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Zeugenaussage: 12-jähriger geschlagen und mit Erwachsenen im Gefängnis

 

B’tselem, 11. 11.08   The Elektronic Intifada      http://electronicintifada.net/v2/article9949.shtml

 

Muhammad Salah Muhammad Khawajah, 12,  ist Schüler und ein Bewohner von Nilin im Distrikt Ramallah. Seine Aussage machte er gegenüber Iyad Hadad am 18. Sept. 2008 in seiner Wohnung:

Ich lebe mit meiner Familie in Nilin. Wir wohnen in der unteren Etage des Hauses, meine beiden Onkels und ihre Familien in der 1.  und meine Großmutter in der zweiten Etage.

 

Am 11. September etwa um 3 Uhr nachts wachte ich vom Schreien meiner Mutter auf. Sie schrie: „Steh auf! Steh auf! die Armee ist hier!“ Mein Vater war in dieser Nacht nicht zu Hause. Ich stand auf und ging mit ihr in den inneren Hof. Dort befanden sich 12 Soldaten, deren Gesichter schwarz bemalt waren. Einer trug einen schwarzen Hut, der sein Gesicht verdeckte. Er saß teilnahmslos draußen auf der Treppe des Hauses . Ich denke, er war ein Kollaborateur, der sie zu dem Haus geführt hat.

Die Soldaten waren auf der 1. Etage. Ich hörte, wie sie meinen Onkel baten, sie zu unserer Etage zu begleiten. Einer der Soldaten fragte: „Wo ist Mohammad?“ Und mir wurde klar, dass er nach mir fragte. Der Soldat bat meinen Onkel, mich zu rufen, was er auch tat. Ich ging auf sie zu. Zwei Soldaten packten mich und nahmen mich mit nach draußen. Mir wurde klar, dass sie mich verhaften wollten. Ich hatte Angst und begann zu schreien und rief meinen Onkel, er solle mitkommen.

Die Soldaten legten mir sehr eng Plastik-Handschellen um, die mich sehr schmerzten. Ein Soldat fasste mich von hinten am Hemd und stieß mich vorwärts. Das Hemd war mir fast über den Kopf gezogen worden, dass ich kaum atmen konnte. Ich versuchte mich zu befreien, er stieß mich zurück und zog das Hemd noch enger, dass ich fast erstickte. Ein anderer Soldat stieß mich auch und zog mich an den Haaren, als wir gingen. Ich schrie und rief nach meinem Onkel und meinem Vater. Die Soldaten schlugen mich und sagten: „Schweig!“ Sie führten mich durch eine Gasse zwischen den Häusern, wo Kakteen wachsen. Einer der Soldaten stieß mich in die Kakteen hinein. In Händen und Beinen steckten nun  kleine Dornen. Die Soldaten stießen mich weiter und schlugen auf dem ganzen Weg auf mich ein.

 

Während wir durch das Dorf gingen, warfen Kinder Steine auf die Soldaten. Ich hatte das Gefühl, als ob es Steine regnet. Die Soldaten waren  verwirrt. Einige rannten weg, die andern stießen mich noch schneller und ich fiel hin. Einer der Soldaten zog mich bäuchlings mit den gefesselten Händen auf dem Boden entlang. Der Boden war voller Steine, Kieselsteine und Dreck. Er zog mich an den Händen. Ich schrie und weinte. Er :Halt’s Maul!“ er wollte mich noch schneller ziehen, um von den Steinen wegzukommen.  Er zog mich hinter eine Mauer. Mein rechtes Knie und meine Handflächen waren verletzt und bluteten.

Einige Soldaten feuerten Tränengas in die Richtung der Steinewerfer – doch die Grante fiel in meiner Nähe und ich begann zu husten und zu weinen. Meine Augen brannten. Wir gingen weiter, die Soldaten stießen mich von hinten. Wir kamen an ein Haus im Dorf, das 400 m entfernt lag. Sie brachen einfach ein. Es war das Haus von Abd al-Rahman, 14, der  mit mir zur Schule geht. Sie verhafteten ihn und seinen Cousin Sufian, 18. Sie nahmen uns drei mit in die Mitte des Dorfes. Dort mussten wir uns mit erhobenen Händen vor einen Laden stellen. Die beiden anderen hatten auch Handschellen um. Die Soldaten schlugen uns zu Boden. Wir lagen dort und  sie traten minutenlang auf uns herum, auf den Magen und den Kopf. Dann stellten sie uns auf die Füße und trieben uns zum Dorfausgang. Hinter jedem von uns dreien lief ein Soldat, der uns an unserm Hemd packte.

Immer wieder stießen und traten uns die Soldaten. Einer der Soldaten war mir gegenüber besonders ärgerlich. Er schlug und würgte mich, als ob er mich töten wolle. Ich denke, dass einige Soldaten von den Steinen der Kinder getroffen worden waren. Ich schrie und weinte – ich hatte so viel Angst. Es war noch immer dunkel. Sie führten uns etwa 1 km bis zur nächsten Kreuzung, die zur Nili-Siedlung führt. Dort standen eine Menge Armeejeeps. Die Soldaten legten mir eine Augenbinde um und steckten mich in ein Jeep. Das war etwa eine Stunde, nachdem sie mich verhaftet hatten. Dann setzte sich der Jeep in Bewegung. Ich wusste nicht, wohin er fuhr.

Ich saß auf dem Boden des Jeep, ohne Soldaten neben mir. Nach einer halben oder einer Stunde Fahrt hielt der Jeep an. Die Soldaten nahmen mich raus. Ich konnte ein bisschen unter der Augenbinde durchsehen. Ich wusste nicht, wo ich war, aber es war eine Armeebasis. Ich sah zwei andere Jeeps hochkommen. Aus einem kam Abd al-Rachman und aus dem andere Sufian.

Dann fuhren sie uns woanders hin. Dort setzten sie uns auf Bänke und nach 10 Minuten holten sie uns in einen Raum, um uns  einen nach dem anderen zu verhören. Abd al Rahman ging als erster und sein Verhör dauerte etwa 20 Minuten. Dann ging ich in den Raum. Man nahm mir die Augenbinde ab. Ich sah einen Mann in Zivil. Er war klein und dick mit einem runden Gesicht und heller Haut. Er trug eine Kipa auf dem Kopf. Er sagte, sein Name sei Captain Sasson, und ich hörte, wie andere ihn auch so nannten.. . Er setzte mich neben seinen Tisch und stellte mir Fragen über die Kinder im Dorf. Er zeigte mir Bilder aus einem dicken Fotoalbum mit etwa 200 Fotos. Er fragte mich immer wieder über einige Kinder aus. Ich sagte ihm, dass ich sie nicht kenne. Dann hörte er mit Fragen auf und zeigte mir drei Fotos von mir, der ich  bei einer Demo gegen den Trennungszaun eine Steinschleuder hielt. Ich gab zu, dass ich das sei, aber ich blieb dabei, die andern Kinder nicht zu kennen. Dann schlug er mich mit einem Plastikstuhl in den Rücken. Ich schrie und weinte. Mit einem Holzstock schlug er zweimal gegen  meine Beine.

Ein Soldat mit einer Pistole im Gürtel befahl mir, aufzustehen und mich dem Fenster oder dem Schrank zuzuwenden. Dort stand ein Fotogerät. Er nahm ein Bild von mir. Der Verhörende sagte mir, ich solle eine Seite mit hebräischem Text mit meinem Fingerabdruck unterschreiben. Ich weiß nicht was da drin stand. Der Soldat las es mir nicht vor. Ich vermute, dass es ein Schuldbekenntnis ist. Ich musste unterschreiben, weil ich fürchtete, sie würden mich wieder schlagen. Der Verhörende nahm Abdrücke von all meinen Fingern. Dann wurden mir die Augen wieder verbunden.. Ich musste mich wieder auf die Bank vor dem Verhörraum setzen. Dann kam Sufian  für etwa eine halbe Stunde dran.

Dann kamen wir drei in einen großen Patrouillenwagen. Nach etwa einer Viertelstunde Fahrt mussten wir raus. Man nahm uns die Augenbinden ab und ich sah das Schild ‚Ofer’. Mir wurde klar, dass wir im Ofer-Gefängnis waren. Sie führten uns in einen Raum, indem man durchsucht  wird. Sie nahmen unsere Kleidung, und ein Arzt untersuchte uns. Sie gaben uns Plastikbeutel mit Hosen, einem Hemd und Gummilatschen. Sie verhafteten Sufian und steckten ihn in eine Gefängniszelle. Ein Polizist in blauer Uniform sprach mit den Soldaten. Ich verstand, dass er ihnen sagte, uns zu entlassen. Er sagte zu uns auf arabisch: „Ihr seid noch kleine Kinder und solltet entlassen werden.“

 

Sie nahmen Abd-al-Rahman und mich nach draußen und packten uns wieder in den Wagen. Unsere Hände waren immer noch gefesselt.  Nach 20 Minuten brachten sie jedem von uns einen Behälter mit Wackelpeter-Pudding. Sie nahmen uns die Handfesseln ab und ließen uns essen. Danach legten sie uns die Handschellen wieder an.

Zwei Soldaten bewachten uns im Wagen. Wir durften nicht mit einander reden. … Es war sehr heiß im Wagen und wir schwitzten sehr. Sie gaben uns nichts zu essen und zu trinken. Sie ließen uns auf die Toilette gehen, nahmen die Handschellen ab und  legten sie uns wieder um, wenn wir zurückkamen.

Wir blieben dort bis der Muezzin zum Abendgebet rief. Dann brachten sie uns in ein anderes Lager.  Ich denke, es war das Beit Sira-Lager.

Im Lager gaben sie uns einen Schokoladentrunk und steckten uns in einen kleinen Raum mit grünen Armeematratzen. Betten gab es keine. Die Handschellen waren jetzt lose, also  streiften wir sie ab, tranken die Schokolade und legten uns schlafen.

Am nächsten Morgen um 10 Uhr steckten sie uns wieder in einen Patrouillenwagen, legten uns wieder Handschellen um, aber verbanden uns die Augen nicht. Sie brachten uns zurück ins Ofer-Gefängnis und steckten uns in die Zeltabteilung 2, in der sich 83 Gefangene jeden Alters  befanden. Jede Abteilung hatte vier Zelte mit je etwa 20 Gefangenen .

Die Verhafteten behandelten uns gut. Sie gaben uns Bonbons, Schokolade und Kartoffelchips. Ich fühlte mich dort wohl. Während des Tages fastete ich und spielte Fußball und Tennis. Die Abteilungen hatten TVs, je eines in jedem Zelt. Ich sah das Kinderprogramm während des Tages und eine syrische Sendung, Bab al-Hara am Abend. Ein Gefangner half mir, nach einem Arzt zu fragen, der mein Bein behandeln sollte. Sie holten mich in die Klinik und der Arzt tat Jod auf meine Kniewunde und verband sie.

Zuerst hatte ich Angst und weinte manchmal, weil meine Familie so weit weg war. Ich war nie vorher im Gefängnis. Es war eine neue Erfahrung für mich. Ich hatte vorher nichts über Verhaftungen gewusst. Ich weiß nicht, warum sie mich verhaftet hatten – das ganze Dorf und alle Kinder nahmen an den Demos teil – warum holten sie mich heraus.

Die erwachsenen Gefangenen  sorgten sich um mich, weil ich der jüngste Verhaftete in der Abteilung war, und sie entschieden, mich zum Assistenten des Leiters der Abteilung zu machen.

Ich wollte jeden Morgen um 6 Uhr aufwachen und die Gefangenen wecken: „Kommt! Es ist Zeit zum Zählappell!“ Dann würden die Soldaten kommen und sie zählen. Ich stand neben dem Soldaten, der sie alle zählte. Die Soldaten behandelten mich mit Respekt, und sie baten die Gefangenen, sich um mich zu kümmern. Der Abteilungschef half mir immer. Er war älter als die meisten anderen und sprach Hebräisch. Wir arbeiteten zusammen, halfen den Gefangenen und gaben ihre Bitten an das Gefängnispersonal weiter.

 

Am Sonntag den 14. September um 6 Uhr wurde ich zusammen mit Abd al-Rahman zum Gericht gebracht. Bevor wir zum Gericht fuhren, legte man unsere Hände und Füße wieder in Handschellen und  eiserne Ketten. Als wir dort ankamen, steckten sie uns in einen kleinen Raum, um dort zu warten, bis unsere Anhörung um 14 Uhr begann. Wir fragten nicht um etwas zu essen, weil wir fasteten.

Als die Zeit für die Anhörung kam, nahmen sie uns – in Handschellen -  in den Gerichtssaal . Mein Vater war dort und jemand von B’tselem, Iyad Hadad. Auch andere Leute kamen zu der Anhörung. Es war ein gutes Gefühl, sie wieder zu sehen. Vor allem war ich glücklich, meinen Vater wieder zu sehen, aber die Soldaten  ließen mich ihn nicht umarmen oder seine Hand berühren.

Eine israelische Anwältin verteidigte mich, deren Namen ich aber nicht kenne. Sie bat darum, mich gegen Kaution von 3000 Schekel ( $ 800) freizulassen. Mein Vater hatte das Geld nicht, also konnte er auch nicht zahlen.

Nach der Anhörung nahmen sie mich deshalb ins Gefängnis zurück. Am nächsten Tag gelang es meinem Vater,  sich das Geld für die Kaution auszuborgen, und ich wurde unter der Bedingung freigelassen, dass ich am 16.September zu einer Anhörung zurückkäme.

Ich ging zu meinen Eltern und meiner Familie zurück. Ich war sehr glücklich. Ich ging zur Ambulanz des Dorfes, weil mein Nacken und meine Schulter schmerzten und auch  wegen der Wunden an meinem Knie. Man untersuchte mich dort und behandelte mich. Sie sagten mir, ich solle eine Woche ruhen und dann zu einer Weiterbehandlung wiederkommen.

Mein Vater ging mit mir zur Anhörung am 16. September. Diese wurde aber auf den 21. Oktober verschoben.

Seitdem ich aus dem Gefängnis entlassen bin, habe ich Probleme: ich wache nachts  vor Angst auf und kann kaum schlafen. Ich ging zu einem Psychiater, Khaled Shahawan. Er gab mir  Medikamente und Beruhigungsmittel. Ich habe Mühe, mich in der Schule zu konzentrieren. Im letzten Jahr hatte ich ein sehr gutes Zeugnis (durchschnitt 94)

 

(dt. Ellen Rohlfs)