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Brief
aus dem Gazastreifen, November 2008:
Liebe Jessica,
wie
sehr wünschte ich zu reisen und euch und
alle lieben Freunde zu besuchen und die Welt zu sehen, frische Luft
zu atmen und mich dabei versichern, ob es noch ein paar normale Dinge
und normale Menschen da draußen gibt.
Wie
schmerzlich ist es, immer und immer wieder zu realisieren, dass es mir und
uns und der Bevölkerung von Gaza nicht erlaubt ist, uns normal zu fühlen
und normal zu denken.
Unser
Recht auf unser Land, auf Freiheit und
Gerechtigkeit wird uns systematisch geraubt. Nun sind sie hinter unsrer
Zurechnungsfähigkeit, unserm Verstand,
her. Es ist das Ziel, auch das noch zu zerstören, was uns geblieben ist
– unsere Identität. Unsere Identität ist es, die ihnen (anscheinend) so bedrohlich ist: unsere
Menschlichkeit, unsere Verbindung zu unserer Familie und dem heiligen
Jerusalem, zu Falafeln
und der Musik von Fairuz und den Frauen, die noch
traditionelle Kleider weben und besticken.
Ich
wartete drei Monate lang auf einen Passierschein für eine medizinische Sache.
Alle Versuche scheiterten, bis Uri Hader sich damit befasste und einen Passierschein für einen Tag für mich erhielt, damit ich meinen
Arzt in Tel Aviv besuchen und dann sofort nach Amman reisen konnte, um mich
euch und der Cyperngruppe anzuschließen.
Die
Reise begann morgens um sechs. Um acht wartete ich auf der palästinensischen
Seite von Beit Hanoun/Eretz. Man darf keinen PC, keine Electronic, keine
Diskette, keinen Photoapparat, kein Radio mitnehmen.
„Öffne
deinen Koffer!“ Schrieen sie in
schlechtem Arabisch. Als die Frau vor mir in der Schlange – wir waren fünf
Patienten – noch einmal nachfragte, wurde ihr befohlen, alles aus ihrem Koffer
herauszunehmen – vor den Kameras musste sie jedes Stück Unterwäsche zeigen. Ich
kochte. „Sind wir hier denn in einer Striptease-Show?“ Ich wurde mit drei
Stunden Wartezeit bestraft und wurde mit
dem Röntgengerät drei mal durchleuchtet. Sie wussten,
dass dies nicht gut für meinen Gesundheitszustand ist – ich sagte es ihnen. Sie
sind schrecklich.
Ich
bin mir sicher, dass die Frau auf Rache sinnt. Ich hoffe, sie wird keinen
Selbstmordanschlag machen --- weil man genau das von uns wünscht. Sie wollen,
dass wir unsere Menschlichkeit und
unsern Verstand verlieren und uns in Todesmaschinen verwandeln.
Der
erste Mensch, den ich sah, war ein Rambo mit dunklen Brillengläsern und einem
Grinsen. Er trug ein schweres Maschinengewehr quer über seinem massiven Körper.
Er muss die Kraft seiner Muskeln gespürtt haben und
seine Waffe und dagegen meine Schwäche in meinem kränklichen Körper und meinen
Gehorsam gegenüber seinen Befehlen. Aber ich konnte es mir nicht verkneifen und
stellte die Frage: “Wer hat Angst?“ Denn
ich hatte keine Angst – ich war nur wütend.
Als ich auf die
israelische Seite der Grenze kam, sah
ich BBC-Korrespondenten und ein paar Journalisten, die darauf warteten, über
die Grenze gelassen zu werden. Aber seit 8 Tagen lässt man sie nicht hinüber.
Am selben Tag wurden außerdem 20 europäische Diplomaten daran gehindert, in den
Gazastreifen zu kommen. Am selben Tag entschied Israel, die
Kraftstofflieferung für Gazas einzigen
Generator zu unterbrechen und die Grenze für die UN-Nahrungsmittelhilfe zu
schließen. Am selben Tag tötete die israelische Armee vier Palästinenser im
Gazastreifen, während sie betonte, sie würde die Feuerpause einhalten.
Nach
einer langen Rundreise entschloss ich mich auf dem Nach-Hause-Weg
noch einige kleine blühende Pflanzen zu kaufen, um sie nach Hause zu bringen.
Der
Soldat schrie mich an: „Blumen sind verboten!“
Eyad El-Sarraj, Leiter
des Gaza Community Mental Health Programms
(dt. Ellen Rohlfs)