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Die realistische Wahl

Uri Avnery, 10. März  2017

WENN MIR einer vor 50 Jahren gesagt hätte, dass die Herrscher von Israel  Jordanien und Ägypten  sich im Geheimen getroffen  hatten, um Frieden zu machen,  würde ich gedacht haben, ich  würde träumen.

Falls mir gesagt worden wäre, die Führer von Ägypten und Jordanien hätten  Israel  für die Rückgabe der besetzten  Gebiete  --mit einem Austausch von  Land und einer  symbolischen  Rückkehr von Flüchtlingen ---vollständigen Frieden angeboten. Ich würde gedacht haben, der Messias sei gekommen. Ich würde angefangen haben, an Gott  oder Allah oder  wer auch immer dort oben ist, zu glauben.

Doch vor ein paar Wochen wurde bekannt, dass die Herrscher von Ägypten und Jordanien sich tatsächlich letztes Jahr im Geheimen mit dem Minister-Präsident von Israel in Aqaba,  dem angenehmen Badeort, wo die drei Staaten einander berühren  getroffen.  Die beiden arabischen Führer, die tatsächlich für die ganze arabische Welt handeln, hatten dies Angebot gemacht. Benjamin Netanjahu gab keine Antwort und ging wieder nach Hause.

Genau so machte es der Messias.

DONALD TRUMP, der Komödienchef der US gab vor  einiger Zeit seine Antwort auf die Frage über die Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes: Zwei Staaten, ein Staat – worüber die beiden Seiten übereinkommen, antwortete er.

Er hätte ebenso gut antworten können: „Zwei-Staaten, ein-Staat, drei-Staaten, vier –Staaten, sucht euch etwas aus!

Und tatsächlich, falls du im La-la-Land lebst, so gibt es keine  Begrenzung  der Anzahl von Staaten. Zehn Staaten sind genau so gut wie einer. Je mehr, desto besser.

Vielleicht ist ein total Argloser nötig wie Trump, um  zu illustrieren, wie viel Unsinn über die Wahl geredet werden kann.

AM FÜNFTEN Tag des Sechs-Tagekrieges veröffentlichte ich einen offenen Brief an Ministerpräsident Levy Eshkol und drängte ihn, den Palästinensern die Möglichkeit zu geben, ihren eigenen Staat in der Westbank und im Gazastreifen mit Ost-Jerusalem als ihrer Hauptstadt zu errichten.

Unmittelbar nach dem Krieg lud mich Eshkol zu einem privaten Gespräch ein. Er hörte geduldig zu, während  ich ihm die Idee erklärte. Am Ende sagte er mit einem wohlwollenden Lächeln: „Uri welche Art von Kaufmann bist du? Ein guter Kaufmann beginnt  mit der Forderung des Maximums und bietet ein Minimum an. Dann feilscht man und am Ende  wird in der Mitte ein Kompromiss erreicht.“

„Stimmt“, antwortete ich, „wenn man einen Gebrauchtwagen verkauft. Aber hier wollen wir die Geschichte verändern!“

Tatsache ist, dass in jener Zeit keiner daran glaubte, dass es Israel erlaubt sein würde, die Gebiete zu behalten. Es wird gesagt, dass Generäle immer den letzten Krieg kämpfen. Dasselbe gilt auch für die Staatsmänner. Eines Tages nach dem Sechs-Tage-Krieg dachten die israelischen Führer über den Tag nach dem  1956-Krieg nach, als der US-Präsident Dwight Eisenhower und der Sowjet-Präsident Nicolai Bulganin David Ben Gurion zwangen, alle besetzten Gebiete schmählich zurückzugeben.

Das schien so die einzige Wahl zu sein:  die Gebiete an König  Hussein  von Jordanien zurückzugeben, wie es die große Mehrheit forderte oder sie dem palästinensischen Volk zu geben, wie meine Freunde und ich, eine winzige  Minderheit, vorschlugen.

Ich erinnere mich noch an ein Gespräch. Der Minister für Industrie und Handel Haim Zadok, ein sehr kluger Rechtsanwalt, hielt in der Knesset eine feurige Rede. Als  er aus dem Plenum kam, ermahnte ich ihn: „ Aber Sie glauben doch kein einziges Wort, das Sie sagten.“ Worauf er lachend antwortete:  „Jeder kann eine gute Rede über Dinge halten, die er glaubt. Es ist eine Kunst eine gute Rede über Dinge zu halten, an die man nicht glaubt“.

Dann fügte er noch ernsthaft an: „Wenn sie uns zwingen, alle Gebiete wieder zurück zu geben, dann werden wir alle Gebiete wieder zurückgeben. Wenn  sie uns zwingen, einen Teil der Gebiete zurückzugeben, dann werden wir einen Teil der Gebiete zurückgeben. Wenn sie uns nicht zwingen, etwas zurückzugeben, dann werden wir alles behalten.“

Das Unglaubliche geschah. Präsident Lyndon Johnson und die ganze Welt haben sich einen Dreck darum gekümmert.  Wir wurden mit der ganzen Kriegsbeute bis auf diesen Tag allein gelassen.

ICH KANN nicht der Versuchung widerstehen, einen alten Witz zu wiederholen.

Direkt nach der Gründung Israels erschien Gott David Ben-Gurion und sagte ihm: „Du hast meinem Volk Gutes getan. Äußere einen Wunsch und ich werde ihn dir gewähren!“

„Ich wünsche mir, dass Israel ein jüdischer Staat und ein demokratischer Staat wird und alles Land zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan umfasst,“ antwortete  Ben Gurion.

„Das ist auch für mich zu viel!“ rief Gott aus. „Aber ich will dir zwei von drei Dingen gewähren.“ Seitdem können wir zwischen einem jüdischen und einem demokratischen  Israel  in einem Teil des Landes,  einen demokratischer Staat im ganzen Land wählen, das nicht jüdisch oder ein jüdischer Staat im ganzen Land sein, das nicht demokratisch sein wird, wählen.“

Das ist die Wahl, der wir nach allem gegenüber stehen.

Der jüdische Staat im ganzen Land bedeutet Apartheid.  Israel hat schon immer herzliche Beziehungen mit dem rassistischen Afrika- Staat in Süd-Afrika unterhalten, bis er zusammenbrach. Hier einen solchen Staat zu errichten, ist reiner Wahnsinn.

Die Annexionisten haben einen Trick in petto: Die Westbank annektieren, aber ohne den Gazastreifen. Dies  würde ein Staat mit nur 40% der Palästinenser sein. In solch einem Land  würde eine ewige Intifada wüten.

Aber in Wirklichkeit ist auch dies nur ein frommer Wunsch// ein Hirngespinst.  Gaza kann nicht  für immer  von Palästina getrennt werden. Es ist seit ewigen Zeiten ein Teil  des Landes. Es muss wieder angeschlossen werden.  Dies würde ein Staat mit einer kleinen arabischen Mehrheit sein, eine Mehrheit ohne  nationale und zivile Rechte. Diese Mehrheit wird schnell wachsen.

Solch eine Situation würde auf die Dauer unerträglich sein. Israel würde gezwungen sein, den Arabern das Stimmrecht zu  geben.

Utopische Idealisten würden solch eine Lösung willkommen heißen. Wunderbar! Die Ein-Staat-Lösung!  Demokratie, das Ende des Nationalismus‘. Als ich jung war, erhoffte ich auch diese Lösung. Das Leben hat mich geheilt. Jeder der tatsächlich im Lande lebt, weiß, dass dies vollkommen unmöglich ist. Die beiden  Völker würden sich gegenseitig bekämpfen. Wenigsten während der ersten oder zwei Jahrhunderte.

Ich habe nie einen detaillierten Plan gesehen, wie solch ein Staat funktionieren  würde. Außer von  Vladimir Jabotinsky, der brillante Führer der zionistischen  UItra-Rechten  schrieb 1940 einen Plan für die Alliierten. Wenn der Präsident des Staates jüdisch sein wird, so verfügte er, wird der Ministerpräsident ein Araber sein usw.  Jabotinsky starb ein paar Monate später – und der Plan mit ihm.

Zionisten kamen hierher, um in einem jüdischen Staat zu leben. Das war ihr beherrschendes Motiv. Sie können sich auch nicht  eine Existenz als noch eine jüdische Minderheit vorstellen. In solch einer Situation würden sie langsam emigrieren, wie die Afrikaner es tun. Tatsächlich geschieht solch eine Emigration in die USA und nach Deutschland schon unter dem Radar.  Zionismus war immer eine  Einbahnstraße – nach Palästina. Nach dieser „Lösung“ würde sie nun in die andere Richtung gehen.

WAHRHEIT  IST, dass es überhaupt keine Wahl gibt.

Die einzige wirkliche Lösung dort ist die vielfach geschmähte „Zwei Staaten für zwei Völker“, die viele Male für tot erklärt wurden. Es ist entweder jene Lösung oder die Zerstörung von beiden Völkern.

Und wie stehen die Israelis dieser Realität gegenüber? Sie stehen ihr auf israelische Weise gegenüber: sie stehen nicht der Realität gegenüber. Sie leben einfach weiter, von Tag zu Tag und hoffen, dass das Problem  von alleine verschwinden wird.

Vielleicht kommt der Messias schließlich doch.

(dt. Ellen Rohlfs. vom  Verfasser autorisiert)