,
oder nächste Woche, nächsten Monat, wer weiß“, der Beamte hebt gestikulierend
die Schulter, die Mimik verrät wenig Anteilnahme, Gewohnheit? Sein Kollege
kommentiert sachlicher und etwas mitfühlender, „security office sagt no.
Deutsche Botschaft muss schicken paper to security office. Frag selber, frag
security office. Ich lasse mir den Namen auf arabisch aufschreiben und mache
mich auf den Weg nach Rafah. 5 km in der Hitze? Zum Glück hält ein Auto, hamdu
l-illa. Der Fahrer hilft mir, die richtige Adresse zu finden. Leider die falsche, aber eine Adresse, an der
jemand Englisch versteht. Das Hauptgebäude befindet sich im Ortsteil Safah.
Eine Traube Schulkinder begleitet mich,
die Traube vergrößert sich rapide, der Dorfpolizist stößt dazu, verlangt
meinen Pass und führt mich zum etwas abseits gelegenen Sicherheitsgebäude. Die
Wachtposten und ein herbeigekommener Angestellter erklären, sie können mir
keinen Einlass gewähren, ich müsse zu meiner Botschaft nach Kairo fahren, ein
Empfehlungsschreiben holen. Das ist mir ein bisschen zu weit und außerdem, der
Grenzbeamte gab mir den Hinweis, hier, hier vorzusprechen. Der Angestellte
nimmt meine Papiere und geht in den – für Rafah – repräsentativen Bau. Nach
etwa 15 Min kehrt er zurück und spricht mit meinem Polizisten sehr lange arabisch.
Ich spüre, ich werde ernst genommen, man diskutiert. Frankreich und Deutschland
geben keine Empfehlungsschreiben, meine ich zu verstehen. Die Aussage deckt
sich mit meiner eigenen Beobachtung vor fünf Wochen, als viele Internationals
sich vor der Grenze trafen. Besucher aus den USA und Italien, auch diese Namen
fallen hier im Gespräch der ägyptischen
Bediensteten, erfahren den geringsten Widerstand, reinzukommen. Mich überkommt
eine mächtige Wut auf das Außenministerium und das Auswärtige Amt. Ihr Diener
des Pharao, warum seid ihr nicht mutiger? „Fahr zurück zum Hotel“, sagt der
Polizist zu mir, sie können die Botschaft anrufen, sie sollen Fax schicken. Ich
versuche meinen Gesprächspartnern klar zu machen, ein Telefon muss es doch auch
hier geben, hier in diesem Gebäude. Aber zum Inneren des Gebäudes bleibt mir
der Zutritt verwehrt, eine Aura der Unberührbarkeit haftet diesem Gebäude an.
Komm, sagt der Polizist, relax. An der Hauptstraße trennen wir uns Er zeigt mir
noch das Gebäude, in dem man telefonieren kann. Fehlanzeige. Vielleicht kann
mir der englischsprachige Beamte von vorhin aus dem was-weiß-ich-für ein-office
weiterhelfen. Ja, er telefoniert für mich – zum Hauptbüro, bis nach Kairo geht
die Leitung nicht. Er gibt mir die gleiche Antwort: deutsche Botschaft. Das
Internetcafe, an dem ich eben vorbeigekommen bin, hier könnte es eine
Möglichkeit zu telefonieren geben. Ich versuche beides, durch mail und
Telefongespräch die Botschaft zu erreichen. Alle PCs besetzt mit spielenden
Kindern, eine Seuche. Einer wird für mich freigemacht. Der Besitzer überlässt
mir sein Privattelefon. Ich erreiche nach mehreren Fehlversuchen den
Eingangsservice der Botschaft, man will verbinden, ich warte lange, die
Verbindung bricht ab. Ich beschließe, an der Grenze meinen Rucksack zu holen
und nach Arish zurückzufahren. Ich bekomme eine Dose Cola zum Abschied
geschenkt. Mit der Dose in der Hand winke ich am Straßenrand nach einem Auto.
Mit tausend Dank nimmt der Fahrer meine Coladose an. Er hat Durst, darum hat er
wohl angehalten Er muss mich kurz vor der Grenze absetzen, er ist
Grenzbediensteter und darf mich nicht mitnehmen. Keiner der Wartenden ist mehr
an der Grenze, viele Angestellte, die auf den ankommenden Bus warten. Ich gebe
dem Fahrer ein Zeichen, dass ich auch mit will, mache noch einen letzten
Durchgangsversuch bei den Grenzbeamten, vergeblich, eile meine notwendigsten
Sachen aus der Cafeteria zu holen, der Busfahrer hupt, die Männer haben es
eilig, nach Hause zu kommen. Im Internetschuppen schreibe ich nochmals die
Botschaft an.
Mein
Hotel ist belegt, ich finde ein anderes preiswertes in der Nähe. Ein Sandsturm
kommt auf, fegt auch durch das Hotel. Auf mein Abendessen am Strand muss ich
verzichten. In der Cafeteria gleich nebenan bin ich der einzige Gast. Vor fünf
Wochen saßen und standen wir hier zu Hunderten. Erinnerungen an den
Konvoi aus England.
15.4.
Mittwoch
Trotz
Vereinbarung um 9 Uhr zu öffnen, ist das Internetcafé geschlossen. Um elf
klingele ich an der Privatwohnung nebenan, eine Minute später öffnet Ahmed
gähnend seinen Internetschuppen. Es ist noch keine Nachricht von der Botschaft
da, ich schreibe nochmals einen Eilbrief. 30 Minuten später trifft Nachricht
ein:
Auf Weisung des Auswärtigen
Amtes können Bescheinigungen zur Unterstützung der Einreise in den
Gaza-Streifen nur noch in besonderen Ausnahmefällen ausgestellt werden. Bitte
übersenden Sie zwecks Prüfung Ihres Anliegens die erwähnten
Empfehlungsschreiben sowie eine Kopie Ihres Passes an die Faxnummer der
Botschaft.
Ich faxe
die Empfehlungsschreiben, benachrichtige die Bearbeiterin über die
elektronische Post. Den Nachmittag verbringe ich an der Grenze in der
Cafeteria. Mustafa feilscht mit mir um den Preis der Aufbewahrung meiner
Gepäckgegenstände. Ich lasse mir einen Kaffee bringen. Mustafa setzt sich
hinzu. Ich verstehe ihn nicht, er nimmt das Lexikon, schlägt den
deutschsprachigen Teil auf. Hier, einchecken, du. Meint er Gaza?
Vermutlich nicht. Zeige ihm den arabischen Teil. Mustafa sucht lange. Ahawah.
„I love you“, jetzt fällt’s ihm wieder ein. „Ich dein Mann“. La, nein, ich
zeige auf meinen Ring, ich habe einen Mann. Ahmed lässt nicht locker mit
werbenden Worten, die ich nur ungenügend verstehe. Er wird gestört von
neugierigen Kindern, er scheucht sie wütend weg, er ist bei einem wichtigen Geschäft.
„In Deutschland verboten“ . Wie kann ich noch meine Ablehnung begründen, er
lässt nicht locker. Die Getränkelieferung, meine Erlösung! Mustafa wird wütend
um Mithilfe gerufen. Er kommt noch einmal an meinen Tisch, finished? Yes,
finished.
15.30,
kurz bevor der Dienstbus ankommt, letzter Einlassversuch: No. Warte auf dem
Vorplatz. Das Fenster des wichtigen Office öffnet sich, ein Beamter ruft mich
zu sich, Hoffnung keimt auf. „You are not allowed to wait here, Madam“ (wie gut
man Englisch kann) „Ich weiß, ich warte nur auf den Bus“. Das Fenster schließt
sich wieder.
Der
Internetschuppen ist wieder geschlossen, ich klingele. Es ist noch keine Post
von der Botschaft angekommen. Bei Ahmed kann ich telefonieren. Die Botschaft
ist nicht mehr besetzt. Die palästinensische Botschaft, ob ich dort hinfahren
soll, morgen ist für Muslime Samstag? Auch dort nur der Anrufbeantworter.
Auf
dem Weg zu meinem Strandrestaurant ein Stern Davids, eine Straßenzeichnung,
arabische Schriftzeichen daneben. Ich versuche sie zu entziffern. Kinder kommen
hinzu, helfen mir. „Tod Israel“. Sie sehen mich erwartungsvoll an, „yes or no“?
Was antworten? Salam, nur salam. Die Kinder scheinen enttäuscht.
16.4.
Donnerstag
In meinem
Postfach noch immer keine Nachricht von der Botschaft. Ich rufe an, die
Faxpapiere sind nicht angekommen sie will in anderen Abteilungen nachsehen. Die
Bearbeiterin gibt mir nur wenig Hoffnung, dass sie das gewünschte Schreiben
ausstellen kann.
Ein
weiterer Besuch im Internet. Nachricht trifft von der Botschaft ein: die
Faxsendungen konnten nicht gefunden werden. Wir senden sie noch einmal. Ich
mache mich auf den Weg in die Innenstadt, auf der linken Straßenseite fällt mir
das Gebäude des Roten Halbmonds auf. Ich gehe hinein, lerne Dr. Sirag kennen,
er hat in deutschen Krankenhäusern gearbeitet. „Kommen Sie heute Abend um neun,
dann können wir miteinander reden“.
Um neun ist
auch Omar anwesend, die Seele des Roten Halbmonds in Arish. Omar telefoniert
mit Arafat, (Arafat?) Vice-Konsul der Palästinensischen Vertretung in Kairo. Er
weilt zurzeit in ElArish und wird morgen Mittag im Red Crescent erwartet. „Er
soll uns helfen, Güter nach Gaza zu schaffen.“ Auch der Rote Halbmond kommt nur
schwer nach Gaza hinein. „Sie brauchen dringend Mehl“. Gefüllte Container warten
schon seit langem auf Einlass. Omar spricht auch mein Anliegen an, er hat meinen
palästinensischen Pass und mein Empfehlungsschreiben von der Generaldelegation
vor sich liegen. Er berichtet vom Gespräch, Dr. Sirag übersetzt: Pass von
Hanije – ich weiß schon, der gefällt ihm nicht
Er empfiehlt mir, mich an die deutsche Botschaft zu wenden. Aber komm
morgen um eins, dann kannst du selber mit ihm reden, vielleicht, ...’in
sha’al-lah ...
17.4.
Freitag
Ich warte
am Eingang des Roten Halbmonds auf Dr. Sirag. Er trifft wegen des muslimischen
Sonntags etwas später ein. Auf keinen Fall würde er der Palästinensischen
Vertretung den Pass zeigen, er wird möglicherweise einkassiert. Mr Arafat ist
noch nicht erschienen, ich drehe eine kleine Runde. Eine Stunde später ist er
immer noch nicht da. Omar versucht, mit ihm zu telefonieren, keiner antwortet.
„Fahr nach Kairo zur Deutschen Botschaft“.
18.4.
Samstag
Ich werde
heute schon nach Kairo fahren, um morgen die Öffnungszeit von 8-11 nicht zu
verpassen. Den Vormittag verbringe ich am Strand, hier ist die Luft gesünder
als in Kairo. Ich kenne ein preiswertes Hostel in der Innenstadt, aber welche
Metrostation? Ich bekomme die falsche Auskunft, fahre einige Stationen wieder
zurück. Nie sagen sie, „I don’t know“, sie geben dir irgendeine Auskunft. Du
musst entscheiden, ob sie richtig ist.
19.4.
Sonntag
8 Uhr. Das
Taxi bringt mich nach Zamalek, einem bevorzugtem Viertel von Kairo, eine Insel
auf dem Nil. Ein schönes Gebäude, größer und schöner als andere Botschaften,
von Bäumen umgeben, eine Oase. Einen hohen Stellenwert müssen die Deutschen in
Ägypten haben. Und da soll es nicht möglich sein, dass sie sich stärker für
Gaza einsetzen? Viele Menschen warten draußen, zum Teil in Warteschlangen vor
Fensterschaltern. Vor einem der Fenster frage ich nach der Bearbeiterin meines
Antrags. „Haben Sie einen Termin?“. „Nun
ja, sie weiß, dass ich heute komme.“ Ich gebe dem Schalterbeamten meine Karte,
er telefoniert. Ich studiere derweil die Informationen an der Wand. Morgen
ist die Botschaft anlässlich des ägyptischen Frühlingsfestes geschlossen.
Gut, dass ich gestern gefahren bin. Der ägyptische Schalterbeamte reicht mir
den Hörer. Meine Gesprächspartnerin kennt meinen Fall noch nicht, sie war ein
paar Tage abwesend. Sie hat keine Faxpapiere gesehen, sie schlägt vor, die
Originale durchzureichen. „Geben Sie mir Ihre Telefonnummer, wir rufen an.
„Nein, nein, ich warte hier“. Sie gibt mir wenig Hoffnung. „Wahrscheinlich
müssen wir erst in Berlin rückfragen, und da ist heute geschlossen“. Ich reiche
den Hörer wieder dem Schalterbeamen. Er wird zunehmend freundlicher. Nach einer
Weile kommt die Rückmeldung: „Sie möchten warten“. Das hört sich positiv an.
Ich setze mich auf einen der Steinblöcke vor der Botschaft. Viele junge Paare
um mich herum, der männliche Teil meist ägyptisch, der weibliche deutsch. Um
12.30 kommt ein Angestellter der Botschaft heraus, „ Wir möchten Sie bitten, um
15 Uhr wiederzukommen, bis dahin werden wir die Entscheidung vorliegen haben.“
Ich nehme an, Sie korrespondieren mit dem Security Office, ich verlasse
optimistisch diese Oase.
Kurz nach
drei: „Sie möchten hereinkommen“. Die Türe wird automatisch geöffnet, ich
passiere den Röntgencheck, gehe weiter
durch in das nächste Gebäude, in das Wartezimmer. Eine Angestellte kommt, sie
hat Papiere unter dem Arm. Ja, sie möchten mir das Dokument geben, sie geht es
gleich holen, ich soll in der Zeit eine Erklärung schreiben, dass ich belehrt
worden bin. Die Belehrung, dass die Botschaft sich nicht für meine
Unversehrtheit und für meine Rückkehr aus Gaza einsetzen will. Ich schreibe
sie, erhalte das gewünschte Schreiben für den Sicherheitsdienst, Muchaberat ...
Security Office, in arabischer Sprache. Meine Personalien sind aufgeführt,
meine Passnummer, was ich in Gaza tun möchte: Ärzte besuchen, ... .Eigentlich
doch viel mehr, in einem Gespräch könnte man ... .Keine Garantie auch reinzukommen. „Haben Sie
denn mit dem Security Office gesprochen? Es hat doch sehr lange gedauert.“
Nein, sie hatten eine Besprechung. Nun ja, sie haben sich wenigstens heute noch
meines Falles angenommen. Aber hätten sie nicht noch etwas mehr tun können?
20.4.
Montag
Bevor ich
zur Grenze fahre, will ich noch einmal Dr. Sirag aufsuchen, ihm berichten. Ich
weiß nicht, ob er heute kommen wird, es ist ja Feiertag, wie ich an der
Botschaft gelesen habe, Frühlingsfest, Sham El-Nessm. Zwei Mädchen warten eine
halbe Sunde mit mir, sie geben mir die Telefonnummer von Dr. Sirag. Ich erreiche ihn nicht. Im
Internet eine Mail aus Gaza: die Grenze ist heute und morgen noch geöffnet.
Ich
zeige die Papiere dem Grenzbeamten, das Schreiben von der Botschaft zuoberst:
No. Ich gehe zu dem wichtigen „verbotenen“ Fenster, es ist ein Spalt breit
geöffnet, ich klopfe, schiebe es weiter auf. „Sir, four
days ago you told me to fetch this paper, ich bin mir nicht sicher, ob er es
war oder ein anderer, „now it’s here and again you say NO. Er nimmt mein Papier an, er will am
Security Office rückfragen, ich soll warten. Ich finde Dr. Sirags Nummer auf
dem Handy, rufe ihn an, berichte ihm, Moment, der Beamte kommt: NO. Ich reiche
ihm das Handy, lasse ihn mit Dr. Sirag sprechen. „Es geht nicht“, auch er. Bevor ich von hier abziehe, versuche ich die
letzte Karte, die ich habe, meinen palästinensischen Pass, und wenn sie ihn
auch zerrreissen. Der Beamte geht zum Boss ins Office, ich werde ans Fenster
gerufen: Identity Card? Habe ich nicht. Ich besitze nur diesen
Diplomatenausweis. Sit down, wait. Ich
warte nicht lange, ein Beamter kommt: kannst gehen. Alle Sachen schnell holen.
Mustafas Bude ist zugebaut mit Stapeln, Kisten, Reisetaschen, „ kannst du das
mitnehmen?“ Ich bitte ihn, mir erst einmal meine Sachen zu geben. Ich bekomme
sie, zum Teil lose. Ich ahne Böses, aber Hauptsache, erst einmal weg von hier.
Ein Arbeiter der Grenze kommt schon mit einem Wagen, wir laden alle fünf Teile
auf und ziehen los. Hinter der eisernen Türe eine Gepäckkontrolle. Einer der drei Beamten
durchsieht die Gepäckteile, die Sachen werden anerkennend kommentiert, der
Check hat Unterhaltungswert. Die Taschen
und der Koffer sind schon durchwühlt worden, der Koffer ist wesentlich leerer
geworden. Den Ledergürtel, mit dem drei Pakete gut verschnürt waren, hat
vielleicht Mustafa oder einer seiner Helfer gut gebrauchen können, die
Kinderschuhe werden seine vielen Kinder bekommen haben, mit denen er mich
beglücken wollte, ebenso die Süßigkeiten. Das Präsent mit den kleinen
Pralinenherzen hat vielleicht seine Lieblingsfrau bekommen. Gut, dass ich
seinen Heiratsantrag abgelehnt habe. Nach drei Gepäckanteilen ist der
Unterhaltungswert dahin, wir können weiterziehen. Betreten die Halle, passieren die Röntgengeräte, zur
Passkontrolle rechts. „Was haben Sie an Geld bei sich? Ich gebe brav Auskunft.
Ich denke an die Rückkehr aus Gaza, frage, wie lange die Grenze geöffnet
bleibt. Der Beamte ist sehr nett, „das weiß man nie, aber morgen auf jeden Fall
noch. Ich beschließe, morgen zurückzukehren, dann gibt es – voraussichtlich –
keine Schwierigkeiten und ich brauche den Flieger nicht umzubuchen. Ich könnte
schon einmal meinen Freund in Gaza anrufen, ich komme gleich, aber, - „warte,
du bist noch nicht da“.
Zum
nächsten Schalter geradeaus. Wieder eine Passkontrolle, und zwei Ägyptische
Pfund Gebühr. Ich soll warten, setze
mich zu den anderen Wartenden. Die Palästinenserin neben mir reist weiter nach
Jordanien, „Gaza schlimm“. Ihr Sohn lebt in Deutschland, ich soll ihn anrufen,
seine Frau erwartet in diesen Tagen ein Baby. Der junge Mann links neben mir
spricht etwas Deutsch. Er hat einen Studienplatz in Deutschland bekommen. Ich
gebe ihm meine Karte für den Fall, dass er Schwierigkeiten hat. Die Beamten
hinter dem Schalter rufen mich, Ihren Pass, den Pass. Den habe ich doch
abgegeben, oder, habe ich ihn zurückbekommen? Nein, sie wollen meinen
palästinensischen Personalausweis. Den habe ich nicht, nur den Pass. „You must
have an Israeli Identity card. Go back. Er macht mit seiner Hand eine Bewegung
nach rechts. Zwei Beamte stehen hier, einer hält mir meinen Pass entgegen. Why?
frage ich. Why? echot mein Gegenüber. Du musst es auf arabisch versuchen, sonst
erreichst du ihn nicht: man jakull hada, wer sagt das? „Muchabarat Al´Ama“, da
ist es wieder, das Wort, das fast so klingt wie Voldemorts Schloss.
Muchabarat, Security Office. Sie verstehen?
Ja ich verstehe, ich habe dazu gelernt. So oft ich das Wort hier höre, assoziiere ich es mit dem Sitz
eines diabolischen Geistes. Seine Hauptresidenz ist anderswo.
Wie
komme ich mit all den Sachen jetzt von hier wieder weg, ich werde ein teures
Taxi nehmen müssen. Es hält direkt an der Station des Roten Halbmonds. Dr.
Sarig und ich begrüßen uns herzlich. Ich sortiere die Sachen aus, die ich hier
lasse, es gibt sehr viel Armut auch hier. Einige Sachen bringe ich dem
Familienvater aus Gaza zurück, Ich wollte sie seinen Kindern mitbringen, die er
schon lange nicht gesehen hat. Um 9 Uhr treffe ich mich noch einmal mit Dr
Sarig. Er ist Chefarzt in einem Kairoer Krankenhaus, er wollte nach Gaza gehen,
um zu helfen, aber der Rote Halbmond brauchte ihn hier an der Grenze. Ich frage
Sarig nach dem Fest, dem Frühlingsfest, das heute überall gefeiert wurde, die
Menschen am Strand waren sehr fröhlich. Sham el Nessim ist ein sehr altes Fest,
der Ursprung für das christliche Osterfest und das jüdische Pessachfest. Es
heißt soviel wie „Einatmen der Brise“. Man atmet die neue Frühlingsluft ein.
22.4.
Mittwoch
Die Reise
„zwischen den Festen“ ist nicht vergeblich gewesen. In meinem Garten atme ich
die neue Frühlingsluft, Sham El-Nessim“. Sie wird mir Kraft geben für eine neue
Reise nach Gaza, ba-shanah ha-baah oder ba- paam ha-baah, beim nächsten
Mal – ‚in sha’l-lah.
Eine halbe
Stunde habe ich mich in Gaza aufgehalten, die Meldung auf dem Handy bestätigt
es: Marhaba. Smell the jasmine and taste the olives. Welcome to
Palestine!