Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Uri
Avnery 23. Mai 2015
DIE
SCHLACHT ist beendet. Der Staub hat sich
gelegt. Eine neue Regierung – zum Teil lächerlich, zum Teil erschreckend – ist
installiert worden.
Es ist
Zeit, Inventur zu machen.
Das
reine Ergebnis ist, dass Israel allen Anspruch auf Frieden,
aufgegeben hat und dass die israelische Demokratie einen Schlag erlitten
hat, von dem sie sich vielleicht nicht erholen dürfte.
DIE
ISRAELISCHEN REGIERUNGEN – mit der möglichen Ausnahme
von Yitzhak Rabin –haben nie wirklich Frieden gewünscht. Den Frieden, der
möglich ist.
Frieden
bedeutet natürlich festgelegte
endgültige Grenzen. In der Gründungs-Erklärung des Staates, die
von David Ben Gurion am 14. Mai 1948 in
Tel Aviv vorgelesen wurde, wurde
jede Erwähnung von Grenzen absichtlich weggelassen. Ben Gurion war nicht bereit,
Grenzen zu akzeptieren, die von der UN-Teilungsresolution festgelegt worden
waren , weil sie
nur für einen winzigen jüdischen Staat vorgesehen war. Ben Gurion sah voraus,
dass die Araber einen Krieg beginnen würden, und er war entschlossen, diesen
dazu zu benützen, um das
Staatgebiet zu vergrößern.
Dies
geschah tatsächlich. Als der Krieg von
1949 mit einem Abkommen und einer
Waffenstillstandslinie endete, die auf den endgültigen Linien des
Endkampfes basierten, hätte Ben Gurion sie als Endgrenzen anerkennen können. Er
weigerte sich aber Israel ist ein Staat ohne Grenzen
– vielleicht der einzige in der Welt.
Dies ist
einer der Gründe für die Tatsache, dass Israel kein Friedensabkommen mit dem
palästinensischen Nation hat. Es unterzeichnete offizielle Friedensabkommen mit
Ägypten und Jordanien, die sich auf international anerkannte Grenzen zwischen
dem früheren britischen Mandat von Palästina und seinen Nachbarn gründeten.
Keine Grenzen werden zwischen
Israel und der undefinierten palästinensischen Entität akzeptiert. Alle
israelischen Regierungen haben sich immer geweigert, anzuzeigen, wo solche
Grenzen verlaufen sollten. Das hoch
gelobte Oslo-Abkommen war keine Ausnahme. Auch Rabin weigerte sich, eine
endgültige Grenze zu ziehen.
Diese
Weigerung bleibt Regierungspolitik. Am Vorabend der letzten Wahlen erklärte
Benjamin Netanjahu eindeutig, dass während seiner Amtszeit – das bedeutet für
ihn bis zu seinem Lebensende - kein
palästinensischer Staat entstehen würde. Deshalb würden die besetzten Gebiete
unter israelischer Herrschaft bleiben.
Kein
Friedensabkommen wird je unter dieser Regierung unterzeichnet werden.
KEIN
FRIEDEN bedeutet, den territorialen Status quo einzufrieren, außer dass
Siedlungen weiter wachsen und sich
vermehren.
Das ist
nicht die Situation, die Demokratie betrifft. Sie ist nicht eingefroren.
Israel
als die berühmte „einzige
Demokratie im Nahen Osten“. Das ist
praktisch ihr zweiter offizieller Name.
Es ist
umstritten, wie ein Staat, der ein anderes Volk beherrscht, es all seiner
Menschenrechte beraubt - ganz zu
schweigen von der Staatsbürgerschaft –eine Demokratie genannt werden kann. Aber
die jüdischen Israelis haben sich an dies seit 1967
gewöhnt und ignorieren einfach diese
Tatsache.
Nun
ist die Situation innerhalb Israels selbst dabei, sich drastisch zu
verändern.
Zwei
Tatsachen bestätigen dies.
Als
erstes ist Ayelet Schaked zur Justizministerin ernannt worden. Eine der
extremsten Israelis vom rechten
Flügel. Sie hat kein Geheimnis von der Tatsache gemacht, dass sie die
Unabhängigkeit des Obersten Gerichtshofes zerstören will, die letzte Bastion der
Menschenrechte.
Dieses
Gericht hat es die Jahre hindurch
fertiggebracht, eine große Kraft im israelischen Leben
zu werden. Da Israel keine geschriebene Verfassung hat, ist es dem
Obersten Gerichtshof unter strenger
und entschlossener Führung
gelungen, die Rolle des Wächters der Menschen-und Zivilrechte anzunehmen, ja,
selbst die demokratisch angenommenen Knesset-Gesetze zu annullieren, die der
eingebildeten Verfassung widersprachen.
Schaked
hat angekündigt, dass sie dieser Unverschämtheit ein Ende setzen werde.
Das
Gericht hat viele Angriffe
überlebt, weil seine Zusammensetzung
nicht leicht verändert werden kann. Im Gegensatz zur Praxis in den USA,
die skandalös für uns aussieht, werden die Richter dort von einem Komitee
ernannt, in dem Politiker von amtierenden Richtern unter Kontrolle
gehalten werden. Schaked möchte diese Praxis ändern, indem sie das Komitee mit
Politikern vollstopft, die gegenüber der Regierung loyal sind.
Das
Gericht ist schon eingeschüchtert.
In letzter Zeit hat es eine Anzahl von unwürdigen Entscheidungen getroffen, wie
z.B. Aufrufe, die
Siedlungen boykottieren, zu
ächten. Aber dies ist noch der Himmel, verglichen mit dem, was in nächster
Zukunft geschehen soll.
VIELLEICHT IST Netanjahus
Entscheidung noch schlimmer, für sich selbst das Ministerium der
Kommunikation zu reservieren.
Dieses
Ministerium ist immer als niedriges Amt angesehen worden, das für politische
Leichtgewichtler reserviert wurde.
Netanjahus hartnäckige Beharrlichkeit, dies für sich zu halten, ist schon
beunruhigend.
Das
Kommunikations-Ministerium kontrolliert alle TV-Stationen und indirekt die
Zeitung in Israel und anderen
Medien. Da alle israelischen Medien sich in einer sehr schlechten finanziellen
Situation befinden, kann diese Kontrolle tödlich wirken.
Netanjahus Förderer - einige sagen
Besitzer – Sheldon Adelson, der Möchtegern-Diktator der US-republikanischen
Partei, veröffentlicht in Israel schon eine Zeitung
die kostenlos verteilt, nur ein Ziel hat: Netanjahu gegen alle Feinde
persönlich zu unterstützen, einschließlich seiner Konkurrenten in seiner eigenen
Likud-Partei. Die Zeitung „Israel Hayom“ (Israel
heute) ist schon Israels am
weitesten verbreitete Zeitung, in die der amerikanische Casino-König schon
ungezählte Millionen steckte.
Netanyahu ist entschlossen, jede
Opposition der elektronischen und geschriebenen Medien zu brechen. Die
Oppositions-Kommentatoren sind gut beraten, wenn sie sich woanders nach einem
Job umsehen. Kanal 10, der etwas kritischer auf Netanjahu blickt als seine zwei
Konkurrenten, wird deshalb wohl am Monatsende geschlossen werden.
Man kann
eine abscheuliche Analogie nicht
vermeiden. Eines der Schlüsselwörter im Nazi-Lexikon war der scheußliche
deutsche Terminus
„Gleichschaltung“- was bedeutete, dass alle Medien von derselben Energiequelle
abhingen. Alle Zeitungen und Radiostationen (TV existierte noch nicht)
waren vollgestopft mit Nazis. Jeden Morgen versammelten sich um den
Beamten des Propagandaministeriums - mit Namen Dr. Dietrich
- die Chefredakteure, und da erzählte er
ihnen, wie die Schlagzeilen und Leitartikel usw. für den morgigen Tag heißen
mussten.
Netanjahu hat den Chef der TV-Abteilung schon
entlassen. Wir kennen den Namen unseres eigenen Dr. Dietrich noch nicht
Als
humorvolles Gegenstück ist Miri Regev zur Kultusministerin ernannt worden. Regev
hat ein lautes Mundwerk, deren vulgärer Stil zu einem nationalen Symbol
geworden ist. Keiner kann erraten, wie sie früher zur Armeesprecherin
geworden ist. Ihr Stil- zum Beispiel endete
mit der Aufforderung „Applaus!“ ist ein Witz geworden.
DAS
WIRKSAMSTE Instrument der De-Demokratisierung ist das Erziehungs-ministerium
(das in keiner anderen Sache wirksam ist).
Israel
hat mehrere Bildungssysteme, alle von ihnen vom Erziehungsministerium finanziert
und dort kontrolliert.
Zwei
Systeme unterstehen direkt der Regierung: das allgemeine „Staats“-System und das
autonome „religiöse Staats-System.
Dann
gibt es noch zwei orthodoxe Systeme: das eine aschkenasische und ein
orientalisches. In einigen von diesen werden nur religiöse Themen unterrichtet
– keine Sprachen, keine Mathematik,
keine nicht-jüdische Geschichte.
Dies macht die Schulabgänger für keinen Beruf geeignet. Sie bleiben für immer
von den Almosen ihrer religiösen Gemeinschaft abhängig.
Bevor
der Staat entstand, gab es auch ein linkes System mit sozialistischen Werten,
besonders in den Kibbuzim. Dieses wurde von David Ben-Gurion der Staatlichkeit
aufgelöst.
Die
letzte Regierung versuchte auf vorsichtige Weise,
die Orthodoxen in die Einführung der Kernfächer in ihren Schulen zu
zwingen wie z.B. Arithmetik und
Englisch. Das ist jetzt wieder gelöscht worden, seitdem die Orthodoxen
Mitglieder der Regierungskoalition geworden sind.
Die
wirkliche Schlacht, die jetzt beginnt, geht aber um die gewöhnlichen
Staatsschulen, die bis zu einem gewissen Grad
frei waren. Meine verstorbene Frau Rachel war fast 30 Jahre lang Lehrerin
an solch einer Schule und tat, was sie wollte, und versuchte, ihren Schülern
humanistische und liberale Werte beizubringen.
Das geht
nicht mehr. Israels extremster nationalistisch-religiöser Führer Naftali Bennett
ist jetzt als Erziehungsminister eingestellt worden. Er hat schon
angekündigt, dass sein Hauptziel sei, die Schüler
in einem nationalistisch-zionistischen Geist zu erziehen und sie zu
wahren israelischen Patrioten zu machen. Von Humanismus, Liberalismus,
Menschenrechten, sozialen Werten
oder jedem weiteren Unsinn ist nicht die Rede.
Netanjahu hat auch das Außenministerium in seinen eigenen Händen gelassen. Viele
seiner Funktionen hat er unter sechs andere Ministerien verteilt. Der Vorwand
war, dass Netanjahu das
wichtigste Ministerium für den Chef der Labor-Partei offen halte, von dem
er vorgibt, ihn in die Regierung einzuladen. Herzog hat
sich schon laut geweigert (Ich vermute, dass der wirkliche Besitzer der
Regierung Sheldon Adelson dies auf keinen Fall erlaubt.)
Netanjahus wirkliches Ziel ist es, jeden potentiellen Konkurrenten
davon auszuschließen, internationales und nationales Prestige in dieser
Position zu gewinnen. Er führt sowieso die Außenpolitik alleine.
ALLES
ZUSAMMEN ist es ein tief verstörendes Bild für jeden, der Israel liebt.
Es ist
nicht so sehr, dass die Machtbalance in Israel sich geändert hat (Sie hat es
nicht); sondern, dass die schlimmsten Elemente des rechten Flügels die Regierung
übernommen haben und fast alle moderaten des rechten Flügels hinaus gestoßen
haben. Bis jetzt waren diese extremen Rechten zwar laut, aber hatten wenig
Macht. Dies hat sich nun geändert. Die extreme Rechte hat ihre Selbstsicherheit
gefunden und ist entschlossen, ihre Macht zu gebrauchen.
Die
israelische Linke (die sich selbst
schüchtern „Mitte links“ nennt) hat ihren Mut verloren. Ihre einzige Hoffnung
ist „ausländischer Druck“. besonders vom Weißen Haus. Barack Obama hasst
Netanjahu. Irgendwann wird amerikanischer Druck
angewendet werden, um Israel vor sich selbst zu retten. Das ist ein
bequemer Gedanke. Wir müssen gar nichts tun. Die Rettung kommt von außen,
deus ex
machina. Halleluja!
Leider
bin ich ein Ungläubiger. Was ich sehe, ist, dass die US ihre
Unterstützung des Netanjahu-Regimes erhöht, ihm riesige Menge neuer Waffen als
„Kompensation“ liefert, für den
beginnenden nuklearen Deal mit dem
Iran. John Kerry, der von Netanjahu gedemütigt und
mit offener Verachtung behandelt wird, kriecht irgendwo unterwürfig zu unsern
Füßen. Obama rühmt sich, dass er für Israel mehr getan hat (und meint die
israelische Rechte) als jeder andere Präsident.
Rettung
kommt nicht aus dieser Richtung. Gott wird in der Maschine bleiben.
ES GIBT
nur eine Art von Rettung: die wir in uns
selbst tragen.
Manche
hoffen auf eine Katastrophe, die den Leuten die Augen öffnen wird. Ich wünsche
keine Katastrophen. Ich will nicht, dass Israel eine Wiederholung von al-Sisis
Ägypten wird, von Erdogans Türkei oder Putins Russland.
Ich
glaube, wir können Israel retten – aber nur wenn wir von der Couch aufstehen und
unsere Rolle spielen.
(dt.
Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)