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Uri Avnery,
2. April 2016
EINE DER
bekanntesten Zeilen in der deutschen Dichtung ist „ Grüß mich nicht unter den
Linden.“
Der
jüdisch-deutsche Dichter Heinrich Heine bittet seine Geliebte, ihn nicht zu
beschämen, indem sie ihn öffentlich in der Hauptstraße von Berlin grüßt, die
„Unter den Linden“ genannt wird.
Israel
ist in der Position dieser illegalen Geliebten. Arabische Länder haben eine
Affäre mit ihr, wollen aber nicht mit ihr in der Öffentlichkeit gesehen werden.
Das wäre
zu beschämend.
DAS FRAGLICHE
arabische Land ist Saudi Arabien. Seit einiger Zeit ist das Königreich ein
heimlicher Verbündeter von Israel gewesen – und umgekehrt.
In der
Politik übertrumpfen nationale Interessen oft ideologische Unterschiede. Das ist
hier der Fall.
Das
Gebiet, das vom Westen als „Naher Osten“ bezeichnet wird, ist jetzt in zwei
Lager polarisiert, angeführt jeweils von Saudi Arabien und dem Iran.
Der
nördliche Bogen besteht aus dem schiitischen Iran, dem heutigen Irak mit seiner
schiitischen Mehrheit, dem wichtigsten syrischen Gebiet, das von der
alawitischen Gemeinde und der
schiitischen Hisbollah im Libanon kontrolliert wird.
Der
südliche Block, angeführt vom sunnitischen Saudi Arabien, besteht aus den
sunnitischen Staaten Ägypten und den Golfstaaten. In einer schattenhaften Weise
sind sie mit dem sunnitischen islamischen Kalifat verbunden, auch als Daesh oder
Isis bekannt, das sich selbst zwischen Syrien und dem Irak deponiert hat. Außer
Ägypten, das so arm wie eine Moschee-Maus ist, sind alle stinkreich mit Öl.
Der
nördliche Bogen wird von Russland unterstützt, das gerade jetzt der
Assad-Familie in Syrien einen massiven militärischen Stoß gegeben hat. Der
südliche Block ist bis vor kurzem von den US und ihren Verbündeten unterstützt
worden.
DIES IST
ein ordentliches Bild, wie es sein soll. Die Menschen in aller Welt mögen keine
komplizierten Situationen, besonders wenn sie es schwierig machen, zwischen
Freunden und Feinden zu unterscheiden.
Zum
Beispiel die Türkei. Die Türkei ist ein sunnitisches Land, vorher säkular, jetzt
aber von einer religiösen Partei regiert. Deshalb ist es logisch, dass es
stillschweigend Daesh unterstützt.
Die
Türkei kämpft gegen die syrischen Kurden, die gegen Daesh kämpfen und die mit
der kurdischen Minderheit in der Türkei verbündet sind, die von der türkischen
Regierung als tödliche Bedrohung angesehen wird.
(Die
Kurden sind ein separates Volk – weder arabisch noch türkisch – die zwischen dem
Irak, dem Iran, der Türkei und Syrien aufgeteilt sind. Sie sind meistens
Sunniten.
Die US
kämpfen gegen Assads Syrien, das von Russland unterstützt wird. Die US kämpfen
aber auch gegen Daesch, der gegen Assads Syrien kämpft. Die syrischen Kurden
kämpfen gegen Daesch, aber auch gegen Assads Armee. Die libanesische Hisbollah
unterstützt stark Syrien, ein traditioneller Feind des Libanon und hält Assads
Herrschaft lebendig, während diese gegen Daesch kämpft, Seite an Seite mit den
US, ein tödlicher Feind von Hisbollah. Der Iran unterstützt Assad und kämpft
gegen Daesch, Seite an Seite mit den US, Hisbollah und den syrischen Kurden.
Man
versuche nicht, dies auszusortieren. Keiner kann das.
Vor
kurzem hat die US ihre Orientierung gewechselt. Bis dahin war das Bild klar. Die
US benötigen das saudische Öl, so billig wie der König es liefern kann. Sie
hassen auch den Iran, seitdem die schiitischen Islamisten den iranischen Schah
der Schahs, einen amerikanischer Handlanger, hinaus geworfen haben. Die
Islamisten fingen die amerikanischen Diplomaten und hielten sie als Geiseln. Um
sie zu befreien, lieferten die US der iranischen Armee über Israel Waffen (Dies
wurde Irangate genannt). Der Iran war mit dem Irak im Krieg, das unter der
sunnitischen Diktatur von Saddam Hussein war. Die Amerikaner unterstützten
Saddam gegen den Iran. Aber später
überfielen sie den Irak, erhängten ihn und lieferten den Irak tatsächlich dem
Iran, seinem Todfeind, aus.
Jetzt
haben die US einen zweiten Gedanken (als ob dieses Durcheinander viel mit
„Gedanken“ zu tun hat) Ihr
traditionelles Bündnis mit Saudi-Arabien gegen den Iran sieht nicht mehr so
attraktiv aus. Die US Abhängigkeit vom arabischen Öl ist nicht mehr so stark,
wie sie war. Plötzlich sieht die Saudi-religiöse Tyrannei nicht mehr so
attraktiv aus wie die iranisch-religiöse Demokratie und ihr verlockender Markt.
gegen 20 Millionen einheimischer Saudis
gibt es 80 Millionen Iraner.
Wir
haben jetzt also ein US-iranisches Abkommen. Die westlichen Sanktionen gegen den
Iran werden aufgehoben. Es sieht jetzt wie der Beginn einer wunderbaren
Freundschaft aus. Die saudischen Prinzen schäumen vor Wut und zittern vor Angst.
WO IST
in diesem Durcheinander Israel? Nun, es ist ein Teil dieses Durcheinander.
Als
Israel mitten in einem Krieg mit den Arabern errichtet wurde, bevorzugte die
Regierung etwas, das „Bündnis der Minderheiten“ genannt wurde. Dies bedeutete
Kooperation mit allen peripheren Faktoren in der Region: die Maroniten im
Libanon (die Schiiten wurden verachtet und ignoriert), die Alawiten in Syrien,
die Kurden im Irak. Die Kopten in Ägypten, die Herrscher des Iran, Äthiopien,
Süd-Sudan, des Tschad und so
weiter.
Da gab
es tatsächlich lose Verbindungen mit den Maroniten. Der Iran des Shah wurde ein
enger, wenn auch halbgeheimer Verbündeter. Israel half dem Schah, seine
Geheimpolizei aufzubauen und der Schah erlaubte israelischen Offizieren durch
sein Gebiet zu gehen, um sich den kurdischen Rebellen im Nord-Irak anzuschließen
und sie zu instruieren – bis der Schah leider ein Geschäft mit Saddam Hussein
machte. Der Shah wurde auch ein Partner Israels im Ölgeschäft, das persisches Öl
über Eilat nach Ashkalon brachte, statt durch den Suez-Kanal (Ich verbrachte
einmal einen Tag, um diese Leitung aufzubauen, die noch immer ein gemeinsames
israelisch-iranisches Geschäft ist, Subjekt eines Schiedsgerichts-verfahrens.
Jetzt
ist die Situation ganz anders. Die schiitisch-sunnitische Teilung (betreffend
der Nachfolge des Propheten Muhammad, die viele Generationen schlummerte,
erwachte wieder und dient natürlich sehr weltlichen Interessen.
Für die
Saudis ist ihre Konkurrenz mit dem Iran um die Vorherrschaft in der muslimischen
Welt viel wichtiger als der alte Kampf mit Israel. Tatsächlich veröffentlichten
die Saudis vor Jahren einen Friedensplan, der den Friedensplänen der
israelischen Friedenskräfte (einschließlich der meinigen) ähnelte. Er wurde von
der Arabischen Liga akzeptiert, aber von Sharons Regierung und dann von auf
einander folgenden israelischen Regierungen völlig ignoriert.
Benjamin
Netanjahus Berater rühmten sich damit, dass die geopolitische Situation für
Israel nie besser war als sie jetzt ist. Die Araber sind mit ihren
Streitigkeiten beschäftigt. Viele arabische Länder wollen ihre geheimen
Verbindungen mit Israel stärken.
Die
Verbindungen mit Ägypten sind sogar nicht geheim. Der ägyptische
Militär-Diktator kooperiert offen mit Israel, indem er den Gazastreifen mit
seinen fast zwei Millionen Einwohnern stranguliert. Der Streifen wird von der
Hamas beherrscht, einer Bewegung, von der die ägyptische Regierung behauptet,
dass sie mit ihrem Feind Daesch verbunden ist.
Indonesien, das größte muslimische Land in der Welt, ist nahe dran, seine
Verbindungen mit uns zu öffnen. Israels politische und wirtschaftliche
Verbindungen mit Indien, China und Russland sind gut und nehmen zu.
Das
kleine Israel wird als ein militärischer Riese, als eine technische Macht, eine
stabile Demokratie (wenigstens für seine jüdischen Bürger) angesehen. Feinde wie
die BDS-Bewegung sind nur Irritationen. Was ist also schlimm?
DAMIT KEHREN
wir zu den Lindenbäumen zurück. Keiner unserer arabischen Freunde will uns
öffentlich grüßen. Ägypten, mit dem wir einen offiziellen Friedensvertrag haben,
heißt israelische Touristen nicht mehr willkommen. Ihnen wird geraten, nicht
mehr dorthin zu gehen.
Saudi
Arabien und seine Verbündeten wünschen keine offenen und offiziellen Beziehungen
mit Israel. Im Gegenteil, sie sprechen über Israel weiter wie während des
schlimmsten Kriegszustandes und der arabischen Zurückweisung.
Sie
zitieren alle denselben Grund: die Unterdrückung des palästinensischen Volkes.
Sie sagen alle dasselbe: offizielle Beziehungen mit Israel werden erst nach dem
Ende des israelisch-palästinensischen Konfliktes kommen. Die Massen der
arabischen Völker überall sind emotional zu sehr an der Notlage der
Palästinenser beteiligt, um offizielle Verbindungen zwischen ihren Herrschern
und Israel zu dulden.
Diese
Herrscher stellen alle dieselben Bedingungen, die schon von Yasser Arafat
vorgebracht wurden und im Saudi-Friedensplan eingeschlossen waren: ein freier
palästinensischer Staat, Seite an Seite mit Israel, gegenseitig anerkannte
Grenzen, die sich auf die Grenzen vom Juni 67 gründen, Grenzen mit kleinerem
Austausch von Territorium, eine „vereinbarte“ Rückkehr der Flüchtlinge
(„vereinbart“ mit Israel bedeutet höchstens eine symbolische Rückkehr einer sehr
begrenzten Anzahl).
Die
israelischen Regierungen haben niemals auf diesen Plan reagiert. Heute unter
Benjamin Netanjahu sind sie weiter von diesen Bedingungen entfernt als je. Fast
täglich verabschiedet unsere Regierung Gesetze, vergrößert die Siedlungen,
ergreift Maßnahmen und gibt Erklärungen ab, die Israel von jedem Frieden weiter
wegstößt, den die arabischen Länder akzeptieren konnten.
ZUKÜNFTIGE GENERATIONEN
werden auf diese Situationen nur mit Verwunderung schauen.
Seit der
Gründung der zionistischen Bewegung und ganz sicherlich seit der Schaffung des
Staates Israel, haben Israelis von einer Überwindung des arabischen Widerstandes
geträumt und davon, dass die arabische Welt dahin gebracht wird, den „jüdischen
und demokratischen“ Staat von Israel als legitimes Mitglied der Region
anzuerkennen.
Jetzt
stellt sich diese Gelegenheit selbst dar. Es kann getan werden. Israel wird an
den arabischen Tisch eingeladen. Und Israel ignoriert die Gelegenheit.
Nicht,
weil Israel blind ist, sondern weil die besetzten palästinensischen Gebiete und
die Siedlungen für es wichtiger sind, als der historische Akt, Frieden zu
schließen.
Keiner
von ihnen wünscht also, sie unter den Linden zu grüßen.
(aus dem
Englischen; Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)